Trendreport: MINT-Fächer an Schulen haben während der Pandemie stark gelitten

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MÜNCHEN. Die MINT-Bildung an Schulen hat nach Angaben der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) während der Pandemie stärker gelitten als notwendig. Hochschulen hätten sich zwar besser geschlagen, dennoch steht ihnen ein großer Umbruch bevor.

Politiker, Wirtschafts- und Wissenschaftsvertreter werden nicht müde, die Bedeutung der MINT-Bildung für die Zukunft Deutschlands zu betonen. Doch wie steht es um die Nachwuchssituation nach mehr als zwei Jahren Pandemie, einschließlich begleitender Wirtschaftskrisen, wie der vom Internationalen Währungsfonds als „Great Lockdown“ bezeichneten Corona-Rezession 2020-2021?

Haben Lehrer gerade im MINT Bereich von den digitalen Möglichkeiten zu wenig Gebrauch gemacht? Foto: Shutterstock

Wie sich die Corona-Pandemie speziell auf die Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ausgewirkt hat, haben Expertinnen und Experten des IPN – Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik untersucht. Für das jährliche, von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech herausgegebene „MINT Nachwuchsbarometer“ sammelten und kommentierten sie Zahlen, Daten und Fakten zur Nachwuchssituation im MINT-Bereich von der schulischen Bildung bis zur beruflichen Ausbildung und zum Studium. Der Trendreport solle, so die Herausgeber, eine fundierte Entscheidungshilfe für die Verantwortlichen in Bildung, Politik und Wirtschaft liefern und so zu einer nachhaltigen Stärkung der MINT-Situation in Deutschland beitragen.

Der Analyse für das Jahr 2022 zufolge hat die Corona-Pandemie auch der MINT-Bildung zugesetzt. Besonders an den Schulen habe der Bereich gelitten. Im Fach Mathematik etwa hätten Schülerinnen und Schüler in Deutschland und in anderen europäischen Ländern in der Pandemie Lernrückstände in Höhe von zehn bis 13 Lernwochen bis zum Ende der Grundschule aufgebaut. An Hamburger Schulen habe der Anteil der leistungsstarken Grundschülerinnen und -schüler um knapp zehn Prozent abgenommen, während der Anteil der Leistungsschwachen um gut zehn Prozent anstieg, habe etwa eine für das Nachwuchsbarometer ausgewertete Studie ergeben.

Laut Studienleiter Olaf Köller brauche es nun neue Impulse, um die Qualität der MINT-Bildung sicherzustellen. „In den vergangenen Monaten wurde viel über die Auswirkungen der Pandemie auf die MINT-Bildung gemutmaßt.“, so der IPN-Direktor. „Das MINT Nachwuchsbarometer bestätigt nun einige der geäußerten Sorgen. Es braucht jetzt gemeinsame Anstrengungen. Wir müssen einerseits bei der Digitalisierung an Schulen weiter vorankommen – sowohl die Ausstattung betreffend als auch die Kompetenzen der Lehrkräfte, der Schulleitungen sowie der Schülerinnen und Schüler. Andererseits müssen wir dafür sorgen, dass sich die MINT-Bildung schnell vom Virus erholen kann. Long-Covid in der MINT-Bildung muss unbedingt verhindert werden“, so Köller.

Weitere in die Untersuchung eingeflossene Studien hätten auch gezeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer während der Lockdown-Phasen die Möglichkeiten des Remote-Unterrichts nicht voll ausgeschöpft haben: angeleitete, eigenständige Projektarbeit sei nur von 16 Prozent der MINT-Lehrkräfte eingesetzt worden. Die große Mehrheit habe dagegen ihren Präsenzunterricht eins zu eins ins Digitale übertragen. „Während der Pandemie ist der Frontalunterricht häufig in den digitalen Raum übertragen worden. Der sinnvolle Einsatz digitaler Medien geht aber weit darüber hinaus.“, kritisiert Nina Lemmens, Vorständin der Joachim Herz Stiftung, Mitherausgeberin des Reports. „Ich glaube,“, so Lemmens weiter, „dass digitale Werkzeuge gerade in den Naturwissenschaften helfen können, das Lernen spannender und verständlicher zu machen. Um die Digitalisierung an den Schulen voranzutreiben, brauchen wir einerseits Fortbildungen für Lehrkräfte, andererseits muss die Arbeit mit digitalen Tools in das Lehramtsstudium verankert werden“.

Hochschulen zeigen sich krisenfest
Die Hochschulen hätten sich als krisenfester erwiesen als die Schulen, dennoch stehe die Hochschullehre vor einem großen Umbruch. Laut einer in den Report einbezogenen Umfrage lehnten 81 Prozent der Mathematik-Studierenden und sogar 94 Prozent der Informatik-Studierenden eine vollständige Rückkehr zur traditionellen Präsenzlehre ab. Eine rein digitale Lehre wünschten sich demnach allerdings auch nur die wenigsten Befragten. Beliebt seien bei den MINT-Studierenden vor allem kombinierte Formate wie Blended Learning, Präsenzphasen mit digitalen Elementen sowie hybride Formate.

„Die deutschen Hochschulen haben sich in der Covid-19-Krise als besonders resilient erwiesen – eine funktionierende digitale Infrastruktur war dabei einmal mehr ein wichtiger Faktor. Die Vorteile der Digitalisierung müssen nun auch im Primar- und Sekundarbereich des Bildungssystems besser ankommen. Davon würden gerade die MINT-Fächer profitieren: Deren Inhalte lassen sich digital unterstützt – Stichwörter: Virtual Reality, Gamification – sehr anschaulich vermitteln“, fordert angesichts der Ergebnisse acatech-Präsident Jan Wörner.

Migrationshintergrund hat weiterhin großen Einfluss
Seit Jahren weise die Untersuchung auch auf migrationsbedingte Unterschiede in den MINT-Leistungen hin. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund schnitten in den einschlägigen Fächern in der Regel schlechter ab. Aus der aktuellen Ausgabe gehe beispielsweise hervor, dass Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund im Fach Mathematik in der 5. Jahrgangsstufe einen Rückstand von mehr als 70 Kompetenzpunkten auf Kinder ohne Migrationshintergrund aufweisen. Übersetzt in Schuljahre bedeute dies einen Leistungsnachteil von bis zu zwei Schuljahren. Die Leistungsunterschiede würden im weiteren Bildungsverlauf nicht größer, könnten durch das Schulsystem jedoch nicht abgebaut werden. (zab, pm)

SPD sagt dramatischen Lehrermangel voraus – vor allem in MINT-Fächern

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4 Kommentare
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Georg
1 Jahr zuvor

Die Pandemiefolgen wirken sich an den Hochschulen erst verzögert aus, wenn nämlich die jetzigen 9er bis 11er ihr Abitur haben.

Georg
1 Jahr zuvor

Bei der Schule ist das kein Wunder:

Mathematik setzt ein gehöriges Maß an Selbstdisziplin voraus, wenn man das ohne die Betreuung eines Lehrers oder der Eltern lernen soll.

Naturwissenschaften stehen und fallen mit Experimenten, die es in der Distanzzeit nur in deutlich reduzierter Form geben konnte.

Beim Thema Migrationshintergrund wird es immer relevanter, den Herkunftsbereich mal gesondert auszuweisen. Mitteleuropäer und Ostasiaten dürften die 70 Punkte Rückstand kaum haben.

Pälzer
1 Jahr zuvor

„Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund im Fach Mathematik in der 5. Jahrgangsstufe einen Rückstand …“
Wieso ausgerechnet Mathematik? Das ist neben Sport das Fach, wo sprachliche Probleme am wenigsten Einfluss haben, Mathe ist in allen Sprachen dasselbe.

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Pälzer

Mathe ist aber das Fach, bei dem sich Arbeitsmoral am deutlichsten zeigt.

Last edited 1 Jahr zuvor by Georg