GEW-Chefin fordert ein Programm: „Aufrichten nach Corona!“ – (auch) für Lehrkräfte

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FRANKFURT/MAIN. Die GEW macht sich dafür stark, die Lehrkräfte massiv zu entlasten und die Unterrichtsverpflichtung zu senken. „Teilzeitarbeit ist für viele Lehrkräfte ihre persönliche Flucht aus der Überlastung. Das System steckt in einem Teufelskreis aus Überlastung durch Lehrkräftemangel und Lehrkräftemangel durch Überlastung. Da kommen wir nur raus, wenn die Politik bereit ist, insgesamt mehr Ressourcen ins System zu stecken – auch durch mehr Schulsozialarbeit, schulpsychologische Betreuung und weiteres zusätzliches Personal etwa in der Verwaltung“, sagt Gewerkschaftschefin Maike Finnern mit Blick auf die Ergebnisse des jüngsten Schulbarometers (News4teachers berichtete).

„Raubbau an der Gesundheit“. Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW, Foto: GEW)

Es sei falsch, so Finnern, eine Entlastung der Lehrkräfte mit Hinweis auf den Lehrkräftemangel zu verweigern. Die Forscherinnen und Forscher sprächen von einem „Kipppunkt“: Jenseits von 25 Unterrichtsstunden pro Woche fühlten sich signifikant mehr Lehrkräfte sehr hoch belastet.

Die Daten zeigten, dass sehr viele Lehrkräfte gesundheitsgefährdende Arbeitszeiten haben. Die Folgen seien Erschöpfung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Unter der Überlastung der Lehrkräfte litten auch die Kinder und Jugendlichen. „Ein verantwortungsvoller Arbeitgeber geht diese Probleme an. Die meisten Bundesländer entziehen sich jedoch ihrer gesetzlichen Pflicht, Gefährdungsbeurteilungen an Schulen durchzuführen und daraus entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Sie nehmen billigend in Kauf, dass viele Lehrkräfte aus Idealismus oder Pflichtgefühl Raubbau an ihrer Gesundheit betreiben“, betont Finnern.

„Wichtig ist, dass Schulen auf die Nöte und Sorgen der Kinder eingehen“

„Die deutliche Zunahme von Niedergeschlagenheit, Konzentrations- und Motivationsproblemen unter den Schülerinnen und Schülern ist nicht verwunderlich“, sagt die GEW-Vorsitzende. „Die Lehrkräfte setzen den richtigen Schwerpunkt, wenn sie mehrheitlich der Förderung des psychischen Wohlbefindens Priorität einräumen.“

Leistung und Lehrpläne seien nicht der beste Wegweiser durch die Krisenfolgen. „Wichtig ist, dass Schulen auf die Nöte und Sorgen der Kinder eingehen und ihnen dabei helfen, Motivation und Lernfreude zu entwickeln und zu Konzentration und Ruhe zurück zu finden. Insofern müssten gerade jetzt Aktivitäten in den Vordergrund rücken, die der Persönlichkeitsentfaltung, dem spielerischen Lernen, der Bewegung und der Kreativität Raum geben“, unterstreicht Finnern.

Sie zeigt sich skeptisch gegenüber dem Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“ der Bundesregierung und den entsprechenden Länderprogrammen. Diese würden angesichts der Probleme der Kinder und Jugendlichen viel zu kurz springen und seien sozial nicht ausgewogen.

„Wir brauchen jetzt ein Programm ‚Aufrichten nach Corona‘ – und zwar sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Lehrkräfte“, schlägt die GEW-Vorsitzende vor. Voraussetzung seien deutlich mehr Zeit im Schulalltag, also die Absenkung der Unterrichtsverpflichtung, sowie eine deutlich bessere personelle Ausstattung mit Lehrkräften und multiprofessionellen Teams. Die soziale Schieflage des Schulsystems, die chronische Überlastung des Personals und die psychosozialen Probleme der Schülerinnen und Schüler seien allein mit befristeten Projektmitteln nicht aufzulösen.

„Umso wichtiger ist es, dass die Ressourcen wirklich dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden“

Die Studie belege, dass die Lernrückstände an solchen Schulen besonders groß sind, in denen mehr als die Hälfte der Schülerschaft eine andere Familiensprache als Deutsch spricht. „Das sind jedoch häufig zugleich Schulen mit besonderen sozialen Herausforderungen. Umso wichtiger ist es, dass die Ressourcen wirklich dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden“, erläutert die GEW-Vorsitzende. Die Gelder von Bund und Ländern müssten zielgerichteter nach sozialen Kriterien verteilt werden.

Dabei laute der Grundsatz: „Ungleiches muss ungleich behandelt werden“, hebt Finnern hervor. Sie forderte die Bundesregierung insbesondere dazu auf, die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Bundesmittel für die finanzielle Förderung von 4.000 allgemein- und berufsbildenden Schulen nach einem gerechten, sozial-indizierten Schlüssel zu verteilen. News4teachers

Zweifel daran, dass sich mehr Lehrer lohnen: Landesrechnungshof drängt auf größere Klassen

 

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kanndochnichtwahrsein
1 Jahr zuvor

Lehrer stehen von vor 8 bis oft weit nach 16 Uhr pausenlos zur Verfügung. Selbst Pausen sind keine Pausen, Freistunden keine Freistunden, Arbeitszeiten können mangels passendem Arbeitsplatz nicht effektiv genutzt werden.
Kommt man nach Hause stehen die übrigen Aufgaben an. „Fertig“ ist man nie, nicht am Abend, nicht am Wochenende, nicht in den Ferien.
Alles wird „sofort“ erledigt weil es muss (ungeacht dessen, dass andere Arbeitnehmer nach 8 Stunden den Stift fallen lassen) oder aufs Wochenende und die Ferien geschoben, weil es nicht unbedingt sofort muss (also auch kein Wochenende und keine echten Ferien).
Ständig neue Aufgaben, neue kurzfristige Entscheidungen, Stundenplanumstellungen etc. – keine Planung, keine wirkliche Vorbereitung möglich, Vorbereitungen laufen ins Leere, sind für die Tonne, Konzepte müssen nach Wunsch der Vorgesetzten immer wieder neu geschrieben werden, oft gegen die eigene Überzeugung.

Am Ende des Tages weiß jeder Lehrer, dass er viel zu viel Zeit gebraucht hat, in der er viel zu wenig erreicht hat. Und jeder weiß, dass das in den nächsten Jahren mit zunehmendem Mangel nicht besser wird.

Es gibt m.E. einige Stellschrauben, an denen man drehen könnte – auch wenn kurz- und mittelfristig keine neuen Lehrer (Sozialarbeiter, Schulpsychologen) in Sicht sind.

Unterrichtszeiten für die Kinder auf ein Maß zurückfahren, für das auch Lehrkräfte zur Verfügung stehen!
Ruhe ins System bringen!
Lehrer mit mehr Stunden in weniger Klassen einsetzen!
Ganztag ruhen lassen!
Lehrerarbeitszeit in der Schule komprimieren, damit irgendwann auch mal eine dienstfreie Zeit entsteht.
Einen Teil der Erziehung und Bildung müssen (wieder) die Eltern und andere Teile der Gesellschaft übernehmen, damit Lehrer wieder das tun können, was eigentlich ihr Job wäre. Nicht mehr und nicht weniger.

Wer eine Zitrone ausgepresst hat, hat nur noch eine leere Schale.
Da wird keine Zitrone mehr draus.
Wer Lehrer auspresst…

tachelesme
1 Jahr zuvor

Was denken Sie wohl, haben die Eltern die ganze Zeit gemacht? Duch die ganzen Ausfälle, fand und findet immer noch nicht keine echte Beschulung (mit Bildung) statt. Wer sollen die „anderen Teile der Gesellschaft“ sein? Der arme Hausmeister muss ja auch den Hof mal kehren, und kann schlecht noch nebenbei Physik unterrichten.

TheTeacher
1 Jahr zuvor
Antwortet  tachelesme

Sie greifen sich hier von einem Text mit 288 Wörtern genau 16 heraus, auf die Sie eingehen und scheinen sich dabei als Opfer von Kritik getroffen zu fühlen.

„Kanndochnichtwahrsein“ schrieb einen persönlichen Bericht über die Situation von Lehrern, mit einigen Vorschlägen, wie der persönlich gesehene Missstand bzw. die Missstände abgebaut werden könnten.

Viele Lehrer kennen die beschriebenen Probleme oder könnten die Liste noch deutlich verlängern. Dafür gehört „Kanndochnichtwahrsein“ eher einmal ein Lob über die Veröffentlichung der wahrgenommenen eigenen Situation.

Einige Vorschläge würden meiner Ansicht nach die Situation verbessern. Es mag noch weitere geben und andere würden schwer durchzusetzen sein, jedoch ist das aber grundsätzlich ein sinnvoller Beitrag, über dessen Inhalt man diskutieren kann.

Jetzt kommt für sie die Schlüsselstelle: „Einen Teil der Erziehung und Bildung müssen (wieder) die Eltern und andere Teile der Gesellschaft übernehmen, damit Lehrer wieder das tun können,…“. Aus meiner persönlichen Arbeitswelt Schule kann ich mich bei einigen Eltern nur lobend über die Elternarbeit äußern. Sowohl erzieherisch, als auch in puncto Unterstützung beim Thema Bildung läuft das echt toll. Auch in Coronazeiten war und ist da immer ein produktiver Austausch möglich oder neben den großen Gesprächsterminen verhaupt nicht erforderlich. Es gibt aber auch einen selbst gewonnenen Eindruck, dass der Anteil an weniger als ausreichend agierenden Eltern, zugenommen hat. Das hat zur Folge, dass man da erzieherisch und bildungstechnisch oft Schwierigkeiten bekommt, an der Situation etwas zu verändern und sieht gelichzeitig, wo das zukünftig hinführen wird. Einige Eltern haben keinerlei Interesse am Thema Schule.

Auch wenn ich sehe, dass eine Menge Eltern ihren Job „Eltern“ super erledigen, würde ich mir einen Anstieg dieser Gruppe gerne sehen, wie „Kanndochnichtwahrsein“ ebenfalls. Ist das nicht verständlich?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Teil mit der Gesellschaft „Kanndochnichtwahrsein“ richtig verstehe, aber jeder kennt das afrikanische Sprichwort:“Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“. Der Spruch impliziert, dass neben den Eltern noch andere Visionäre oder Grenzensetzer braucht. In meinen Augen wäre der Hausmeister tatsächlich so jemand aus der Gesellschaft, der nebenbei eine Aufwertung seines Status verdient hätten. Er könnte aktiv werden, wenn sich Schüler voreinander aufbauen oder einem Kind helfen, das kaputte Fahrrad zu reparieren. Einfach eine weitere Person sein, der das Wohl der Gesellschaft und jedes Mitglieds am Herzen leigt und deshalb mit Menschen in Kontakt kommt. Es muss ok sein, wenn ein Fremder einem Kind auch mal Grenzen (auf angemessene Weise) aufzeigt, wenn dies geboten ist. Wenn einer ein Fahrrad zusammentritt, kann ich schon sagen, dass das eine ziemlich bescheuerte Aktion ist. Daran wäre doch nichts auszusetzen, wenn mehr Leute an der Richtung, die unsere Gesellschaft zukünftich nehmen soll aktiv und produktiv mitarbeitet.

Sehen Sie bitte mehr, als diese 16 Worte und verstehen Sie diese nicht als Kritik an ihrer Person. Scheinbar machen Sie ja einen guten Job, sonst würden Sie sich dabei nicht angegriffen fühlen. Am eigentlichen Thema des Textes geht es jedoch meiner Ansicht nach vorbei.

Marie
1 Jahr zuvor

Tja, da sollte die GEW mal entsprechend in NRW aktiv werden, wo derzeit reihenweise Teilzeitanträge abgelehnt werden. DAS trägt garantiert nicht dazu bei, dass LK sich „nach Corona“ wieder „aufrichten“.

laromir
1 Jahr zuvor
Antwortet  Marie

Der Antrag auf ein Sabbatjahr ist nach 4 Monaten jedenfalls nicht entschieden worden. Der Antrag mit 2h mehr ging allerdings schnell durch. Interessant. Und dann kommen die Bitten, ob nicht noch jemand mehr machen könne wenn alle nur nach weniger schreien, weil es nicht mehr geht. Nicht zu vergessen, was alles schief geht, weil man so viel um die Ohren hat, dass man ständig was vergisst und dann noch mehr Stress aufkommt. Und externe Kräfte haben langsam wohl auch keine Zeit und Lust mehr.

Andreas.Müller
1 Jahr zuvor
Antwortet  Marie

Ist in Bayern nicht anders. Die Kolleg:innen wollen sich selbst das Gehalt kürzen, um nicht draufzugehen. Und dann wird der Teilzeitantrag abgelehnt. Da hilft nur: krankmelden.

Klaus.lehmkuhl
1 Jahr zuvor

Nach Corona ? Wieso nach ? Wir sind mitten drin .

Realist
1 Jahr zuvor
Antwortet  Klaus.lehmkuhl

Die GEW hatte schon immer Probleme mit der (schulischen) Realität…

tachelesme
1 Jahr zuvor

„Nach“? Wie witzig.

Carsten
1 Jahr zuvor

Ich bin trotz aller Vorzüge, manchen Nachmittag frei zu haben und oft arbeiten zu können, wann ich es möchte, dafür, dass die als Lehrer in einem Schuljahr zu arbeitenden Stunden (1804 Stunden) am Dienstort abgeleistet werden müssen (ob am Tag oder bei Nacht, ob in den Ferien oder außerhalb derselben). Von mir aus mit Stechuhr. Da würden manche Lehrer bestimmter Fächer erkennen, wie viel man eigentlich tun müsste und viele würden aufatmen. Das Geschrei, wenn eine Arbeit erst nach sechs/sieben Wochen zurückgegeben würde, wäre zwar großa aber ich meine mir sicher zu sein, dass eine derartige Regelung zu mehr Gerechtigkeit führen würde.

Saskia
1 Jahr zuvor

Und wieder mal fordert die GEW Sympathisches, doch sie weiß genau, wie ernst der Lehrkräftemangel ist, so dass ihre Forderung unmöglich erfüllt werden kann. Außer mitfühlender und fürsorglicher Selbstdarstellung hat sie also nichts zu bieten.

Dafür haben ihre schattenpolitischen Aktionen in den vergangenen Jahrzehnten dafür gesorgt, dass der Lehrerberuf immer schwieriger und anstrengender wurde. Sie ist fast auf jede Sau aufgesprungen, die als modern, fortschrittlich und gerecht durchs Dorf getrieben wurde.
Ganztagsschule, eine Schule für alle (Gemeinschaftsschule), Inklusion oder Überfrachtung der Lehrerarbeit mit fragwürdigen Zusatzaufgaben gehen mit auf ihr Konto.

Ich reagiere inzwischen allergisch, wenn sich die GEW mit wohlfeilen Forderungen als Anwältin der Lehrkräfte darstellt.