„Man braucht auch Mumm, sinnvolle Dinge umzusetzen“: CDU-Politiker Jarzombek zur schleppenden Digitalisierung der Schulen

19

BERLIN. Dass es ruckelt bei der Digitalisierung der Schulen, ist keine Überraschung – wie sehr es hakt, schon. Der Düsseldorfer Thomas Jarzombek, bildungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, hat mit einer parlamentarischen Anfrage ans Bundesbildungsministerium mehr Licht ins Dunkel gebracht und zum Beispiel herausbekommen, dass aus dem eigens für IT-Administration bereitsgestellten Sondertopf des Digitalpakts bislang praktisch keine Mittel abgeflossen sind. Wir sprachen mit dem Politiker darüber.

Sprecher der CDU/CSU im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung: Thomas Jarzombek. Foto: Tobias Koch / Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

News4teachers: Eine Kleine Anfrage von Ihnen hat ergeben, dass es beim Digitalpakt nach wie vor mächtig hakt – ganz arg sieht es bei den eigens für IT-Administration bereitgestellten Mitteln aus. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Probleme?

Jarzombek: Wir brauchen für die Kommunen Sicherheit, einen planbaren Rahmen, denn am Ende sind sie es ja, die IT-Fachkräfte einstellen müssen. Und in der Regel werden sie diese auch verbeamten wollen. Das ist in diesem hart umkämpften Arbeitsmarkt ein starkes Argument. Die Kommunen können die IT-Fachkräfte aber nur dann einstellen, wenn sie sicher sein können, dass sie eine Finanzierung durch Bund und Länder langfristig dabei unterstützt. Ich sehe ansonsten eine Menge Kommunen, die überhaupt nicht in der Lage sind, diese Aufgaben zu finanzieren.

News4teachers: Wenn man sich anguckt, welche Konditionen da zum Teil von Unternehmen gewährt werden, gibt es da aus Ihrer Sicht überhaupt eine Chance, dass Kommunen sich das personell leisten können? Oder braucht es externe Unterstützung, um dem riesigen Administrationsaufwand der Schulen Herr zu werden?

Jarzombek: An bestimmten Stellen wird man sich auch Wissen durch Dienstleister hinzukaufen müssen.

News4teachers: Die Digitalisierung in den Schulen ist nur eine von vielen Herausforderungen, welche die Schulen derzeit zu bewältigen haben – dazu kommt, um nur einige Punkte zu nennen, die steigende Zahl von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine, die zu unterrichten sind, der Corona-bedingt hohe Krankenstand in den Kollegien sowie der auch ohne Kranke schon immense Lehrkräftemangel. Wie lassen sich Schulen in dieser Situation für die Digitalisierung gewinnen?

„Bei der Digitalisierung in der Bildung ist es meiner Meinung nach das Wichtigste, Kinder und Jugendliche besser zum Lernen zu motivieren“

Jarzombek: In meiner Zeit als Mitglied im Schulausschuss der Stadt Düsseldorf haben wir auf kommunaler Ebene im Jahr 2000 ein sehr ehrgeiziges Digitalisierungsprogramm mit über 5.000 Computern gestartet, die neu angeschafft wurden für die Schulen. Das waren so viele wie zuvor in der gesamten Stadtverwaltung. Wir haben als Schulträger darauf geachtet, deren Beschaffung mit der der allgemeinen IT-Verwaltung zusammenzubringen, um die Kompetenzen zu bündeln. Das ist, glaube ich, ein Weg, den man gehen muss, um die Schulen zu entlasten. Das wird aber schwieriger, je kleiner die Kommune ist und je weniger spezialisierte Mitarbeitende im IT-Bereich beschäftigt werden.

Bei der Digitalisierung in der Bildung ist es meiner Meinung nach das Wichtigste, Kinder und Jugendliche besser zum Lernen zu motivieren. Das ist aus meiner Sicht das Ziel Nummer eins. Gleichzeitig muss eine individuellere Beschulung ermöglicht werden als Ziel Nummer zwei. Durch motivierte Schülerinnen und Schüler sind die Lernerfolge größer – dazu kann die Digitalisierung beitragen. Davon profitieren am Ende auch die Lehrkräfte. Wir sollten daher unbedingt vom Ziel her denken und uns zunächst fragen, welches Ziel wir mit der Digitalisierung erreichen wollen.

News4teachers: Kann die Digitalisierung auch gegen den Lehrkräftemangel helfen?

Jarzombek: Wir haben in NRW ein Pilotprojekt im Koalitionsvertrag angelegt, in dem wir ganz gezielt MINT-Bildung im OGS-Nachmittag anbieten möchten. Nachmittags findet ja de facto kein Unterricht statt – und nun soll der Frage nachgegangen werden, wie sich die Zeit sinnvoll fürs Lernen nutzen lässt. Dabei soll ein Wettbewerb aus verschiedenen Anbietern und Konzepten entstehen und jedes Projekt am Ende einer Wirkungsanalyse unterzogen werden. Der Vorteil von digitalen Instrumenten besteht darin, dass man sie schnell und preiswert skalieren kann. Wenn ich zusätzliche Lehrkräfte einstellen will, der Arbeitsmarkt aber abgegrast ist, benötige ich dagegen viel Vorlauf, bis neue Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet sind.  Erfolge durch Digitalisierung sind schneller zu erreichen.

News4teachers: Um den Datenschutz tobt ein ideologischer Streit. Die Datenschutzbeauftragten einiger Bundesländer haben sich auf Microsoft eingeschossen – sie lassen erkennen, dass sie am liebsten ein Verbot für Schulen aussprechen würden. Dabei gibt es gar keine dokumentierten Datenschutzverstöße – es soll solchen angeblich vorgebeugt werden. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat nun aber unlängst entschieden, dass öffentliche Auftraggeber darauf vertrauen dürfen, dass IT-Anbieter ihre Versprechen erfüllen. Wie ist Ihre Position in diesem Streit?

Jarzombek: Man muss die Kirche im Dorf lassen. Ein gesunder Pragmatismus ist auch in dieser Frage wichtig. Die Bundesbildungsministerin hat ja angekündigt, dass sie eine Stelle schaffen möchte, die am Ende auch Datenschutzempfehlungen gibt und Zertifizierungen vornimmt. Es wäre sinnvoll, diese Stelle möglichst bald zu schaffen, um einige wichtige Fragen im Datenschutz angehen zu können – zum Beispiel beim Einsatz von iPads, wo Apps durch Updates permanent neue Einwilligungen zu Datenschutzbestimmungen einfordern. Da wären zentrale Empfehlungen sehr hilfreich, damit nicht jede Schule vor Ort selber entscheiden muss, was geht und was nicht geht.

Was mich ärgert: Das plakative Vorgehen einiger Datenschutzbeauftragter gegen gängige Produkte, die sogar im Bundestag verwendet werden, aber vermeintlich zu unsicher sein sollen, um eine Unterrichtsstunde zu übertragen. Gerade bei Produkten, auf die viele Kinder und Jugendliche dann später im Berufsleben zurückgreifen müssen.

News4teachers: Open Source und Open Educational Ressources (OER) sind Stichworte in der Digitalisierungsdebatte – ob Software oder Bildungsinhalte, alles soll möglichst gratis und frei zugänglich sein. Unterschlagen wird dabei, dass das Material ja auch von jemand erarbeitet und dann gepflegt werden muss, im Zweifel von Lehrkräften. Ausgerechnet das von der FDP geführte Bundesbildungsministerium fördert solche Projekte massiv. Wird dadurch der Wettbewerb ausgehebelt?

„Dass der Staat schon mit der Entwicklung einer nationalen Bildungsplattform überfordert ist, hat der Bundesrechnungshof ja unlängst deutlich gemacht“

Jarzombek: Das wird sich zeigen. Ich glaube, nur auf Open Source und OER zu setzen, das wäre Ideologie. Wir brauchen hier einen pragmatischen Ansatz. Dazu gehört auch, dass es einen Markt für private Bildungsanbieter geben muss, weil dadurch eine Menge Innovation entsteht. Wir möchten insbesondere die kleineren Unternehmen und die Startups fördern. Dass der Staat schon mit der Entwicklung einer nationalen Bildungsplattform überfordert ist, hat der Bundesrechnungshof ja unlängst deutlich gemacht. Deshalb wäre es sinnvoll, dieses Projekt zu stoppen, weil es viel zu komplex ist und momentan zu keinen Ergebnissen führt.

Es wäre richtig, dass wir hier Standards vorgeben, pragmatische, umsetzbare Standards und keine unerfüllbaren Lastenhefte. Diese Standards müssen auch mit den Ländern abgeglichen sein, damit nicht jeder sein eigenes Ding macht. Dann soll es einen fairen Wettbewerb zwischen allen Angeboten geben, wo neue wie etablierte Anbieter mitmachen können und auch OER. Wir sind übrigens auch dafür, dass der Staat – wenn er Inhalte einkauft – Verträge schließt, bei denen pro Klick statt eine pauschale Summe bezahlt wird. Das wäre dann ein Anreiz für alle Beteiligten, die Produkte attraktiv und gut nutzbar zu machen. Und das würde auch noch mal einen Innovationssprung auslösen.

News4teachers: Stichwort Innovation. KI in der Bildung ist ein großer Innovationstreiber, international ein ganz großes Thema. Wenn man sich die Datenschutzdebatte in Deutschland anguckt, hätte KI nach aktuellem Stand überhaupt keine Chance. Brauchen wir da nicht einmal auch Leitlinien, vielleicht auch tatsächlich eine Datenschutzkonferenz, organisiert vom Bundesbildungsministerium, die klarstellt, was pragmatisch wünschenswert und machbar ist?

Jarzombek: Man braucht halt auch einfach mal den Mumm, sinnvolle Dinge umzusetzen. Und man muss auch neue Wege gehen. Immer nur auf dem Alten herumzureiten, das funktioniert nicht. Wir haben in unserem Bildungssystem einiges zu tun. Keiner würde sagen, dass es bei uns perfekt läuft. Die Bildungschancen insbesondere für Kinder und Jugendliche aus den eher lernferneren Elternhäusern sind schlecht und daran müssen wir dringend etwas ändern. Insofern müssen wir jetzt die Chancen der Digitalisierung nutzen. Wenn man zu viele Stoppschilder aufstellt, dann kommt man am Ende überhaupt nirgendwo mehr hin. In anderen Ländern können wir sehen, wie viele Möglichkeiten in digitaler Bildung stecken. Andrej Priboschek und Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus, führten das Interview.

Bleibt die Digitalisierung der Schulen auf halber Strecke stecken? Mittel für IT-Administration fließen nicht ab

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

19 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Ron
1 Jahr zuvor

Allein die erfolgreiche Beantragung von Geldern aus dem Digitalpakt, ist eine Herausforderung. Und mit der Bewilligung von Geräten ist es ja nicht getan. Danach fängt die praktische Arbeit doch erst an. Wer sorgt für ausreichend Internet, wer übernimmt die Verantwortung für Datensicherheit und die Wartung der Geräte? Wer schreibt die Konzepte, wer beaufsichtigt die Ausleihe und Rückgabe von Geräten? Wer setzt sich in den Bauausschuss der Stadt- oder Gemeindeverwaltung und wer koordiniert die Installation von Leitungen, WLAN, Server, Smartboards, Beamer, und Tabletstationen in der Schule? Bislang läuft vieles davon ehrenamtlich, ohne Stundenzuweisungen oder Funktionsstelle. Der Umfang der jetzt angedachten Digitalisierung kann vom engagierten Mathe- oder Wirtschaftslehrer aber nicht mehr so nebenbei geschultert werden.

dauerlüfterin
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Dafür gibts doch in NRW jetzt den Digitalisierungsbeauftragten *Ironie aus*

Andre Hog
1 Jahr zuvor
Antwortet  dauerlüfterin

…mit einer Wochenstunde Entlastung!

Könnt ihr die Interessanenten auch alle laut „Hier!“ schreien hören?

dauerlüfterin
1 Jahr zuvor
Antwortet  Andre Hog

Ich schrieb *Ironie aus* (gut, da stand kein *Ironie an*).
Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber vieles im Schulalltag ist nur noch mit Ironie oder Sarkasmus zu handeln. Und die Digitalisierung gehört für mich dazu.

Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  dauerlüfterin

Vielleicht sollte man statt Funktionsstellen und Stundenermäßigungen wieder Orden einführen. Die sind doch trotz der gestiegenen Metallpreise recht überschaubar in den Kosten. Da prangt dann die WLAN-Anerkennungsmarke neben der Linux-Gedenkmedaille auf der stolzen Brust der Kollegin Müller.

Andre Hog
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Großartige Idee…nach einem langen Dienstleben sieht die Brust vieler KuK dann aus, wie die Heldenbrüste der amerikanischen oder russischen Generale beim Präsidentenappell. Hauptsache der Blazer hält die noble Last aus.

Redlich verdient habe ich mir nach dem letzten Lüftungswinter auf jeden Fall den sog. „Gefrierfleischorden“, wie es ihn damals auch für alle Teilnehmer des Ostfeldzuges im Jahr 1941 / 1942 gegeben hat.

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor

Wow, was für ein Experte.

Der glaubt tatsächlich, dass Bildung von mehr Digitalisierung abhängt und dass deshalb auf mehr Lehrer verzichtet werden kann.

Kein Wunder, dass er dann auch 20 Jahre „Heldentaten “ der Digitaliserung Düsseldorfer Schulen aus dem Jahr 2000 als Beweis einer Kompetenz anbietet.

Dass digitale Medien langfristig motivieren, ist auch schon längst widerlegt. Das hat sich aber zu Jarzombek offensichtlich noch nicht rumgesprochen.
In den Niederlanden haben sich Schulen vom intesiven Gebrauch von iPads schon wieder verabschiedet. Dabei haben sie auch erkannt, dass die Motivation durch die Geräte sehr schnell wieder sinkt, wenn der Neuheitseffekt verpufft ist und die Arbeit damit Alltag ist.

Gibt es heute noch Arbeitehmer, die besonders motiviert zur Arbeit gehen, weil dort Computer stehen?

GS in SH
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Habe ich auch gerade gedacht! In dem Lockdown haben wir unsere Grundschüler mit Lernapps, Erklärvideos, digitalem Arbeitsmaterial beglückt.
Zuerst fanden alle das toll, die Begeisterung hielt aber nur kurz an. Da die Beziehungsebene fehlt, waren sie schnell abgelenkt und gelangweilt.

Ich stelle den Kindern frei, ob sie ihre Lernwörter über die Übungsapp oder ganz altmodisch durch Abschreiben üben wollen. Seit Monaten hat kein Kind die App mehr genutzt.

NAWI in der OGS am Tablet zu lernen ist wohl ein Witz! Die Grundschüler sollen raus, am Teich oder auf der Wiese ihre Beobachtungen machen, aus Ästen und Zweigen ein Zelt bauen, im großen Sandkasten Tunnel graben, das Hochbeet pflegen, in der Cafeteria gesunde Snacks herstellen, überlegen, wie man einen Nistkasten herstellen kann und wo man ihn am besten aufhängt, und ganz allgemein: spielen, sich ausprobieren, kreativ sein dürfen.

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Das Interesse verpufft auch recht bald, wenn die Schülys l e r n e n müssen – auf ihren Spiel- und Freizeitgeräten… 😉

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

Ganz genau so ist es.
So sieht Praxis aus!

Bei den älteren SuS verkehrt sich das auch schnell mal ins Gegenteil, wenn sie dann merken, dass keine Ausrede mehr zieht, Aufgaben und sogar Zeitpunkt ihrer Bearbeitung, des ersten Aufrufes, Interaktionsfrequenz usw. lückenlos mit einem Tastendruck abrufbar sind – fürs ganze Schuljahr.

Walter Hasenbrot
1 Jahr zuvor
Antwortet  447

Ist diese totale Kontrolle von Schülern für Sie pädagogisch sinnvoll?

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Wo genau kann ich jetzt dieses „Mumm“ herunterladen, App Stur oder Play Stur?

Andre Hog
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Mensch Dil, den gibt es doch auf Flaschen gezogen in jedem gutsortierten Laden zu kaufen…man muss ihn nur entkorken – und wenn man die Pulle ein wenig vor lauter Vorfreude geschüttelt hat, kommt einem der Inhalt schon entgegen…eine prickelnde Angelegenheit. 😉

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor
Antwortet  Andre Hog

Achso, das ist verkorkst.

Alx
1 Jahr zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Freixenet oder Rotkäppchen funktionieren auch. Wir haben das im Kollegium getestet.

Andre Hog
1 Jahr zuvor

„Man braucht auch Mumm, sinnvolle Dinge umzusetzen“

Wow, was für ein Statement….kann ich das anders herum auch mal hören?

„Man braucht auch Mumm sinnlose Dinge einfach mal wegzulassen.“

Das als Credo und ernsthaft vorgetragen und in die Praxis getragen würde den ĹuL unglaublich viel Ballast ersparen.

Carsten
1 Jahr zuvor

Ist „Digitalisierung“ eines dieser Gummiwörter, unter dem jeder verstehen kann, was er will ?

GriasDi
1 Jahr zuvor

Noch mehr Mut braucht es, sinnlose aber populäre Dinge nicht umzusetzen.

Grundschullehrer
1 Jahr zuvor

Als wäre die Digitalisierung unser wichtigstes Anliegen.. Da hat eine Lobby erstklassige Arbeit geleistet.