Jugendstudie: Neuntklässler haben kaum Vertrauen in Politiker und Parteien

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STUTTGART. Krieg, soziale Ungleichheit und Klimawandel – das sind die Themen, die Schülerinnen und Schülern die meisten Sorgen bereiten. Und: Jugendliche haben kaum Vertrauen in die Politik. Dies sind Ergebnisse einer Jugendstudie, die die Universität Stuttgart unter Neuntklässlern im Auftrag des Kultusministeriums von Baden-Württemberg durchgeführt hat. 

Die wenigsten Jugendlichen haben Vertrauen in die Politik – und in Politiker (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Die Schule als Wohlfühlort, Bekenntnisse zur Demokratie, aber auch Sorgen wegen des Krieges und des Klimawandels: Die Jugendstudie 2022 wirft ein Schlaglicht darauf, was die Jugendlichen beschäftigt, was ihnen Kummer macht und wem sie vertrauen.

Für Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper bedeuten die Ergebnisse auch: Sie hat Hausaufgaben. Die Ergebnisse sollen mit den Schülerinnen und Schülern besprochen und nachgearbeitet werden. Und die Politik ist gefragt, denn die Jugendlichen haben wenig Vertrauen in Parteien und Politiker. Das sei ein «permanenter Aufklärungsprozess», den die Politik zu leisten habe, sagte Schopper bei der Vorstellung der Studie am Freitag.

Wer und wie wurde gefragt?

Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Stuttgart führte die Studie im vergangenen Frühjahr im Auftrag des Kultusministeriums durch. Es wurden die Antworten von 2160 Neuntklässlerinnen und Neuntklässlern aus 107 Schulen berücksichtigt – aus allen Schulformen. Die meisten der Befragten waren zum Zeitpunkt der Studie also 15 oder 16 Jahre alt. Zwar gab es die Jugendstudie schon öfters, allerdings sind die Aussagen nicht wirklich vergleichbar.

Was sind aus Sicht der Ministerin positive Ergebnisse?

Für Theresa Schopper gab es zwei sehr positive Ergebnisse: Eine große Mehrheit der Jugendlichen fühlt sich in der Schule (79,1 Prozent) und in der eigenen Klasse (81,1 Prozent) wohl. «Das ist, glaube ich, durchaus auch ein Punkt, der nach Corona noch mal mehr wertgeschätzt wurde», sagte Schopper mit Blick auf die Schulschließungen während der Pandemie. «Man hat gemerkt, dass der Lebensraum Schule genauso wichtig ist für viele Schülerinnen und Schüler wie der Lernort Schule.»

Außerdem bekannten sich sehr viele der Teenies zur Staatsform Demokratie, 88 Prozent bewerteten ein demokratisches System als gut oder sehr gut. Das sei «ein Ergebnis, das einen ruhiger schlafen lässt», sagte die Grünen-Ministerin. Dabei beunruhigt es sie auch nicht sonderlich, dass nur knapp die Hälfte der in der Jugendstudie befragten Schülerinnen und Schüler (47 Prozent) «äußerst» oder «eher» zufrieden mit der Demokratie in Deutschland. Als «teilweise zufrieden» bezeichnen sich 35 Prozent; immerhin 18 Prozent sind «eher» oder «äußerst unzufrieden». Bemerkenswert: Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sind deutlich zufriedener mit der Demokratie als Schülerinnen und Schüler, die andere Schularten besuchen.

Wie stehen die Jugendlichen zur Politik?

Dass sich das politische Interesse der Jugendlichen offenkundig in Grenzen hält, passt ins Bild. 39 Prozent gaben an, sich wenig oder gar nicht für Politik zu interessieren; 86 Prozent haben demnach noch kein Angebot zur politischen Bildung außerhalb der Schule wahrgenommen. Die «Brücke zum eigenen Engagement» sei in diesem Alter noch nicht gelegt, sagte Schopper.

Noch bedenklicher aus Sicht der Parteien: Die Resultate zeigen, dass lediglich knapp über 14 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler angeben, eher mehr oder volles Vertrauen in Politikerinnen und Politiker zu haben; rund 42 Prozent haben hingegen kein oder nur wenig Vertrauen. Am schlechtesten schneiden politische Parteien ab: Unter 7 Prozent der Befragten geben an, eher mehr oder volles Vertrauen zu haben, knapp über 45 Prozent berichten, eher kein oder überhaupt kein Vertrauen zu haben.

Was bereitet der Ministerin und den Experten Sorgen?

Nur 8 Prozent der Mädchen sagten, dass sie sich in der vergangenen Woche nie oder fast nie Sorgen gemacht hätten, bei den Jungen waren es 28 Prozent. Dabei wurde hier aber nicht konkret abgefragt, ob diese Sorgen eher akute Probleme betrafen – etwa ein Referat in der Schule oder Liebeskummer – oder von grundsätzlicherer Natur waren.

Allerdings gab es tatsächlich mehrere Themen, die den Befragten wirklich Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte bereiten – allen voran die Themen Krieg und Terror. Man sehe an den Ergebnissen, dass der Ausbruch des Krieges in der Ukraine auch für die Kinder ein «einschneidendes Erlebnis» gewesen sei, sagte Schopper. Insgesamt 85,8 Prozent hatten angegeben, sich sehr große, große oder mittelgroße Sorgen deswegen zu machen. Auch die Themen soziale Ungleichheit/Armut und der Klimawandel machen den Jugendlichen zu schaffen.

Da ist es für die Experten ein positives Signal, dass 77 Prozent angaben, sich an eine Vertrauensperson wenden zu können, wenn es ihnen schlecht geht. Für die meisten ist das jemand aus der Familie (82 Prozent) oder dem Freundeskreis (77 Prozent). Am wenigsten Sorgen machten sich die Jugendlichen über die Corona-Pandemie und Zuwanderung nach Deutschland.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Kultusministerin hat nun Hausaufgaben zu erledigen – und diese bereits fest eingeplant. Im zweiten Quartal dieses Jahres sollen die Ergebnisse mit den Jugendlichen in sechs Konferenzen an unterschiedlichen Orten im Südwesten besprochen werden. Im Sommer soll es dann eine große Fachkonferenz mit allen Ergebnissen geben. Wie diese Konferenzen gestaltet werden sollen, werde noch besprochen.

Eine der Studienleiterinnen der Uni Stuttgart, Christine Sälzer, mahnte, die Ergebnisse ernst zu nehmen. «Im Moment haben Kinder und Jugendliche wirklich eine sehr geringe Lobby», sagte die Professorin für Erziehungswissenschaften. Gleichzeitig müssten sie aber für ganz schön viel aufkommen, für das sie nichts könnten – wie Klimawandel oder Rentensystem. «Das, was sie uns mitzuteilen haben, das sollten wir auf jeden Fall sehr ernst nehmen.»

Wie ist die Resonanz aus der Politik?

Naturgemäß sorgen sich die Politiker nun besonders um das geringe Vertrauen der Jugend in sie und in politische Parteien. Die Enttäuschung über die Politik sei ein Alarmsignal, sagte der SPD-Bildungspolitiker Stefan Fulst-Blei. «Als Politikerinnen und Politiker müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen!» Aufgabe sei es jetzt, noch mehr zuzuhören. «Und wir müssen zeigen, dass wir die Belange der jungen Menschen ernst nehmen.»

Für die Grünen sagte der Sprecher für Jugendpolitik, Erwin Köhler: «Dass Jugendliche in der Politik gehört werden wollen, zeigt, dass die junge Generation einen politischen Gestaltungswillen hat.» Baden-Württemberg gehe da mit der Reform des Kommunalwahlrechts mit gutem Beispiel voran. Er rief auch dazu auf, «dass sich Abgeordnete jeglicher Couleur und innerhalb des demokratischen Spektrums noch mehr in Schulen als ohnehin schon zeigen und die Stimmen des Nachwuchses ernst nehmen». News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zur vollständigen Jugendstudie Baden-Württemberg.

Demokratiekosmos Schule

Die Jugendstudie Baden-Württemberg macht einmal mehr deutlich, wie wichtig Demokratiebildung ist – es gibt immer wieder Situationen im Unterricht, in denen Lehrkräfte gefordert sind, Haltung zu zeigen. Das Projekt „Demokratiekosmos Schule“ (DEKOS) soll Lehrkräfte dabei unterstützen. Es zeigt auf, wie antidemokratischen Provokationen in der pädagogischen Praxis begegnet werden kann.

Mit unterschiedlichen Formaten erhalten Lehrkräfte anwendungsorientiertes Know-how. DEKOS zeigt Wege auf, wie sie sich diesen Herausforderungen stellen und angemessen handeln können.

DEKOS, ein gemeinsames Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung mit der Bertelsmann Stiftung, wendet sich an Schulleitungen, Lehrer/innen und Schulsozialarbeiter/innen. Adressiert werden die siebte bis zur 13. Jahrgangsstufe. Da Diskriminierungen in allen Schulsituationen auftreten, betrifft das Thema alle Unterrichtsfächer. DEKOS ist auch geeignet, in Aus- und Fortbildungsbereichen eingesetzt zu werden.

Hier geht es zu den kostenlosen Materialien.

Demokratie- und Wertebildung? So wichtig (aber derzeit an den Schulen kaum leistbar) – VBE-Vize Fleischmann im Interview

 

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14 Kommentare
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Monika, BY
1 Jahr zuvor

Schlaue Kinder!

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Monika, BY

Jepp. Jede Generation hat ihre Schwächen – aber eben auch ihre Stärken. Die aktuelle Jugendgeneration zeigt da eben auch einige Stärken.

Monika, BY
1 Jahr zuvor

Diese, unsere Jugend ist einfach, wie immer, maßlos untergeschätzt.

Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor

Die Politik hat ja als treue Gefolgsleute der Großbanken und Großindustrie viele Eltern in die Armut getrieben, diese geben ihr Misstrauen und ihren Hass natürlich an ihre Kinder weiter.

Ron
1 Jahr zuvor

„Und die Politik ist gefragt, denn die Jugendlichen haben wenig Vertrauen in Parteien und Politiker. Das sei ein «permanenter Aufklärungsprozess», den die Politik zu leisten habe,…“

Den Parteien laufen ihre Fans und Grupies weg – auch und gerade unter Jugendlichen. Dies trifft auch die Grünen mit voller Härte. Nix mehr mit hip und trendy. Der „sogenannte Aufklärungsprozess“ ist eine verdeckte Werbekampagne. Politiker wollen ganz dicht ran an den Nachwuchs. Die Politik liegt nämlich nie falsch – sie hat es nur noch nicht gut genug erklärt.

Alx
1 Jahr zuvor

Welche Gründe haben die Kinder, Politikern oder Parteien zu trauen?

Wenn man oft genug enttäuscht wird, schwindet das Vertrauen.

Welche Partei hat jemals nicht versprochen, mehr für die Bildung zu tun?

Würden sie dem Piloten vertrauen, der im Sturzflug verspricht, dass die Triebwerke gleich aufhören zu brennen?

Realist
1 Jahr zuvor

„Eine große Mehrheit der Jugendlichen fühlt sich in der Schule (79,1 Prozent) und in der eigenen Klasse (81,1 Prozent) wohl.“

„…, dass lediglich knapp über 14 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler angeben, eher mehr oder volles Vertrauen in Politikerinnen und Politiker zu haben; rund 42 Prozent haben hingegen kein oder nur wenig Vertrauen.“

Eine schallende Ohrfeige für die Politik!

Wer macht hier also seine Arbeit nicht richtig? Die Lehrkräfte oder die Politiker?

Aber da wir es ja gewohnt sind, dass die Politiker jegliche Verantwortung für ihr Versagen weit von sich weisen und die Schuld, wie immer, auf andere abzuladen versuchen, ist auch klar, wie die Reaktion ausfallen wird:

Die f.. Säcke müssten die Schüler einfach mehr für Politik „begeistern“ und dafür sorgen, dass die Politik in dem Licht erscheint, das sie verdient… oder wird letzteres sogar schon gemacht?

Georg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Realist

Wo ist das Problem für die Politiker? Die 42% ohne Vertrauen entsprechen fast dem Nichtwähleranteil. Die Jugendlichen sind diesbezüglich kaum besser oder schlechter als die Erwachsenen.

Dil Uhlenspiegel
1 Jahr zuvor

Da hat wohl jemand genau hingeguckt und die Bremsscheiben haben doch noch etwas Belag drauf. In zugigen Räumen und mit kalten Fingern, vom einen Waschbecken weit hinten drüben, lässt es sich eben gut nachsinnen.

Last edited 1 Jahr zuvor by Dil Uhlenspiegel
Mondmatt
1 Jahr zuvor

Was erwartet die Politik denn nach 30 Jahren Sparmaßnahmen, gebrochenen Versprechen, überbordender Verwaltung, unfähigen Entscheidungsträgern, erhöhtem Renteneintrittsalter in eine nicht funktionierende Rente, Schaffung eines riesigen Niedriglohnsektors bei gleichzeitig explodierenden Renditen, Fakt-Klimaschutz u.v.m denn von den Schülern???

Das die Jugendlichen umfassendes Vertrauen haben oder gar La Ola für die tolle Performance macht.

Vertrauen muss man sich auch verdienen.

Also eigentlich toll, dass die Schüler das Handeln der Politik, trotz TicToc, so weit durchschaut haben.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Mondmatt

Haben die Schüler das wirklich durchschaut? Ich fürchte, sie sind nur (zu recht) frustiert. Schön wäre es, sie würden es wirklich durchschauen und etwas tun (nicht nur sich irgendwo fürs Klima festkleben). Sie könnten ja auch mal für ihr Recht auf Bildung auf die Straße gehen und sich zum Beispiel auch mal vor den KuMis festkleben!

Echt
1 Jahr zuvor

Das bedeutet nichts Gutes für die gesellschaftliche Entwicklung. Die Familien stehen mitten im Leben. Sie erleben großteils reale Wohlstandsverluste. Das Erleben von Selbstwirksamkeit, Einfluss auf das eigene Leben nehmen zu können, schwindet spätestens seit den Coronajahren. Die Jugendlichen erleben vielfach die Sorge um hohe Steuer- und Abgabelasten ihrer Eltern, deren Erhöhung von einigen Parteien selbstverständlich in den Raum gestellt werden, während das frei verfügbare Einkommen für viele schwindet. Anderere Jugendliche erfahren sehr eingeschränkte Telhabemöglichkeiten. Welche Perspektiven sehen Jugendliche aktuell für sich. Welche beruflichen Optionen bestehen, um sich ein einigermaßen unabhängiges Leben gestalten zu können? Da ist der Klimawandel, der auch zum Schüren von Ängsten genutzt wird. Da entlassen große Firmen (Ford, BASF) und verlassenen Deutschland immer mehr. Die Produktion verlagert sich nicht in klimaschonendere Länder. Tatsächlich entstehen woanders immer mehr Emissionen, während unsere Wirtschaft klimafreundlicher, aber auch weniger wettbewerbsfähig wird. Die meisten Jugendlichen sind nicht naiv. Unsere aktuelle Politik empfinde ich nicht als Hoffnungsträger für eine sichere Zukunft. Sie wirkt ebenfalls hilflos, trotz großer Reden. Wir erleben tatsächlich eine Zeitenwende. Wer historische Parallelen erkennt, dem wird ebenfalls flau.

Alex
1 Jahr zuvor

Obwohl ich Jugendliche oft kritisiere, bin ich über ihr fehlendes Vertrauen in Politik und Parteien gar nicht so enttäuscht. Ich selbst habe ja auch kein Vertrauen mehr und misstraue darüber hinaus den sogenannten Leitmedien.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Alex

Die gesellschaftliche Führungsschicht zeigt ja nun seit Jahren das, was „der kleine Mann“ nun nachmacht.
Die Politik sticht dort besonders hervor.

„Wie der Herr, so ’s Gescherr.“ – die Klagen von oben zeigen direkt zurück auf die Verursacher.