Montessori: Digitalisierung und Nachhaltigkeit in die Grundschule bringen – kindgerecht!

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STUTTGART. Digitalisierung und Nachhaltigkeit – diese beiden Zukunftsthemen fordern auch die Pädagogik heraus. Montessori liefert passende Antworten, wie der vorliegende Gastbeitrag (im Folgenden: Teil zwei) erläutert. Die Autorinnen wissen aus der Praxis, wovon sie schreiben: Jana Reiche ist Leiterin der Landwegschule im brandenburgischen Groß Pankow, die Biologin und Buchautorin Dr. Silke Kipper ist Lehrerin dort. Die beiden stellen ihre Thesen am 9. März 2023 auch auf der Bildungsmesse didacta in Stuttgart am Stand von Montessori Deutschland* vor.

Hier geht es zu Teil 1 des Beitrags „Montessori hätte ein Tablet“.

Digitale Technik hilft Schülerinnen und Schülern, sich eigenständig Inhalte zu erschließen – das passt zu Montessori. Foto: Shutterstock

Umwelthandeln gehört genauso in den Grundschulbereich wie der Umgang mit digitaler Technik

Wie digitale Medien zu einem selbstverständlich integrierten Teil des Grundschulalltags werden, haben wir bereits an anderer Stelle am Beispiel des Distanzunterrichts detailliert beschrieben (Reiche u. Kipper, 2020). Hier wollen wir nun den Bogen etwas weiter spannen über die Übungen der Musterbildung und der Ja-Nein oder Wenn-Dann-Entscheidung im Kinderhaus, das sachkundliche Themengebiet Strom und Schaltkreise bis hin zur Medienmündigkeit am Ende der Grundschulzeit.

Neben dem Training des „digitalen Denkens“, das in wesentlichen Teilen auch im Rahmen des Mathematikunterrichts stattfindet, kann die praktische Arbeit in der Grundschule damit beginnen, die Hardware zu erkunden. Defekte Geräte werden aufgeschraubt und auseinandergenommen, in ihre Einzelteile zerlegt. Bevor Kinder also die Nutzung der Tablets kennenlernen, schauen sie in das Innenleben. Sie üben dabei den Gebrauch von Werkzeugen, die Arbeit im Team, sie geben klare Anweisungen und bilden Reihen.

Nienhuis Montessori

Maria Montessori. Foto: Nienhuis Montessori

Kennen Sie Albert Nienhuis? Der niederländische Zimmermann stellte in enger Zusammenarbeit mit Maria Montessori Lernmittel her, die ihrer pädagogischen Vision entsprachen. 1929 gründete er Nienhuis Montessori, den weltweit führenden Anbieter von Montessori-Materialien. Nienhuis Montessori ist auch auf der Bildungsmesse didacta 2023 vertreten.

Seit über 85 Jahren vereint das Unternehmen Handwerkskunst mit technischer Finesse. Die Produktwelt von Nienhuis Montessori ermöglicht es Kindern heute so gut wie zu Albert Nienhuis Zeiten, ihre Welt eigenständig zu erkunden. Wir nutzen nur beste Materialien, verarbeitet mit Sorgfalt, Hingabe, dem Blick fürs Detail – und einer tiefen Verbundenheit mit der Pädagogik Maria Montessoris. Seit Jahrzehnten bereits ist Nienhuis Montessori offiziell von der Association Montessori Internationale anerkannt.

Hier bekommen Sie weitere Informationen über Nienhuis Montessori.

Besuchen Sie uns auf der didacta 2023 in Stuttgart! Halle 7, Gang D, Stand 81

Parallel dazu lernen sie die großen Leistungen der Forscher:innen vor ihnen kennen, erfahren von der Entwicklung der Computertechnik und erleben, wie sich digitale Medien verändert haben. Sie finden heraus, wie „digital“ funktioniert. Sie programmieren zunächst mittels einfacher Anweisungen und ganz ohne Bildschirm und Tastatur wie den Cubeto Roboter aus Holz. Später werden einfache Programmiersprache mit der Code-Kiste geübt oder erste eigene kleine Anwendungen in Scratch erstellt. Mit einem Makey-Makey, einem kleinen Bausatz, kann die Hardware-Software-Schnittstelle erkundet werden, die Tastatur ist „ausgelagert“.

So kann zum Beispiel ein sprechendes Plakat entstehen, das bei Berührung Text abspielt, welcher zunächst recherchiert und geschrieben werden mussten. Ganz nebenbei werden so auch die Leitfähigkeit von Stoffen sowie die Bedingungen für einen Stromkreis erkundet. Der Micro:Bit ist ein weiterer sehr vielseitig einsetzbare kleiner Mini-Computer, der über verschiedene Sensoren verfügt und von den Kindern programmiert wird. Er kann ein elektronischer Zufallswürfel werden, ein Schrittzähler, eine Türklingel. Oder er kann die Funktion diverser Messgeräte bei naturwissenschaftlichen Erkundungen übernehmen, je nachdem, wie die jungen Computerexpert:innen ihn programmieren. Die Erkenntnis ist hier, dass eine kleine Leiterplatte mit einigen verknüpften Sensoren sehr viel kann, jedoch nur mittels unserer konkreten Anweisung, also mittels Programmierens. Eine Technik gut kennen, heißt, sie in der aktiven Anwendung zu erleben, in ihr Regelwerk einzudringen. Erst viel später meint das die Nutzung von Apps auf einem Tablet.

Ein Nachsatz an alle, die beim Lesen dieser Schilderungen das Bild einer Informatik-Lehrkraft vor Augen haben, die die hochsensiblen teuren Gerätschaften verwaltet und den Kindern zeigt, wie sie genutzt werden müssen: Alle beschriebenen Gadgets sind für unter 100 Euro zu erwerben, die meisten sogar deutlich preiswerter. Viele sind miteinander kompatibel. Und was das Lehren angeht, das übernehmen die die Kinder ganz schnell selbst. Sie hatten das Anwendungspotenzial von Makey-Makey oder Micro:bit schon ausgelotet und tauschten sich mit Expertise über Variablen, logische Bedingungen und Schleifen aus, während wir als ihre Lernbegleiter:innen noch mit den Begrifflichkeiten kämpften.

Zur Medienbildung gehört es, Datenspuren im Netz lesen und verstehen zu können. Wenn für bestimmte Fragestellungen die Schulbibliothek nicht mehr ausreicht, wird das selbständige Recherchieren auf Kindersuchseiten notwendig und es muss genauso eingeübt werden wie das Heraussuchen eines geeigneten Buches und das Aufspüren der Information darin.

Mit einem Tablet-Führerschein zeigen die Kinder, dass sie Grundlagen der Nutzung und der Sicherheit im Netz kennen. Je höher die Jahrgänge, desto relevanter werden Fragen zu Medienmündigkeit, Quellenrecherche oder Cybermobbing. Verantwortliches Verhalten üben Kinder analog in ihren Klassengemeinschaften. Im Netz kommt ihnen das zugute. Wer diese Logiken versteht, der oder die kann digital Agieren und im darauffolgenden Schritt die digitale Welt mitgestalten. Kann für ein Naturwissenschafts-Experiment programmieren, für eine Forschungspräsentation einen Stop-Motion-Film drehen oder einen Blog mit Inhalten und vor allem Meinung füllen. Ob analog oder digital gestaltet wird, hängt vom Anliegen und Adressat:innen ab.

Auch hier geht es darum, möglichst nah am echten Leben zu agieren. Etwas lernen, um es für die Gemeinschaft zu nutzen! Die Kinder hinterlassen in der Schule im sehr geschützten Rahmen digitale Spuren, einige von ihnen vielleicht zum ersten Mal. Während ein Material wieder abgebaut und eine Meinungsäußerung vielleicht vergessen wird, ist eine digitale Datenspur etwas Bleibendes. So wird die Auseinandersetzung, wie wir in diesem Raum miteinander umgehen wollen, sehr konkret und bedeutungsvoll.

Resümee für die Schulpraxis

Die Erkenntnis, dass digitales Denken keinen Bildschirm braucht, hat sich bereits durchgesetzt. Programme sind Algorithmen, also eine logische Aneinanderreihung von Anweisungen. Nun sollte der Einzug in die Praxis erfolgen, denn diese Art des Denkens ist eine wichtige Kompetenz, die analog, sehr gut geübt werden kann. „Analog vor digital“ ist dabei jedoch nicht unser Leitgedanke, weil wir beides im 21. Jahrhundert nicht losgelöst betrachten und keine Präferenz haben. Gegensatzpaare zu proklamieren, bedient vielleicht unsere Suche nach Ordnung und Orientierung im neuen Terrain, es wird den neuen Bildungszielen aber nicht gerecht. Sagen wir es doch so: Ohne verantwortliches und kreatives Agieren in der analogen Welt, keine digitale Entfaltung.

Medienbildung und Mediennutzung gehören in das methodische Portfolio der täglichen Schulpraxis. Laut Bildungsauftrag und Rahmenlehrplan auch in eine Grundschule. Montessorischulen können sich beim Einsatz digitaler Technik auf Maria Montessori berufen. Sie hat Technologie nicht abgelehnt, sie hat sie als Notwendigkeit beschrieben und uns aufgefordert, unser Angebot dahingehend zu aktualisieren. So vorausschauend, aber gleichzeitig auch voller Zuversicht, müssen auch wir Lehrkräfte, unter Kenntnis der von M. Montessori beschriebenen Entwicklungsstufen, agieren.

Maker-Spaces statt Klassensätze! Klassensätze verführen dazu, dass vorne eine:r vormacht und alle nachmachen. Stattdessen sollte die kreative Auseinandersetzung im Mittelpunkt stehen. Materialkisten und Vielfalt in den Angeboten ermöglicht individuelle Zugänge und fördert das kooperative Arbeiten. Kein Material ist immer zeitgleich für alle da. Meist ist die Erkundung und Nutzung digitaler Technik gekennzeichnet durch einen wunderbar bereichernden gemeinsamen Lernprozess zwischen Lehrer:innen und Schülerschaft.

Digitalisierung ist Teilhabe. Das hat der Klimastreik eindrücklich gezeigt. „Durch die Digitalisierung haben diese Streiks der Jugend eine Stimme zum Thema Klima gegeben und eine neue Kohorte aktiver Bürger geschaffen“ [1] Konkret bedeutet das, wenn wir Kinder im Kontext von BNE ermächtigen wollen, müssen wir ihnen auch die modernen Ermächtigungsinstrumente in die Hand geben wollen. Medienmündigkeit ist auch politische Bildung. Wir wissen darum, dass wir für eine ungewisse Zukunft unterrichten. Das Erlernen des einst zukunftsweisenden, und gerade für Frauen arbeitsqualifizierende, Zehnfinger-Tippsystems ist ebenso überholt wie das Nachschlagen im Wörterbuch.

Wir wollen hier nicht falsch verstanden werden: beides kann für Kinder spannende und gewinnbringende Lernprozesse bereithalten – aber zukunftstauglich wird es aller Voraussicht nach nicht sein. Wischen und Tippen müssen Kinder nicht lernen. Was aber dann? Und damit sind wir wieder mitten in den unter „Nachhaltigkeit“ beschriebenen 21st Century skills: Kreativität, Kommunikation, kritisches Denken und Problemlösen sowie Kollaboration. Diese Kompetenzen sind in bereits praktizierten Handlungskonzepten sichtbar, lasst uns voneinander abschauen!

Wer durch Nutzung digitaler Optionen Papier spart, kann trotzdem der Umwelt schaden. Nutzung digitaler Technik entbindet nicht von der Verantwortung ressourcenschützenden Handels.

Weder für „Nachhaltigkeit“ noch für „Digitalität“ braucht es ein eigenes Schulfach. Im Gegenteil, das würde den Rückfall in altes Denken und starre Bildungskonzepte bedeuten. Nachhaltigkeit und Medienbildung gehören zusammen. Eine Integration dieser Themen in die Praxis braucht zunächst eine Änderung des Verständnisses der Rolle der Lehrkraft. Team statt Alleingang, gemeinsam lernen statt lehren. Dieser gemeinsame Lernprozess setzt kooperative Strukturen in Kollegien voraus. Neben der pädagogischen Verankerung geht es bei gelebter Nachhaltigkeit um die Entwicklung der Gesellschaft im Allgemeinen, das sollte sich in der Umsetzung innerhalb der Schule widerspiegeln. Gelungene, oder eben auch mal gescheiterte, konkrete Umsetzungsideen brauchen Öffentlichkeit und Netzwerke. Momentan erleben wir eine sehr dynamische Situation, die ihre Zielsetzung noch nicht gefunden hat. So wie es Sprecher:innen der Klimabewegung gibt, bräuchte es diese auch für die Nachhaltigkeit an Schulen. Weil so Erfahrungen und Erkenntnisse gebündelt werden würden und in Richtung von Gesellschaft und Politik klare Erwartungen formuliert werden könnten. Da steht uns die Hoheit der Länder in der Bildungspolitik eventuell etwas im Weg, aber im Kern geht es alle an und ist als Bildungsziel auch in allen Ländern formuliert.

Wir wollen wiederholen, was Maria Montessori vor vielen Jahrzehnten formulierte. Es geht darum, dass Kinder ihren Platz, ganz bildhaft ihren eigenen „Standpunkt“, in der Welt finden. Es ist Aufgabe der Schule, „jenes menschliche Verstehen und jene Solidarität zu entwickeln, die heute so sehr fehlen“ [2] Wir sind überzeugt davon, dass das gelingen kann und Kinder des 21. Jahrhunderts einen sinnführenden Erkenntnisgewinn haben, wenn ihre Lehrer:innen aus dem 20. Jahrhundert bereit sind, die neuen Herausforderungen anzunehmen, ihre Rolle neu zu definieren, gemeinsame Lernprozesse einzugehen. Ganz nebenbei revolutioniert das auch die Schule als solches. Hier geht es zu Teil 1 des Beitrags „Montessori hätte ein Tablet“. 

* Montessori Deutschland ist auf der didacta in Halle 7, Gang D, Stand 80 zu finden. Hier geht es zum vollständigen didacta-Programm von Montessori Deutschland. 

[1]  https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/letzten-generation-kontraproduktiv/

[2] Maria Montessori: Kosmische Erziehung, Kleine Schriften 1, Freiburg 1988, S. 93f.

Bildungsarbeit in allen Entwicklungsstufen meistern: Montessori Deutschland lädt zur didacta 2023

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Alx
1 Jahr zuvor

Ich finde das Konzept in Bezug auf Digitalisierung sehr gelungen.
Besonders schön ist die Kombination von Scratch, Makey-Makey und Micro:bit, einfach weil die Schnittstellen schon da sind.

Ich hätte aber doch lieber einen Klassensatz 🙂

Last edited 1 Jahr zuvor by Alx