Kita-Reform: 120 Millionen Euro-Loch gestopft – Preis: Absenkung von Standards

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KIEL. Zuletzt fehlten in Schleswig-Holstein 120 Millionen Euro zur Finanzierung der Kitas (News4teaches berichtete). Nun haben sich die Kommunen und das Land vorerst über die Finanzen geeinigt. Doch es bleiben Fragen offen.

Schleswig-Holstein stopft die Finanzierungslücke im Kita-Bereich, ohne die Eltern zusätzlich zu belasten. Foto: Shutterstock

Land und Kommunen haben eine Einigung über die künftigen Kita-Kosten in Schleswig-Holstein erzielt. Die bisher klaffende Finanzierungslücke von 120 Millionen Euro pro Jahr werde geschlossen, kündigte Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) im Landtag an. Land und Kommunen stellen jeweils 20 Millionen Euro zusätzlich bereit. Für die Eltern sollen die Kitakosten nicht steigen.

Den Rest will Touré durch Bürokratieabbau und einen neuen Anstellungsschlüssel sowie die Absenkung von Standards erreichen. Dies hatte sie bereits Anfang des Jahres angekündigt (News4teachers berichtete): „Wenn wir theoretische Qualitätsstandards haben, die aber in der Realität zu Schließungen oder einem eingeschränkten Kita-Betrieb führen, ist niemandem geholfen“, so die Ministerin. Sie wolle Vorgaben nicht streichen, sondern mehr Flexibilität ermöglichen und Bürokratie abbauen. „Wenn Fachkräfte mehr mit Bürokratie als mit ihrer eigentlichen Aufgabe beschäftigt sind, ist das in Zeiten des Fachkräftemangels ein Problem.“

Mit einem neuen Schlüssel soll der Gruppenbezug entfallen, Kitas sollen zukünftig vor Ort ihr Personal selbst flexibler einsetzen können und finanzielle Mittel zielgerichteter eingesetzt werden. Dabei gilt weiterhin der Standard von zwei Fachkräften pro Kita-Gruppe.

Das bestehende Kindertagesförderungsgesetz (KitaG) wird derzeit grundsätzlich überarbeitet und dem Parlament nach der parlamentarischen Sommerpause übersendet. Die neuen Maßnahmen des KitaG werden zum 1. Januar 2025 in Kraft treten.

«Das bisherige Finanzierungssystem bleibt bestehen»

Insgesamt stehen in Schleswig-Holstein rund 1,8 Milliarden Euro für das Kita-System zur Verfügung. Die Summe setzt sich zu rund 43 Prozent aus Mitteln des Landes, rund 37 Prozent aus Mitteln der Kommunen und rund 20 Prozent durch Elternbeiträge zusammen. Früheren Angaben zufolge sind für zusätzliches Personal 14 Millionen Euro von Land und Kommunen im Jahr 2025 und 36 Millionen Euro jährlich ab 2026 vorgesehen. Kleine Kitas, die nur eine Betreuungsgruppe haben, sollen zusätzliche Unterstützung erhalten.

Mit dem aktuellen Beschluss des Landtags zur Anpassung des Finanzierungssystems im Kindertagesförderungsgesetz (KitaG) erfülle das Land drei zentrale Versprechen gegenüber den Kommunen und Trägern der Kitas in Schleswig-Holstein: «Keine Kürzungen der Kita-Landesmittel, die Finanzierungslücke wird geschlossen und das bisherige Finanzierungssystem bleibt bestehen», sagte Touré in der Landtagsdebatte. Jetzt müssten die Kommunen schnellstmöglich die Verträge mit allen rund 1.850 Kitas abschließen.

Der aktuelle Beschluss des Landtags wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von CDU und Grünen sowie FDP und SSW gefasst. Die SPD-Fraktion enthielt sich bei der Abstimmung. «Wir als Sozialdemokraten haben die große Sorge, dass es nach der Sommerpause zu Kita-Schließungen kommen wird», sagte die SPD-Abgeordnete Sophia Schiebe. Die Kommunen sollten Verträge abschließen, ohne zu wissen, welche Kosten ihnen dadurch entstehen.

«Es geht darum, dass sich alle zusammenraufen»

Heiner Garg (FDP) nannte das Vorschaltgesetz notwendig, aber es sei nur ein Instrument. «Die Hauptaufgabe in den nächsten Wochen besteht darin, den Reset-Knopf zu drücken, gerade im Verhältnis mit den Trägern und den Kommunen. Es geht darum, dass sich alle Beteiligten zusammenraufen», erklärte Garg.

«Wir erkennen an, dass das Land nunmehr bereit ist, zumindest in derselben Höhe wie die Kommunen seinen Beitrag zum Lückenschluss zu leisten», erklärten die Geschäftsführer der Kommunalen Landesverbände Jörg Bülow, Marc Ziertmann und Sönke Schulz. Dennoch werde das nicht reichen, um die gesamte Finanzierungslücke strukturell zu schließen.

Unsicherheiten gebe es insbesondere bei der Finanzierung des tatsächlich eingesetzten Personals, die Wirkung des einrichtungsbezogenen Anstellungsschlüssels sowie der Sachkosten. Das Land müsse den Kommunen Planungswerkzeuge an die Hand geben, um die im Gesetz definierten Standards und Qualitäten berechnen zu können.

Die Landes-Arbeitsgemeinschaft (LAG) der freien Wohlfahrtsverbände begrüßt das Vorschaltgesetz und appelliert an die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Schleswig-Holstein, «ihrer Verantwortung für verlässliche Kitas in Schleswig-Holstein nachzukommen». Es brauche nun dringend Gespräche über konkrete Finanzierungsvereinbarungen, erklärte die Vorsitzende der LAG, Anette Langner. Die Wohlfahrtsverbände würden dazu einen offenen Brief an alle 1.100 Kommunen in Schleswig-Holstein versenden. News4teachers / mit Material der dpa

Stärker belastet, aber schlechter ausgestattet – Studie zeigt: Unterschiede zwischen Kitas abhängig von der Klientel

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Realist
10 Monate zuvor

Die bisher klaffende Finanzierungslücke von 120 Millionen Euro pro Jahr werde geschlossen, kündigte Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) im Landtag an. Land und Kommunen stellen jeweils 20 Millionen Euro zusätzlich bereit. Für die Eltern sollen die Kitakosten nicht steigen”

Ich fasse einmal zusammen:

120 Millionen Euro fehlen,
40 davon werden finanziert,
die restlichen 80 Miliionen werden durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten “erwirtschaftet”

Gen Z: …

Katze
10 Monate zuvor

Im Bildungssystem geht das Absenken von Standards auch ganz ohne etwas in die Löcher zu stopfen.
Hier werden aufgerissene ungestopfte Löcher zu Gräben.
Scheiße, ich war nie gut in Weitsprung.

vhh
10 Monate zuvor

Zu Lasten Dritter (Kinder und Beschäftigte) kann man sich immer besonders schnell einigen.

TaMu
10 Monate zuvor

Gruppenbezug… das bedeutet doch, dass eine bestimmte Anzahl Kinder einer Gruppe angehört und dass das einzelne Kind eine feste Bezugsperson hat? Oder verstehe ich den Begriff falsch?
Aufgrund der Bindungs- und der Sozial- Emotionalen Entwicklung der Kinder sind feste Bezugspersonen U3 unentbehrlich und auch später noch extrem wichtig. Noch in der Grundschule haben die Kinder eine große Bindung an ihre Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer.
Es geht vielen Kindern in einem komplett offenen Kita-Konzept ziemlich schlecht. Viele sind damit überfordert und orientierungslos. Es ist auch den Erzieherinnen und Erziehern nicht möglich, ohne feste Gruppe die Entwicklung und das Wohlbefinden jedes einzelnen Kindes zu verfolgen. Da auch die Bürokratie abgebaut werden soll, was ich in einigen organisatorischen Fragen gut finde, fällt vermutlich auch die Dokumentation der Entwicklung des einzelnen Kindes wesentlich dünner aus. Dazu kommt, dass einige Eltern die Dokumentation ohnehin für eher unwichtig halten, Hauptsache, das Kind ist betreut und die Betreuung fällt nicht aus. Und genau darauf zielt ja jetzt auch die neue Kitaförderung ab: gesenkte Standards und zuverlässige Betreuung. Wenn Kitas vor Ort nun versuchen, ihre Kinder zu schützen und sie weiterhin ihren Bedürfnissen entsprechend zu versorgen, werden sie an den neuen Verordnungen scheitern und müssen die Standards absenken. Bei Personalmangel werden sie Gruppen zusammenlegen müssen und dürfen vermutlich nicht mehr die Betreuungszeit verkürzen.
Das heißt, immer mehr gute und liebevolle Kitas werden gegen den Willen der vor Ort Verantwortlichen immer öfter zu Aufbewahrungsanstalten mit dem Minimal-Ziel, alle Kinder am späten Nachmittag satt, halbwegs sauber und möglichst unverletzt ihren Eltern zurückgeben zu können.
Ich glaube, dass noch mehr Erzieherinnen und Erzieher vorzeitig aufhören oder psychisch bedingt ausfallen werden, als bisher. Ich jedenfalls würde so nicht arbeiten wollen. Das könnte ich mit meinem Gewissen und mit meiner Liebe zu Kindern nicht vereinbaren.

Realist
10 Monate zuvor
Antwortet  TaMu

Die bildungs- und sozialpolitischen Errungenschaften seit den 70er-Jahren werden jetzt sukzessive rückabgewickelt. Der Trend ist klar. Verteidigung und Staatshaushalt haben jetzt Priorität. Die Deglobalisierung wird Deutschland besonders hat treffen.

Sollte jedem klar sein, der vorhat in den Bereich der staatlichen Daseinsfürsorge (Kita, Schule, Hochschule, öffentliche Gesundheit) zu gehen. Ausnahme: Verteidigung und innere Sicherheit.

TschinavonMauzen
10 Monate zuvor
Antwortet  TaMu

Wir arbeiten im teiloffenen Konzept und mit Bezugserzieher – System. Wir sind aber eine kleine und überschaubare Kita und bei uns klappt das ganz gut. Die Kinder haben eine feste Gruppe für den Morgenkreis. Elterngespräche, Entwicklungsberichte und Portfolio, Eingewöhnung macht die Bezugserzieherin. Wir fahren damit sehr gut. Die Kinder haben zu allen Erzieherinnen Vertrauen aber gerade in der Zeit der Eingewöhnung brauchen sie eine Person, die sie eng begleitet. Gerade im offenen Konzept brauchen Kinder diese Anbindung damit sie sich nicht darin verlieren sondern von ihrer Bezugserzieherin an die Selbstständigkeit herangeführt werden können oder auch gerade Kinder, die kein Deutsch verstehen und sprechen. Ich hab Kinder, die verstehen dass Konzept schon nach ein paar Wochen und kommen schnell zurecht. Andere sind Monatelang bei mir im Bauzimmer und wechseln nur auf Anweisung das Zimmer, bis irgendwann der Groschen fällt und sie selbstständig die Räume wechseln. Wieder andere brauchen es erst bei mir anzukommen und gehen nach den obligatorischen 15 bis 30 Minuten in andere Räume . Daher ja eine Bezugserzieherin ist sehr wichtig. Sowohl für die Kinder, die Eltern und die Erzieherinnen. Viele unterschätzen diesen Teil der Bindungsarbeit. Hauptsache jemand passt auf. Letztens habe ich erst mit einer Mutter diskutiert, die meinte sie würde ja gerne 6 Tage die Woche arbeiten, aber sie bekommt die Kinder ja nur 5 Tage betreut und überall ließt man jetzt Jammerberichte ach so gestresster Eltern wegen 6 Woche Sommerferien oder noch schlimmer wenn die Kita im Sommer 2 oder 3 Wochen zu macht. Das auch Kinder mal Pause von Kita, Schule und der Dauerbespaßung vor allem aber Dauerbeschallung brauchen vergessen viele. Hauptsache Betreuung ist solange wie nötig gesichert. Wenn es nach manchen geht auch gerne 7/24

Unfassbar
10 Monate zuvor
Antwortet  TschinavonMauzen

Ich hoffe, das Konzept mit der Offenheit rächt sich bei den Kindern nicht, wenn sie in die Schule kommen. Da können sie nicht mehr nach Belieben die Räume wechseln. Oder an Ihrer KiTa wird besonders im letzten Jahr an der Schulreife gearbeitet. Letzteres hoffe ich.

TschinavonMauzen
10 Monate zuvor
Antwortet  Unfassbar

Wer keine Ahnung hat, sollte still sein, sonst könnte es peinlich werden.So habe ich es zumindest gelernt. Bei uns funktioniert das System sehr gut und natürlich werden die Kinder gerade im letzten Jahr an die Schule herangeführt. Kita ist aber immer noch Kita und kein Drilllager bei dem die Kinder ausschließlich auf die Schule getrimmt werden. Wenn man sich das deutsche Schulsystem anschaut wäre das wohl eh vergebliche Liebesmühe. Ich sag nur eins wie es in den Wald reinschallt, schallt es auch wieder raus. Bzw. Ein höfliches und interessiertes Nachfragen und ich hätte Ihnen ausführlich geantwortet. Aber wer weiß ich bin ja eh nur die dumme Erzieherin und die Standesdünkel sind hier bekannt sehr groß.

Annika
10 Monate zuvor
Antwortet  TaMu

Hinsichtlich der Finanzierung bestimmter Gruppenformen kann man grundsätzlich zwischen den “Daten auf dem Papier” und den realen Gegebenheiten unterscheiden. Ich habe zum Beispiel lange Zeit in einer kleinen Kita mit 40 Kindern gearbeitet. Auf dem Papier hatten wir zwei Gruppen mit jeweils 20 Kindern zwischen 1-6 Jahren. In der Realität hatten wir jedoch eine kleine Krippengruppe mit 10 Ein- bis Zweijährigen und eine große Gruppe mit 30 Drei- bis Sechsjährigen. Die Kitas haben also immer einen Spielraum, wie sie die genaue Umsetzung vor Ort gestalten.

Aber klar ist natürlich, dass wo weniger finanziert wird, am Ende auch weniger investiert werden kann…