Kehrtwende bei Genderverboten: Paarformen (auch “übertriebene”) bleiben jetzt doch in Lehrmitteln erlaubt

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MÜNCHEN. Bayerns Kultusministerin Anna Stolz hat das Vorhaben, im Zuge einer Ausweitung des Genderverbots an Schulen „übertriebene“ Paarformen in Lehrmitteln zu untersagen, aufgegeben. „Die Paarformen sind raus“, erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber News4teachers – bestätigte aber, dass ein solches Verbot in einem Entwurf für eine zukünftige Zulassungsverordnung, die den Lehrkräfteverbänden in einer Anhörung vorgelegt wurde, enthalten war. Dass Gender-Sonderzeichen in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien verboten werden sollen, hat dagegen weiterhin Bestand (betreffe allerdings nur Neuerscheinungen, so stellte der Sprecher klar).

Im Labyrinth der staatlichen Sprachvorgaben: Anna Stolz (Freie Wähler), Kultusministerin von Bayern. Foto: Matthias Balk/Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

In seinem „Regierungsprogramm der Zukunft“, das er nur Stunden nach Veröffentlichung der jüngsten, auch für den Freistaat desaströsen PISA-Studie im bayerischen Landtag vorstellte, hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigt: „Für Bayern steht fest: Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltungen sogar untersagen.“ (News4teachers berichtete.) Am 1. April 2024 trat das Verbot dann – trotz Protesten aus Schulen und Hochschulen – in Kraft. In der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern heißt es seitdem: „Mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind unzulässig.“

Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) plant nun eine Ausweitung der Genderverbote auch auf Schulbücher und Unterrichtsmaterialien, die in bayerischen Schulen zum Einsatz kommen. Die GEW schlug Alarm – und zitierte aus den Unterlagen zur Verbändeanhörung: „Lernmittel …werden…nur zugelassen, wenn sie… keine mehrgeschlechtlichen Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, … enthalten sowie übertriebene Paarformbildung vermeiden“, hieß es danach. Ziel sei, so die Begründung, „eine einheitliche…Schreibweise an Schulen.“

GEW-Landeschefin Martina Borgendale kommentierte: „Ich frage mich schon, wie weit es die Staatsregierung noch treiben will. Das Argument der besseren Lesbarkeit ist damit nun endgültig entzaubert und der Willkür Tür und Tor geöffnet. Wie genau definiert sich ‚übertrieben‘ denn?“ (News4teachers berichtete.)

„Entscheidende Richtschnur ist die gängige Sprachwirklichkeit, die leichte Verständlichkeit und die inhaltliche Prägnanz”

Die ursprünglich geplante Vorgabe hat ein Vorbild. So heißt es in den gültigen „Richtlinien für die Redaktion von Rechtsvorschriften“ der Bayerischen Staatsregierung vom 16. Juni 2015: „Rechts- und Verwaltungsvorschriften sollen so formuliert werden, dass sie jedes Geschlecht in gleicher Weise ansprechen, etwa durch Paarformeln oder geschlechtsneutrale Formulierungen. Dabei ist jedoch jede sprachliche Künstlichkeit oder spracherzieherische Tendenz zu vermeiden.“

Was denn nun – sind Paarformen nun erlaubt oder verboten? „Entscheidende Richtschnur ist die gängige Sprachwirklichkeit, die leichte Verständlichkeit und die inhaltliche Prägnanz. Sparschreibungen und Sonderzeichen zur Geschlechterumschreibung sind unzulässig. Übertriebene Paarformbildung ist ebenso zu vermeiden wie bewusst gesuchte Umschreibungen jenseits der gelebten Sprachwirklichkeit“, so heißt es. Was „übertrieben“ ist, wird nicht definiert – ist also Auslegungssache.

Für die geplante Neufassung der Regelungen für Schulbücher und Unterrichtsmaterialien sei das aber nun nicht mehr aktuell, erklärte der Sprecher. „So ist auch in der zukünftigen Zulassungsverordnung (ZLV) für Lernmittel nicht vorgesehen, Paarformbildungen in Texten zu untersagen. Dies entspräche auch nicht den Vorgaben der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern. Für die Schulbücher gilt zudem: Von den Vorgaben der ZLV sind nur die Verfassertexte umfasst (inkl. Aufgabenstellungen, Erläuterungen, Darstellungstexten etc.). Dies gilt nicht für Autorentexte, die als Material von namentlich gekennzeichneten Dritten in die Bücher aufgenommen werden (da diese dem Urheberrecht des jeweiligen Verfassers unterliegen)“, so teilte er mit.

Darüber hinaus gelte: „Die Festlegungen der ZLV sind ausschließlich für neu zuzulassende oder genehmigungspflichtige Neuauflagen von Schulbüchern und Lernmittel anzuwenden. Insoweit erfolgt keine Überprüfung bereits zugelassener Schulbücher durch das Staatsministerium. Bereits zugelassene Schulbücher behalten auch weiterhin ihre Gültigkeit.“

Der Sprecher betonte: „Wir setzen an den Schulen auf geschlechtersensible Sprache durch männliche und weibliche Form, so wie es im amtlichen Regelwerk auch vorgegeben ist. Das Verbot der Nutzung von Gender-Sonderzeichen ist entsprechend dem Kabinettsbeschluss vom 19. März 2024 in der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) niedergelegt. Es ist von allen bayerischen Behörden und ihren Bediensteten und damit auch von den staatlichen Lehrkräften zu beachten. Dies gilt auch für Neuzulassung von Schulbüchern sowie die Erstellung von Arbeitsblättern für den Unterricht.“

Geht es hingegen nach den gültigen bayerischen „Richtlinien für die Redaktion von Rechtsvorschriften“ scheinen die Beamtinnen und Beamten allein mit dem sogenannten „generischen Maskulinum“ – also der durchgängig männlichen Form – auf der sicheren Seite zu sein: „Geschlechtsindifferent verallgemeinerte männliche Formulierungen sind nach dem natürlichen Sprachgebrauch zulässig, wo es der Alltagssprache entspricht und die Verständlichkeit fördert“, so heißt es dort.

Doof nur: Die Kultusministerkonferenz, der auch Anna Stolz angehört, hatte erst in der vergangenen Woche in einer Erklärung zum Gendern unter Verweis auf den Rat für deutsche Rechtsschreibung erklärt, dass Sonderzeichen zwar nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie gehörten. Gleichzeitig wird mit Blick auf die Schulen allerdings betont: „dass man alle Menschen mit geschlechtergerechter Sprache ansprechen soll“. News4teachers

„Pädagogische Freiheit unzulässig eingeschränkt“: Antidiskriminierungsstelle hält Genderverbote (auch) in Schulen für rechtswidrig

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Rerun
1 Jahr zuvor

Abseits der Anrede ist jede Doppelnennung übertrieben, es sei denn man möchte das Geschlecht betonen, etwa weil es sich bei einer Veranstaltung für “Lehrerinnen und Lehrer” um einen Heiratsmarkt handelt.

Wer die Doppelnennung verwendet, grenzt andere Geschlechter aus, eliminiert das generische Maskulinum, da es für ein Maskulinum dann keine generische Lesart mehr gibt und muss sie daher konsequent und durchgehend verwenden.

Darüberhinaus produziert er unleserliche Textwüsten aus den immerselben Buchstabenfolgen, die sich nur durch ein angehängtes “innen” unterscheiden, keinen inhaltlichen Mehrwert zum generischen Maskulinum bieten und Texte einfach auch nur deutlich länger machen.

Wer sie außerhalb der Anrede verwendet, postuliert, dass die generische Form nicht generisch sein könne, eliminiert Frauen also aus dieser Form, wohl wissend, dass wir diese nie loswerden, weil sie einfach viel zu praktisch, effektiv und effizent ist. Wo immer das generische Maskulinum noch stattfindet, und das wird es weiterhin, alleine schon durch Bestandstexte, werden Frauen unsichtbar gemacht.

Soviel muß einem die Ideologie dann schon wert sein. Gendern bleibt das Jodeldiplom der modernen Frau.

A.M.
1 Jahr zuvor
Antwortet  Rerun

Mir wurde schon mal unterstellt, ich müsse ein Mann sein, weil ich als Frau keine Probleme mit dem generischen Maskulinum habe. Welche Auswirkungen wird es auf unser Denken und die Gesellschaft nehmen, wenn wir aus pragmatischen Gründen in der Familie und im Freundeskreis ganz anders sprechen werden als im Beruf?

Mir ist bei einigen lieben Mitmenschen, die sich redlich um das korrekte Gendern bemühen, aufgefallen dass sie privat lange Genderpausen einlegen.

Palim
1 Jahr zuvor
Antwortet  A.M.

Mir wurde schon mal unterstellt, ich müsse ein Mann sein, weil ich als Frau keine Probleme mit dem generischen Maskulinum habe.“

Wie entlarvend!

A.M.
1 Jahr zuvor
Antwortet  Palim

“Entlarvend” 😉
Ja. Und keine “Diagnose” kann mich dazu bringen, mich in ein Männchen zu verpuppen!

Sven
11 Monate zuvor
Antwortet  Rerun

Korrekt ist “Beidnennung”. Wo von Lehrerinnen und Lehrern die Rede ist, können Lehrer nur noch männlich sein. Es wird niemand doppelt genannt.

Autobahnabfahrt
1 Jahr zuvor

Bitte in Lehrmitteln auch die kindgerechten Variantenschreibweisen wie Panter, Jogurt, Tunfisch u.a. ohne unnötiges “h” weiterhin erlauben. Dieser sogenannte Rat für deutsche Rechtschreibung wird sie dann auch wieder erlauben, wenn sie viel benutzt werden. So argumentiert er ja (viel benutzt vs. wenig benutzt). Siehe andere Diskussion dazu:

https://www.news4teachers.de/2024/07/kmk-weist-darauf-hin-gender-stern-nicht-teil-amtlicher-rechtschreibung

Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor
Antwortet  Autobahnabfahrt

Gute Idee, auch das Weglassen des H spart Druckerfarbe.

Realist
1 Jahr zuvor

War Frau Stolz diesen Sommer vielleicht zufällig in Flordia im Urlaub und hat sich von DeSantis inspirieren lassen?

Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor

Schlecht, denn so wird zukünftig nur unnötig Papier und Druckerfarbe verbraucht. Ökonomisch und ökologisch bedenklich.

DerechteNorden
1 Jahr zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

Ich finde ja, alle menschlichen Wesen außer den männlichen sind überflüssig. Gäbe es jetzt nur noch männliche Wesen, dann würde unsere Art endlich aussterben und wir würden den Planeten nicht weiter zerstören.

Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Und wer retten dann Tiere und Pflanzen, wenn die Sonne die Erde verschluckt?

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

“Der Mensch braucht die Natur.
Die Natur braucht den Menschen nicht!”
(Unbekannt)

Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Aber nur, bis unser Sönnlein zur roten Riesin wird.

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

Bis dahin hat sich die Menschheit schon lange selbst abgeschafft und die Natur hat bis dahin noch ein paar schöne Jahrtausende! 🙂

Unfassbar
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Jahrmilliarden

potschemutschka
1 Jahr zuvor
Antwortet  Unfassbar

Naja, ein bißchen Zeit braucht die Natur ja auch noch, um sich von der Menschheit zu erholen! 🙂

A.M.
1 Jahr zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Was für ein Bekenntnis! Als Lehrer sind Sie demnach – Mädchen als weibliche Wesen finden Sie also überflüssig” – ein fünfzigprozentiger Kinderfeind.
😉

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  A.M.

Statistisch falsch. In den ersten beiden Dekaden der Erdenbürger gibt es mehr Jungen als Mädchen auf dem Globus. Das regelt die Biologie auch ohne Eingriffe von Seiten der Menschheit. Signifikante Verzerrungen bei der Geschlechterverteilung gibt es nur in den Regionen der Erde, in denen weibliche Nachkommenschaft unerwünscht ist.

Im ernst, statistisch erwiesener Maßen werden auch in der Bundesrepublik je Geburtsjahrgang mehr Jungen als Mädchen geboren. Infolge der in den ersten rund 20 Lebensjahren höheren Jungensterblichkeit gleicht sich das im Laufe der Jahre dann aus.

A.M.
1 Jahr zuvor
Antwortet  dickebank

Okay. Mit “circa fünfzigprozentiger Kinderfeind” würde ich “derechteNorden” allerdings ebensowenig korrekt ein-norden, äh einordnen können wie wenn ich ihn als hunderfünfzigprozentigen Genderfreund bezeichnen würde.
Erfolgreich pedantisch sein zu können wird in Zukunft immer schwieriger werden.

Erhard Schoppengerd
1 Jahr zuvor

Endlich ein zielführender Schritt zur Verbesserung der schulischen Bildung. Gut, dass das Kultusministerium Zeit für solche Überlegungen, Erlassse und / oder Verfügungen hat.

DerechteNorden
1 Jahr zuvor

Bin da ganz bei Ihnen. Wofür nehmen die sich da denn bitte die Zeit!?
Schön wäre es, nähme man sich endlich für wichtige Dinge Zeit.

Der Zauberlehrling
1 Jahr zuvor
Antwortet  DerechteNorden

Gender-Gaga ist doch wichtig!

100 % Unterrichtserteilung: erledigt
100 % Lehrerzufriedenheit: erledigt
100 % Arbeitsschutz für Lehrer in Schule: erledigt
100 % Ergonomie am Arbeitsplatz in Schulen: erledigt
etc.

Ulrika
1 Jahr zuvor

Sie lieben wohl die blauen Störche- oder warum übernehmen Sie deren Sparchgebrauch?

A.M.
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ulrika

Gab es denn mehr als einen “blauen Storch”? Ein Exemplar hatte wohl Kontakt zu einer von Menschen hergestellten Farbe und so wurde sein Gefieder künstlich blau. – Eine Farbe, die nicht an die Nachkommen vererbt wurde.
https://www.sueddeutsche.de/wissen/raetsel-geloest-geheimnis-des-blauen-storches-gelueftet-1.967340

Die Frage danach, ob der Zauberlehrling eventuell mit Tinte intensiv blau durchgefärbte Orchideen mag, erübrigt sich hoffentlich.

Grundsätzlich ist Blau eine Farbe, die beruhigend ud entspannend wirkt. Wie Tee. – Aber bitte nicht aus den Teeblättern lesen und Mutmaßungen über das Geschlecht oder die politische Anschauung anderer anstellen. (Wie oben schon erklärt: Ich bin kein Mann! – Und auch nicht rechts.)

Und das Gendern überlasse ich anderen.

RainerZufall
1 Jahr zuvor

Das Kultusministerium muss ja bemerkenswerte Gründe angeführt haben, um das Vorhaben umgehend fallen zu lassen…

War wohl noch ein wenig zu viel Widerstand. Weiter gegen Sichtbarmachung anderer Geschlechter abätzen, vielleicht klappt es dann nächstes Mal..

Ich meine natürlich: AHA! Die bayrische Wählerschaft hat sich keinen Bären aufbinden lassen und die CSU wird garantiert daraus lernen und auf die Menschen zugehen XD

Gerechte Sprache für Alle
1 Jahr zuvor
Antwortet  RainerZufall

Das Problem an der Sichtbarmachung anderer Geschlechter ist, daß die Verfechter von Gendersternchen und Co diese konsequent ignorieren, so lange man sie nicht explizit nennt indem man ihre Art der Sprache verwendet. 96% der Menschen sehen Frauen und Diverse Menschen beim Gebrauch des generischen maskulinums. 1% ignorieren diese beiden Geschlechter ganz bewusst um einen Grund zum Meckern zu haben. 3% lassen sich von 1% anstecken obwohl sie eigentlich richtig denken.

RainerZufall
1 Jahr zuvor

“Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben.”

Ich sage dem Adel bescheid.
Zumindest haben die Verlage noch Zeit, ihre Bücher zu König Elizabeth II. zu aktualisieren 😛

potschemutschka
1 Jahr zuvor

@Redaktion
“Kehrwende” oder “Kehrtwende”?