Teurer Schulbeginn: Verbände sehen gestiegenen Bedarf nach Unterstützung (und eine Lösung)

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STUTTGART/LUDWIGSBURG. Mit Ausgaben von rund 300 Euro müssen Familien laut Kinderschutzbund zur Einschulung rechnen – Kosten, die sich nicht alle leisten können. Der Grundschulverband mahnt vor den negativen Folgen für die betroffenen Kinder. Die Diakonie Württemberg sieht die Ausstattungsschwierigkeiten als Signal, dass junge Menschen mehr Mittel für Teilhabe brauchten, und fordert von der Bundesregierung, endlich die Kindergrundsicherung einzuführen.

Auf finanzielle Unterstützung zu Schulbeginn seien laut Kinderschutzbund besonders Alleinerziehende und große Familien mit drei und mehr Kindern angewiesen. Symbolbild: Shutterstock/Pormezz

Sie sind fantasievoll, bunt und mit Fußbällen, Pferden oder Zebras geschmückt – die Auswahl an Schulranzen ist riesig. Manche kosten mehr als 200 Euro. Für viele Familien stellt das vor dem Schulstart eine finanzielle Herausforderung dar. Der Kinderschutzbund geht von 300 Euro für alle erforderlichen Utensilien einer Erstausstattung für Grundschulkinder aus.

Wer sich das nicht leisten kann, ist auf Hilfe angewiesen – etwa von der Diakonie Württemberg. Die gibt im Rahmen von Aktionen Schulranzen, Rucksäcke, Mäppchen und Co. an Bedürftige aus. So auch im Landkreis Ludwigsburg. Auch wenn die Region sehr wohlhabend sei, gebe es viele Familien, die sich keinen Ranzen leisten könnten, sagt Nicole Kollosche vom Kreisdiakonieverband. Die Aktion werde sehr gut angenommen, sagt die Sozialarbeiterin. An mehreren Terminen habe man bereits viele Rucksäcke und Ranzen verteilen können. «Mit der Aktion wollen wir einen Beitrag leisten, dass alle Kinder einen gleichberechtigten Schulstart haben», sagt sie.

Unterstützt wird die Aktion von verschiedenen Spendern. Die Familien, die sich in Ludwigsburg mit ihren Kindern einen Ranzen aussuchen, sind dafür sehr dankbar. «Das ist sehr teuer für uns», sagt etwa Jihan Omer aus dem Irak, die mit ihrer Tochter in Ludwigsburg durch die verschiedenen Modelle stöbert. «Ich bin sehr glücklich», sagt sie, nachdem das passende Exemplar gefunden ist.

Scham für Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung

Der Kinderschutzbund sieht eine wachsende Nachfrage. «Wir hören von der Basis, dass ein Mehrbedarf besteht», sagt Paula Wenning, Fachreferentin des Verbands für Kinderarmut und Familienrecht. Hinzu komme eine hohe Dunkelziffer. Immer noch empfänden Familien Scham, wenn sie bei dieser wichtigen Investition in die Zukunft ihres Kindes vom Staat abhängig seien.

Die Ortsverbände, von denen sich viele für kostenlose Schulranzen engagierten, hätten eine wachsende Nachfrage bei Alleinerziehenden und großen Familien mit drei und mehr Kindern beobachtet. «In diesen Gruppen schlägt die Inflation besonders durch», erläutert die Juristin. Deren Kinder seien überproportional von Armut bedroht. Als armutsgefährdet gilt ein Mensch, der weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens zur Verfügung hat. Der Median ist der Wert, der bei einer Aufstellung von Daten in der Mitte liegt. Gut 40 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden fallen laut Wenning in diese Kategorie.

In Baden-Württemberg ist laut Statistischem Landesamt seit Jahren knapp ein Fünftel der Jugendlichen unter 18 Jahren armutsgefährdet; 2023 genau 18,7 Prozent. Bei Kindern im Grundschulalter ermittelten die Statistiker für 2023 einen Prozentsatz von 18,4 Prozent.

Forderung nach mehr Hilfe für einkommensschwache Familien

Um allen Kindern gleiche Startchancen zu gewähren, müsse der Staat mehr tun als bislang mit dem Schulstarter-Paket für Empfänger von Bürger-, Wohn- und Familiengeld, fordert Wenning. «Die Pauschale von 130 Euro für das erste Schulhalbjahr und 65 Euro für das zweite ist nicht allen Betroffenen bekannt, Gelder werden zu spät beantragt oder die Anträge zu bürokratisch formuliert.» Der Landeselternbeirat Baden-Württemberg kritisiert zudem, dass diese Pauschale bei weitem nicht kostendeckend sei. «Die Erstausstattung für Grundschüler ist heute ein Big Business, das hinsichtlich Material und Dekor hohe Anforderungen an die Produkte stellt», so Verbandschef Sebastian Kölsch. Der Handel habe einen Markendruck bei Schulranzen aufgebaut, dem sich Mütter und Väter nur schwer entziehen können.

Der Chef des Elternbeirats moniert darüber hinaus, dass Schulen von Eltern Anschaffungen forderten wie Lektüren oder Taschenrechner, die nach Ansicht des Landeselternbeirats unter die Lernmittelfreiheit fallen. Diese bedeutet, dass Lernmittel wie Schulbücher für die Dauer des Unterrichts kostenlos ausgeliehen werden. «Das gibt es in Baden-Württemberg oft nur auf dem Papier», klagt Kölsch. Die Eltern würden entgegen der Verordnung zur Kasse gebeten – mit teilweise großen Unterschieden zwischen einzelnen Schulen und Schulträgern.

Gefahr, ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden

Der Chef des Grundschulverbandes Baden-Württemberg, Edgar Bohn, teilt die Beobachtung Kölschs zum Markendruck: Grundschüler würden besonders auf die richtigen Marken ihrer Grundausstattung achten. «Wer da nicht mithalten kann, wird manches Mal ausgelacht», erzählt der ehemalige Rektor der Anne-Frank-Grundschule in Freiburg. In so einem Fall werde das Thema in den Klassen diskutiert und auf begrenzte Familienbudgets verwiesen. Er selbst habe das Glück gehabt, durch einen Förderverein aushelfen zu können. «Der Staat sollte sich aber nicht zu sehr auf solche internen Lösungen verlassen und seinen Beitrag erhöhen.»

Für die Kinder sei es besonders hart, für diese neue Lebensphase unangemessen ausgerüstet zu sein, ist Wenning überzeugt: «Wenn man bei der Einschulung nur mit Plastiktüte erscheint, ist man von Anfang an isoliert und hat dadurch langfristig schlechtere Bildungschancen.» Kinder hätten schon sehr genaue Vorstellungen, wie ein passendes Outfit auszusehen habe. «Wer dem nicht entspricht, der wird gemieden.» Folge sei oft ein geschwächtes Selbstwertgefühl. Die Diakonie Württemberg hat beobachtet, dass Kinder, denen die wichtigsten Utensilien fehlen, Gefahr laufen, ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden. Dies erhöhe das Risiko, Opfer von Mobbing zu werden, fügt Verbandschefin Annette Noller hinzu.

Die Diakonie hat allein im Kreis Ludwigsburg mehr als 760 Schulrucksäcke und Ranzen sowie 140 Sportbeutel an Bedürftige verteilt. «Und wir hatten noch mehr Nachfrage», sagt Noller. Im Vorjahr waren es 600. Finanziert wird die Hilfe unter anderem von der örtlichen Sparkasse, dem Handel, der Kirchenkollekten sowie aus Eigenmitteln der Diakonie.

Die Diakonischen Werke im Raum Baden kooperieren zum Beispiel in Karlsruhe mit dem Kiwanis-Club bei der Vergabe von rund 60 Schulranzen. In Heidelberg werden Einkaufsgutscheine in Höhe von 75 Euro für ein Kaufhaus ausgegeben, die an den Erwerb von Schulartikeln gebunden sind. In Schwäbisch Hall sind es sogar 200 Euro. Nicht nur Bürgergeldempfänger, sondern zunehmend auch Menschen mit geringem Einkommen zeigten Interesse an der Unterstützung, erklärt Noller.

Der Ranzen sei auch Signal, dass junge Menschen mehr Mittel für Teilhabe brauchten, sagt Noller: «Die Grundsicherung für Kinder ist für die gesamte Gesellschaft wichtig, denn wenn wir an den Kindern sparen, wird das am Ende viel teurer, weil Fachkräfte fehlen und die Zahl der auf staatliche Hilfe Angewiesenen wächst.» Die Ampel-Koalition müsse sich endlich zur Einführung der Grundsicherung für Kinder durchringen. Um die Ausgestaltung dieser streitet die Bundesregierung bereits seit über einem Jahr. News4teachers / mit Material der dpa 

Schlechtere Bildungschancen: Über zwei Millionen Kinder gelten als armutsgefährdet

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3 Kommentare
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Lisa
1 Monat zuvor

Was hat ein Schulranzen bitte, was 250 Euro rechtfertigt? Titan? Gold? Stoff aus der Weltraumforschung?
Oder geht es bei den Preisen darum, sich lwie bei Damenhandtaschen von ” Plebs” abzusetzen?
Könnte man nicht die Hersteller verpflichten, auch ein günstiges Modell anzubieten?

Walter
1 Monat zuvor
Antwortet  Lisa

Es könnte das besondere Material bei der Herstellung einer Schultasche sein.
Analog der teuren frisierten Gummistiefel alias Cro*s.

Mo3
1 Monat zuvor

Wenn man bei ebay Schulranzen sucht, findet man eine riesige Auswahl gebrauchter, aber gut erhaltener Ranzen – teilweise komplett mit Turnbeutel und Federmäppchen für 10-80 EUR. Sicher geht es bei dem Schulstart auch um eine Art Ritual, dass man halt nicht nur einen Ranzen braucht, sondern den Kauf auch irgendwie celebriert. Aber mehr sparen kann man eigentlich nicht und für die Vorbereitung gibt es vielleicht auch andere Ansatzpunkte – zum Beispiel die Schultüte, neues Sportzeug, …
Zugegeben, damals bin ich auch noch nicht auf die Idee gekommen und wir haben neu gekauft. Jetzt stehen auch bei uns zwei gut erhaltene Ranzen auf dem Dachboden. Weniger würde ich im nachhinein aber in einen neuen Ranzen für die weiterführende Schule investieren. Die teueren Ranzen wurden teilweise kaum mehr als 3 Jahre genutzt, bevor sie durch weitaus günstigere, aber coolere Rucksäcke getauscht wurden, die zudem auch nach der Schule noch universell verwendet werden können.