Gedenkstätten – Schülern vermitteln: “Geschichte hat mit Eurem Leben zu tun”!

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KASSEL. Der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge pflegt nicht nur Kriegsgräber, sondern leistet auch pädagogische Arbeit. Über die Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt will er Demokratie fördern.

Ein US-GI hilft einem verletzten deutschen Kindersoldaten, Aufnahme von September 1944. Foto: U.S. National Archives and Records Administration / Wikimedia Commons

Ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, Zivilisten und deutsche Soldaten: Rund 290 Menschen sind auf der Kriegsgräberstätte Ludwigstein im nordhessischen Witzenhausen begraben. Es sind Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts, aus unterschiedlichen Ländern, mit verschiedenen politischen und religiösen Überzeugungen. Sie alle starben im oder kurz nach dem 2. Weltkrieg. Ihre Lebenswelten und Schicksale möchte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Schülerinnen und Schülern nahebringen.

«Dazu werden Kriegsgräber- und Gedenkstätten als Lernorte genutzt», sagt Maike Bartsch. Die promovierte Historikerin ist Regionalbeauftragte des Volksbundes Hessen-Nord. Der Volksbund ist vor allem für sein Engagement zur Erhaltung und Pflege von Kriegsgräberstätten bekannt. Darüber hinaus will die gemeinnützige Organisation mit friedenspädagogischer Arbeit Jugendliche erreichen.

«Unsere Angebote richten sich an junge Menschen im In- und Ausland», erläutert Bartsch. Dazu zählten Workcamps, Begegnungs- und Bildungsstätten sowie Projekte im In- und Ausland. Ziel sei es, den Wert von Menschenrechten, Demokratie und Frieden zu vermitteln und sich mit Extremismus, Nationalismus und Rassismus auseinanderzusetzen.

“Es braucht Angebote, die sowohl die kognitive als auch die emotionale und die soziale Dimension ansprechen”

Der Weg dorthin führt über die Beschäftigung mit geschichtlichen Themen. «Wir wollen den Jugendlichen deutlich machen, dass diese Themen durchaus etwas mit ihrem Leben zu tun haben. Dass die Geschichte nicht beendet ist und wir nicht sagen können: ‘Die Weltkriege sind lange her und das interessiert uns nicht mehr, weil unsere Großelterngeneration nicht mal mehr involviert war’.»

Stattdessen solle jungen Menschen vermittelt werden, dass Geschichte sich wiederholen könne, wenn nicht aus ihr gelernt werde. «Dass etwa der Antisemitismus im Dritten Reich Ähnlichkeiten zu dem heutigen Antisemitismus hat. Dass populistische Parolen, die die Schüler aus den heutigen Zeiten kennen, verankert sind in der damaligen Lebenswelt.»

Erreichen möchte der Volksbund das unter anderem mit einem interaktiven Geocaching-Spiel. Beim «History Caching» suchen Jugendliche in Kleingruppen auf dem Gelände der Burg Ludwigstein versteckte Gegenstände aus dem Kontext des Zweiten Weltkriegs. «Dazu zählen etwa die Armbinde eines KZ-Häftlings, ein Essgeschirr aus einem Arbeitslager und eine Gürtelschnalle mit Abzeichen der Wehrmacht», erklärt Bartsch. Zusätzlich bekämen die Schüler persönliche Informationen zu den Biografien einiger der auf der Kriegsgräberstätte Ludwigstein begrabenen Menschen. Dort angekommen werden deren Lebenswege besprochen. «Durch Berichte über Einzelschicksale können sich die Jugendlichen besser in ihre Situation hineinversetzen und sich mit ihnen identifizieren», sagt Bartsch.

Auch Susann Gessner von der Philipps-Universität Marburg versteht politische Bildung Jugendlicher als Schlüssel zum Weltverstehen. Den pauschalen Vorwurf, dass junge Menschen am politischen Geschehen kein großes Interesse zeigen, sieht die Professorin für Didaktik der politischen Bildung nicht bestätigt. «Ich glaube, dass gerade Jugendliche großes Interesse daran haben, sich mit der gesellschaftlichen und politischen Welt auseinanderzusetzen», sagt sie.

Eine Hemmschwelle der politischen Bildung im schulischen Kontext sei allerdings der oft eng angelegte Politikbegriff, der vor allem mit Institutionen und dem politischen Tagesgeschäft gleichgesetzt werde. «Dadurch wird ein statisches Verständnis gefördert», erklärt Gessner. «Ein Zugang zu Politischem, der etwas mit der eigenen Persönlichkeit, den eigenen Interessen und Sichtweisen in Bezug auf die Gesellschaft, in der man lebt, zu tun hat, kann dann nur schwer ermöglicht werden.»

Außerschulische Angebote wie jene des Volksbundes oder von Gedenkstätten und Initiativen könnten politische Bildung manchmal anders adressieren. Sie seien befreit von curricularen Vorgaben, könnten offenere, ungewöhnlichere Zugänge wählen. «Sie können den Jugendlichen eine ganz andere Ebene eröffnen, sich mit der Welt und mit der Gesellschaft, in der sie leben, auseinanderzusetzen», erläutert Gessner. «Die Jugendlichen können im Rahmen solcher Projekte in einem bewertungs- und druckfreien Raum ihre Vorstellungen des Politischen erweitern.»

Wichtig sei dabei – schulisch wie außerschulisch – jungen Menschen Bildungsprozesse zu ermöglichen, die für sie nicht nur in Hinblick auf die Schule und kommende Prüfungen relevant seien, sondern auch für sie persönlich, «Es braucht Angebote, die sowohl die kognitive als auch die emotionale und die soziale Dimension ansprechen.» Besonders hervorzuheben sei dabei auch die Möglichkeit zum interkulturellen Austausch, um andere Perspektiven zu eröffnen.

«Die Möglichkeit entsprechender Angebote besteht darin, zum Weltverstehen von Jugendlichen beizutragen und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen.» Gerade historisch-politische Themen könnten ein Türöffner sein, um gegenwärtige Prozesse und Verhältnisse besser zu verstehen. «Denn überhaupt kann man aktuelle Geschehnisse und gesellschaftliche Verhältnisse erst dann hinreichend verstehen, wenn man auch ihre Gewordenheit berücksichtigt», sagt Gessner.

“Es geht darum, Jugendlichen zu vermitteln, dass man in einer Demokratie selbst Einfluss nehmen kann”

Die Auseinandersetzung mit historisch-politischen Themen könne Jugendlichen vermitteln, dass die Welt nicht statisch sei, sondern sich in einem gesellschaftlichen Entwicklungs- und Veränderungsprozess befinde und sich Dinge auch zum Guten entwickeln könnten. «Wenn junge Menschen diese Erfahrung machen, können sie das verbinden mit einer eigenen Aussicht auf Selbstentwicklungsmöglichkeiten.»

Der historische Zugang eröffne die Perspektive darauf, dass etwa Kriege, Konflikte und soziale Verwerfungen universelle Problemlagen seien. Es sei bedeutsam, dass Jugendliche die Erfahrung machten, dass diese Themen nicht nur für sie, sondern auch für andere relevant seien. «Dann ist ein Austausch darüber möglich, welche Perspektiven sie auf bestimmte Phänomene haben. Und darüber werden diese erst verhandelbar.» Dadurch könnten starre Weltbilder verflüssigt oder dynamischer werden.

Zudem habe politische Bildung immer auch einen Allgemeinbildungsanspruch. «Es geht darum, Jugendlichen das eigene politische Denken zu ermöglichen und ihnen zu vermitteln, dass man in einer Demokratie immer auch selbst gestalterisch Einfluss nehmen kann und auch das Potenzial hat, das zu tun.» News4teachers / mit Material der dpa

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Karl Heinz
1 Monat zuvor

Zunächst finde ich solcherlei Angebote ja grundsätzlich gut.

Die damit artikulierten hehren Ziele laufen aber m.E. zunehmend ins Leere.

Der (überregionale) Austausch dazu während einer kürzlichen Weiterbildung verhärtete einen gewissen Anfangsverdacht:

Außerschulische Lernorte etc. werden zunächst einmal aufgesucht, um den SuS zu zeigen, dass es jenseits von Gaming-Sessel, Couch und Bildschirm tatsächlich so etwas wie Realität gibt.

Scheinbar zieht sich ein fundamentales Desinteresse quer durch alle sozialen Schichten.
Schon an familiären Aktivitäten wie Wochenendausflügen etc. zeigen viele Kinder keinerlei Interesse mehr.
Viele könnten nicht einmal sicher sagen, wo sie im Urlaub gewesen seien.
Am Meer.
Ja, an welchem denn?
Gleichzeitig wird sehr übereinstimmend diagnostiziert, dass den meisten Kindern Liebe, Aufmerksamkeit etc. fehle.

Als vor 20 Jahren die Super-Nanny auf RTL anlief, hatte ich mich gefragt, ob man in Deutschland inzwischen verlernt habe, Kinder zu erziehen, ob denn z.B. die Großmütter kein Wissen mehr weitergeben würden.
Aber scheinbar hat man es verlernt.

Wo will man denn unter den Voraussetzungen pädagogisch Ansetzen?
Die Orte werden inzwischen doch eher zur Hintergrundkulisse für Selfies und TikToks degradiert. Man war halt mal da…

Einer
1 Monat zuvor
Antwortet  Karl Heinz

Könnte es helfen auf solchen schulischen Veranstaltungen und Ausflügen ein generelles Handyverbot zu erlassen? Beim Einsteigen in den Bus sammelt der Klassenlehrer alle Handys ein. Beim Aussteigen nach der Rückfahrt werden sie wieder ausgeteilt.

Chris
1 Monat zuvor
Antwortet  Einer

Bei den Schülern geht der Trend aktuell zum Zweit- oder gar zum Dritthandy. Ein altes Gerät ist immer dabei, um beim Einsammeln abgegeben werden zu können. Mit den anderen Geräten geht es dann weiter.

unverzagte
1 Monat zuvor

Diese überlebenswichtige Arbeit verdient größtmögliche Unterstützung in allen erdenklichen Formen, da Vergangenheit niemals vorbei ist, sie nicht einmal vergangen ist – eventuell sind Jugendliche über eigene Verlusterfahrungen von verstorbenen Familienmitgliedern, Freund*innen oder anderen nahestehenden Personen erreichbar.
Insgesamt eine komplexe Thematik, die nur fächerübergreifend vermittelt werden kann.

Annemaus
1 Monat zuvor

Ich finde die Sache mit dem Geocaching pietätlos.

Hysterican
1 Monat zuvor

Hmmm, haben wir hier eines von vielen Beispielen, in denen Lernen mit bedeutsamer Lebenswirklichkeit und der Möglichkeit zur emotionalen Anteilnahme ermöglicht wird, wie Lesch ubd Zierer es in ihrem aktuellen Buch (sic! Hier bei n4t aktuell nachzulesen) als quasi nicht existent in Schulen diagnostizieren … und uns LuL wieder mal mit schulexterner “Expertise” als dringlichen Veränderungsbereich ans Herz legen?

Ist ihnen wahrscheinlich aus ihrem Elfenbeintum beim lässigen nach unten schauen durch die Wahrnehmung gerutscht.

Kann ja mal passieren, wenn man ständig an der Uni oder im Fernsehstudio herumhängt.