BERLIN. Rechenkünstler oder Zahlenmuffel? Deutsche Grundschüler liegen in Mathematik im internationalen Vergleich im Mittelfeld, wie die aktuelle Ausgabe der TIMS-Studie zeigt. Die gute Nachricht: Große Abstürze gab es dieses Mal nicht. Nebenbei: Der grüne Bundesbildungsminister und die Sprecherin der unionsgeführten Kultusministerien kommen sich in Sachen Digitalpakt 2.0 näher.
Deutschlands Grundschüler liegen im internationalen Kompetenzvergleich in Mathematik und Naturwissenschaften im breiten Mittelfeld. Im alle vier Jahre vorgelegten Vergleichstest TIMSS schlugen sich Viertklässler aus Deutschland besser als der internationale Durchschnitt und lagen teils unter, teils aber auch über dem Durchschnitt der EU-Staaten. Wie bei der Vorgängerstudie schnitten Kinder in Asien, etwa aus Singapur, Taiwan, Südkorea oder Japan bei den Tests deutlich besser ab. In Europa lagen Grundschüler aus England, Polen oder Litauen weit vorn.
Getestet wurde im vergangenen Jahr. Die Aufgaben kamen aus den Bereichen Rechnen, Geometrie, Biologie, Physik, Chemie und Geografie. Knapp 360.000 Viertklässler aus mehr als 60 Staaten und Regionen, darunter 22 EU-Länder, nahmen teil. In Deutschland waren gut 4.400 Schülerinnen und Schüler dabei. Sie mussten beispielsweise beantworten, wie oft ein Rechteck einer bestimmten Größe in ein Quadrat einer bestimmten Größe passt oder in einer anderen Aufgabe einen Grund aufschreiben, warum Gegenstände aus Plastik im Meer für Tiere wie Schildkröten gefährlich sind.
Anders als andere Schulleistungsvergleiche der jüngsten Vergangenheit (und bei TIMSS 2016, News4teachers berichtete) zeigt diese Studie keine erschreckenden Einbrüche bei den Leistungen. Das erreichte Niveau in Mathematik (524 Punkte) unterscheidet sich demnach nicht signifikant von der Vorgängererhebung im Jahr 2019 (521) und auch kaum im Vergleich zur TIMS-Studie 2007 (525), als Deutschland erstmals daran teilnahm.
Dennoch bestätigt auch diese Untersuchung wieder: Vielen Kindern fehlen die Grundlagen. 25 Prozent der Viertklässler erreichen demnach in Mathematik nur die untersten Kompetenzstufen. Sie haben demnach allenfalls «elementares mathematisches Wissen», wie es heißt und können nur einfachste Aufgaben lösen. «Mathematisches Lernen in der Sekundarstufe wird dieser Schülergruppe erhebliche Schwierigkeiten bereiten», heißt es in der Studie. Am oberen Ende der Skala hat sich allerdings etwas im positiven Sinne getan: Der Anteil der Kinder, die fortgeschrittene Leistungen in Mathematik erreichen, stieg von 6 auf 8,3 Prozent.
„Das ist eine gute Nachricht und ein Erfolg der engagierten Lehrkräfte in Deutschland“
In den Naturwissenschaften verschlechterten sich Viertklässler in Deutschland im Vergleich zur Erhebung 2019 (518 Punkte) mit 515 Punkten leicht, in der Langzeitbeobachtung allerdings deutlicher: 2007 kamen sie noch auf einen Gesamtwert von 525 Punkten.
Die höchste Kompetenzstufe erzielen 8,7 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler (international: 8,3 Prozent; EU: 7,9 Prozent; OECD: 10,2). Dieser Anteil unterscheidet sich nicht signifikant von 2007 (9,6 Prozent) und 2019 (6,9 Prozent). Über ein lediglich rudimentäres Kompetenzniveau verfügen 29,7 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler (international: 38,7 Prozent, EU: 27,9 Prozent, OECD: 25,4 Prozent). Während dieser Anteil im Vergleich zu 2019 (27,7 Prozent) stabil ist, ist gegenüber 2007 (23,7 Prozent) ein signifikanter Zuwachs zu verzeichnen.
Weitere Ergebnisse:
- 58,0 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler haben eine positive Einstellung zur Mathematik, in den Naturwissenschaften sind dies 70,6 Prozent. Trotz rückläufiger Tendenz gegenüber 2019 (Mathematik: 64,9 Prozent; Naturwissenschaften: 74,1 Prozent) und 2007 (Mathematik 69,9 Prozent; Naturwissenschaften: 80,7 Prozent) ist der Anteil weiterhin hoch.
- 63,6 Prozent der Lehrkräfte für Mathematik berichten, dass ihnen digitale Medien im Unterricht zur Verfügung stehen (international: 48,2 Prozent; EU: 54,0 Prozent; OECD: 61,1 Prozent); für die Naturwissenschaften beträgt der Anteil 82,6 Prozent (international: 60,5 Prozent; EU: 66,6 Prozent; OECD: 73,7 Prozent). Trotz hoher Verfügbarkeit erfolgt der Einsatz von digitalen Medien im Fachunterricht bislang nur eingeschränkt.
- In Mathematik zeigen sich wie im Jahr 2007 und 2019 signifikante geschlechterspezifische Unterschiede zugunsten der Jungen. Für die Naturwissenschaften bestehen 2023 keine signifikanten Unterschiede mehr. Dies ist allerdings auf ein Absinken des Leistungsniveaus der Jungen zurückzuführen.
- Das Kompetenzniveau in Mathematik und in den Naturwissenschaften ist weiterhin eng an soziale und herkunftsspezifische Faktoren gekoppelt. Dabei ist seit 2011 der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Unterstützungsbedarfen gleich geblieben und der Anteil mit Migrationshintergrund seit 2007 gestiegen.
Die Studie weist auch darauf hin, dass die Teilnehmer der aktuellen Testreihe Teile ihrer Grundschulzeit unter dem Einfluss von Corona verbracht haben. Durch Schulschließungen, sogenannten Wechsel- und Fernunterricht und Ausfälle wegen Erkrankungen oder positiver Corona-Tests war der Schulbetrieb von 2020 bis 2022 teilweise stark eingeschränkt.
„Schülerinnen und Schüler können ihr Kompetenzniveau nach der Pandemie halten. Das ist eine gute Nachricht und ein Erfolg der engagierten Lehrkräfte in Deutschland, die während der pandemiebedingten Schulschließungen ihr Bestes gegeben haben. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Leistungen keinen generellen COVID-Effekt erkennen lassen“, erklärt Bundesbildungsminister Cem Özdemir (Grüne). „TIMSS 2023 zeigt aber, wie abhängig der Bildungserfolg noch immer von der sozialen Herkunft ist. Auch gibt es nach wie vor signifikante Leistungsunterschiede zwischen Kindern ohne und mit Migrationsgeschichte. Das können wir uns als Einwanderungsland nicht leisten und müssen noch mehr dafür sorgen, dass das Bildungssystem unserer heterogenen Einwanderungsgesellschaft gerecht wird. Zudem erreicht jedes vierte Grundschulkind in Mathe und fast jedes Dritte in Naturwissenschaften nicht die Mindestanforderungen.“
Özdemir weiter: „Damit unsere Kinder ihr Kompetenzniveau nicht nur halten, sondern auch ausbauen, müssen Bund und Länder ihre Zusammenarbeit weiter ausbauen. Die Bildungsrepublik Deutschland braucht den Digitalpakt 2.0.“ Hintergrund: Nach zwei Jahren Stillstand bei den Verhandlungen um das Förderprogramm ist nach Rücktritt der FDP-Politikerin Bettina Stark-Watzinger als Bundesbildungsministerin Bewegung in die Gespräche gekommen (News4teachers berichtete).
Bemerkenswert: Karin Prien (CDU), Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und Sprecherin der unionsgeführten Kultusministerien, nimmt den Ball in ihrer Stellungnahme auf: „Von zentraler Bedeutung ist jetzt der baldige Abschluss des DigitalPakts Schule 2.0, damit Deutschland den Anschluss an die internationale Entwicklung hält.“ Hintergrund hier: Damit es zu einer Einigung noch vor der Bundestagswahl kommen kann, müssen CDU/CSU das Kurzzeit-Mandat von Özdemir akzeptieren. Prien: „Erfreulich ist, dass Deutschland in der Ausstattung mit digitalen Medien aufgeholt hat: Der Zuwachs in Deutschland war im internationalen Vergleich am größten. Das ist eine gute Nachricht und eine wichtige Voraussetzung dafür, den Einsatz digitaler Lehrmittel im Fachunterricht in Zukunft zu verbessern, denn hier muss Deutschland noch aufholen.“
„Die Lehrkraft ist und bleibt der wichtigste Faktor für erfolgreiche Bildung“
Weiter erklärt sie: „TIMSS 2023 zeigt, wie wichtig die Stärkung der basalen Kompetenzen ist. Unsere Maßnahmen wie die gezielte Förderung von MINT-Projekten und verbesserte Fortbildungsangebote für Lehrkräfte zahlen sich jetzt aus. Die Ergebnisse der TIMSS-Studie belegen zudem einmal mehr: Die Lehrkraft ist und bleibt der wichtigste Faktor für erfolgreiche Bildung und das Engagement der Lehrkräfte während und nach der Pandemie hat entscheidend dazu beigetragen, die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland konstant über dem internationalen Mittelwert zu halten.“
Christine Streichert-Clivot (SPD), Saarlands Bildungsministerin und Präsidentin der KMK, meint: „Es ist eine sehr gute Nachricht, dass die Kompetenzen von Viertklässlerinnen und Viertklässler in Mathematik und Naturwissenschaften im Vergleich zur Erhebung 2019 relativ unverändert und über dem internationalen Mittelwert geblieben sind. Die heutigen Ergebnisse zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler die Rückstände nach den Einbrüchen unmittelbar nach der Covid-19-Pandemie aufholen konnten. Erfreulich ist der signifikant gestiegene Anteil der Schülerinnen und Schüler in Mathematik, die die höchste Leistungsstufe erreichen. Leider ist der Anteil auf den unteren Leistungsstufen in Mathematik mit einem Viertel und in den Naturwissenschaften mit einem Drittel zwar im internationalen Vergleich im Mittel, aber immer noch deutlich zu hoch. Hier müssen wir uns weiter engagieren.“
„Kein Grund zu jubeln. Die Grundschulen sind seit langem völlig unterfinanziert“
Auch die GEW warnt die Kultusministerinnen und -minister davor, sich nun entspannt zurückzulehnen. „Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in der Grundschule sind im internationalen Vergleich in Naturwissenschaften und Mathematik nach wie vor höchstens mittelmäßig. Also: kein Grund zu jubeln. Die Grundschulen sind seit langem völlig unterfinanziert. Hier war der Lehrkräftemangel in den vergangenen Jahren besonders dramatisch. Die Grundschulen brauchen dringend mehr Gelder sowie ein umfassendes und integriertes Konzept. Dazu gehört, das Wohlbefinden und die Gesundheit der Kinder viel stärker in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze.
Die Studie „Trends in International Mathematics and Science Study“ (TIMSS) ist eine international vergleichende Schulleistungsuntersuchung, die unter der Koordination der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) durchgeführt wird. In Deutschland wird die Studie durch ein wissenschaftliches Konsortium unter der Leitung von Prof. Knut Schwippert (Universität Hamburg) durchgeführt.
An TIMSS 2023 beteiligten sich weltweit insgesamt 58 Teilnehmerländer, darunter 22 EU-Mitgliedstaaten und 29 OECD-Staaten. Die repräsentative Stichprobe in Deutschland umfasst 4.442 Viertklässlerinnen und Viertklässler an 230 Schulen. Die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler an den Kompetenztests war in Deutschland verpflichtend. Zusätzlich erhielten die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Schulleitungen und Erziehungsberechtigten Hintergrundfragebögen; der Verpflichtungsgrad variierte dabei je nach Bundesland. News4teachers / mit Material der dpa
„Die Lehrkraft ist und bleibt der wichtigste Faktor für erfolgreiche Bildung“Ach nee! Dann sorgt doch bitte dafür, dass nicht immer mehr Lehrkräfte zu Leerkräften werden.
Viele von uns, die einst für ihr Fach brannten und in den letzten 20 Jahren dank unzähliger bildungspolitischer und bildungsideologischer Reformen wahrnehmen mussten, wie stetig das Anforderungsniveau ins Flachwasser abdriftete, sind ausgebrannt.
“Große Abstürze gab es dieses Mal nicht.” Läuft doch!
Wenn die Latte beim Niveaulimbo tiefer und tiefer gelegt wird, muss keiner mehr hoch springen und der Absturz fällt weniger dramatisch aus.
“Hier müssen wir uns weiter engagieren.”
Wer sind wir – und wenn ja, wie viele ???
“(…)die einst für ihr Fach brannten(…)”
Herr, gib uns endlich Lehrmenschen, die für die Lernmenschen brennen!
Die gibt es doch – nur haben die im Regelfall Sozialpädagogik studiert und werden nicht als “Fachkräfte” mit Fakulten für bestimmte Fächer beschäftigt. Die Fächerzuweisung wird doch mit der Ernennungsurkunde bzw. dem Arbeitsvertrag verbindlich festgeschrieben.
Interessant auch, dass die Schüler aus Polen, dem Land mit den längsten Schulschließungen in Europa, in Mathematik deutlich besser abgeschnitten und deutlich stärker zugelegt haben als die Schüler aus Schweden.
Erschreckend, wie Mittelmaß als Erfolg verkauft wird. Das ist aber ein bisschen typisch für unser Land geworden. Deutschland hat aber den Anspruch formuliert in vielen Bereichen von Forschung und Entwicklung an der Weltspitze mitzuwirken. Dann wäre ein bisschen mehr Ehrgeiz vonnöten.
Naja, der Durchschnitt…der Arme und der Millionär.
Es war doch schon bei PISA so, dass die Besseren besser geworden sind und die Schlechteren schlechter.
Zur Einordnung könnte man sagen, dass es in Asien ganz grundsätzlich weniger Kinder gibt und keine bildungsferne Einwanderung und in Osteuropa gibt es weniger bildungsferne Einwanderung. Insofern kann man es durchaus positiv sehen, dass wir unter den gegebenen Umständen noch im Mittelfeld landen.
Unter jenen gegebenen Umständen – den großen politischen Leitlinien und Entscheidungen, die wir nicht (unmittelbar) ändern können – können wir Bildungsmenschen, so denke ich, auch einmal froh und stolz sein, dass es keine Totalkatastrophe sondern sogar irgendwie noch ganz ansehnlich ist.
In dem Artikel sind so kleine Stolpersteine versteckt,die wenn es umgekehrt wäre, bestimmt zu einem Aufschrei führen würden: In Naturwissenschaften sind die Leistungen beider Geschlechter jetzt gleich – weil die Jungen schlechter geworden sind ….. Warum das denn?
Interessiert es denn, wenn Jungs an Schulen die Bildungsverlierer sind? Länder wie Finnland werden doch bei vielen Bildungsexperten als vorbildlich gelobt. Bei PISA waren dort schon in Mathe deutlich mehr Jungs (27%) in der Risikogruppe als Mädchen (22%) und im Lesen mit 28% Jungs sogar doppelt so viel wie die 14% Mädchen. Würde mich nicht wundern, wenn Mädchen in Deutschland auch deshalb als strukurell benachteiligt gelten, weil sie in Mathe (31%) noch knapp häufiger in der Riskogruppe sind als Jungs (28%) und der Vorsprung im Lesen mit 22% Risikogruppe zu 29% bei den Jungs nicht so hoch ist wie in FIN.
“Damit es zu einer Einigung noch vor der Bundestagswahl kommen kann, müssen CDU/CSU das Kurzzeit-Mandat von Özdemir akzeptieren”
Özdemir hat kein Mandat, sondern ein Amt. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Natürlich akzeptieren CDU/CSU das, das war nie eine Frage. Es bedeutet aber nicht, dass die Bundestagsfraktion der CDU/CSU für das Gesetz stimmt.
Verhandlungsmandat – darum geht es. Herzliche Grüße Die Redaktion