Lehrermangel: Grundschule fehlen sechs von elf Kollegen – Mütter übernehmen den Unterricht

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DRESDEN. Der Lehrermangel in Deutschland hat zunehmend dramatische Auswirkungen. Ein aktueller Fall aus Dresden: In einer Grundschule haben Mütter kurzentschlossen den Unterricht übernommen, nachdem eine Klassenlehrerin erkrankt war und nicht vertreten werden konnte. Erlaubt ist das nicht. Der Schulleiter zuckt hilflos mit den Schultern. „Ich bin froh, dass die Eltern sich engagieren“, sagt er. Denn sonst hätte er in der vergangenen Woche seine Schule wohl dichtmachen müssen.

Wo, bitteschön, bleiben bloß die Lehrer? Foto: Gerry Thomasen / flickr (CC BY 2.0)
Wo, bitteschön, bleiben bloß die Lehrer? Foto: Gerry Thomasen / flickr (CC BY 2.0)

In der kleinen Grundschule in einem Dresdner Vorortbezirk wird deutlich, was der akute Mangel insbesondere an Grundschullehrern in der Praxis bedeutet: Unterrichtsausfall – bis hin zum nahezu vollständigen Erliegen des Schulbetriebs. Die betroffene Grundschule ist laut einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ zweizügig; für die zusammen acht Klassen verfügt der Schulleiter aktuell nur noch über fünf Lehrkräfte. Sechs Kollegen fehlen laut einem Bericht von „Tag 24“ derzeit längerfristig.

Kein Ersatz

Für zwei Pädagoginnen, die in Pension gingen, hatte das Kollegium eigentlich um zwei Seiteneinsteigerinnen ergänzt werden sollen. Aber, so berichtet die „Sächsische Zeitung“: Eine von ihnen wurde schwanger und ging in den Mutterschutz, die andere musste sich einer Operation unterziehen. Wann letztere ihren Dienst wieder antreten kann, steht in den Sternen. Zwei Lehrer sind dauerhaft krank. Nach den Sommerferien kamen zwei Ausfälle durch kurzfristige Erkrankungen hinzu. Ersatz gab‘s von der fürs Personal zuständigen Sächsischen Bildungsagentur bislang keinen. Der Schulleiter musste Unterricht in den Fächern Mathematik, Deutsch, Sachunterricht und Sport übernehmen – immer wieder mit zwei Klassen gleichzeitig, und zwar in der Turnhalle, weil nur dort genügend Platz für so viele Kinder ist. Werk- oder Kunstunterricht? Wird mangels Personal an der Schule bis auf weiteres nicht mehr erteilt.

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Seit vier Wochen läuft in Sachsen das neue Schuljahr. Stundenpläne gibt es an der Schule aber noch immer nicht. Wozu auch, der Unterricht findet ohnehin nur sporadisch statt. Die Eltern sind auf den Barrikaden. „Die Kinder sollen Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Stattdessen kommen sie morgens in die Schule und wissen nicht, was sie erwartet“, so beschwert sich eine Mutter gegenüber der „Sächsischen Zeitung“. Eine andere, deren Tochter in eine vierte Klasse besucht, schimpft: „Die Kinder hatten bis jetzt eine Stunde Deutsch.“ Wohlgemerkt: seit Ende der Sommerferien. Und bei den Viertklässlern geht es immerhin jetzt um die Bildungsempfehlungen für die weiterführende Schule, die sie nach dem ersten Schulhalbjahr bekommen sollen.

Schicht im Schacht

Wenn in dieser Situation dann noch eine der wenigen verbliebenen Lehrkräfte ausfällt, ist Schicht im Schacht – wie in der vergangenen Woche. Eine weitere Kollegin, Klassenlehrerin einer zweiten Klasse, war erkrankt. Eigentlich hätten die Kinder wieder nach Hause gehen müssen. Eine Mutter, die die Notlage morgens mitbekam, übernahm kurzentschlossen die Klasse und übte mit den Kindern. Am nächsten Morgen sprang eine andere Mutter ein und las und schrieb mit den Schülern. Erlaubt sei das nicht, hieß es trocken bei der SBA. „Eltern sind nicht ausreichend durch eine Versicherung geschützt“, erklärte eine Sprecherin.  Auch aus Datenschutzgründen sei es verboten, Eltern an der Schule ihres Kindes zu beschäftigen.

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In den nächsten Tagen soll sich die Situation etwas entspannen. Zwei dienstunfähige Lehrer kehren wieder an die Schule zurück. Aus einer Nachbarschule wurde eine Kollegin abgeordnet. Außerdem sei ein Seiteneinsteiger eingestellt worden, der allerdings erst eine dreimonatige Qualifizierung durchlaufen muss. Und: Es würden nun gezielt, „schulscharf“  Stellen für die Grundschule ausgeschrieben, hieß es. Ob das allerdings Erfolg hat, erscheint zweifelhaft: Der Arbeitsmarkt für Grundschullehrkräfte ist bundesweit leer gefegt. Mehr als die Hälfte der neu eingestellten Lehrer im Freistaat, 52 Prozent, verfügten nicht über eine angemessene pädagogische Ausbildung.  bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

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