BERLIN. Viele Flüchtlingskinder leiden in Deutschland darunter, dass sie lange Zeit in Sammelunterkünften mit vielen fremden Menschen auf engem Raum zusammenleben müssen. Das geht aus der Studie «Kindheit im Wartezustand» des UN-Kinderhilfswerks (Unicef) hervor, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Darin heißt es: «Sie warten auf eine Entscheidung über die Asylanträge der Familie, auf den Arztbesuch, Zugang zu Schulen und Kitas und insbesondere auf eine dauerhafte, geeignete Bleibe.» Dabei wünschten sich geflüchtete Familien «nichts sehnlicher, als anzukommen und neu zu beginnen», sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef-Deutschland.
Die Autoren der Studie stellten bei der Befragung von Mitarbeitern von Flüchtlingseinrichtungen fest, dass mehr als jeder fünfte Minderjährige über sechs Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen musste. Die Aufenthaltsdauer in den Gemeinschaftsunterkünften gab ein Drittel der Mitarbeiter mit ein bis drei Jahren an. Problematisch ist laut Studie vor allem eine gemeinsame Unterbringung von Familien zusammen mit alleinstehenden Männern. Eine Nigerianerin berichtete den Autoren, sie habe das Gefühl, ihre siebenjährige Tochter «ständig beschützen zu müssen», seitdem sie das Badezimmer mit drei jungen Männern teilen müssten. Eine andere Mutter berichtete: «Es gibt einige im Heim, die Kinder angefasst haben.» Ihre Kinder dürften deshalb nicht mehr draußen spielen.
Kinder, Jugendliche und Eltern beklagen vor allem die Enge, den Lärm, die fehlende Privatsphäre und die schlechten hygienischen Zustände in den Sammelunterkünften. «Das Lernen war da drin überhaupt nicht möglich», sagte der 15-jährige Ali aus Syrien den Forschern.
Respektloses Klima
Auch für geflüchtete Frauen ist die Wohnsituation nach ihrer Ankunft in Deutschland eines der größten Probleme. Zu diesem Schluss kommt eine weitere Studie, die am Dienstag in der Berliner Charité vorgestellt wurde. Ein Fünftel der mehr als 600 befragten Frauen berichtete von spezifischen Problemen – darunter fehlende Privatsphäre, sexuelle Übergriffe, schmutzige sanitäre Anlagen, Lärm und ein allgemein respektloses Klima.
Dass die Familien oft sehr lange in Gemeinschaftsunterkünften ausharren müssen, hat auch damit zu tun, dass viele Deutsche nicht an Flüchtlinge vermieten wollen. «Die Privaten sind dann eher zurückhaltend bei der Vermietung», hatte Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund am Montag in einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestages berichtet.
In den vergangenen zwei Jahren waren etwa 350.000 Kinder und Jugendliche in Begleitung ihrer Eltern nach Deutschland gekommen, um hier Schutz vor Krieg und Gewalt oder eine bessere Zukunft zu suchen. Außerdem kümmern sich die Jugendämter aktuell um etwa 48.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. dpa