Schulweg über acht Spuren hinweg? Verkehrsplanung nimmt zu wenig Rücksicht auf Kinder

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FRANKFURT/MAIN. Eine Grundschule direkt hinter einer achtspurigen Hauptverkehrsader: Eine Elterninitiative sorgt sich um den Schulweg. Noch viel gefährlicher ist für Kinder aber eine ganz andere Art, in die Schule zu kommen.

Achtspurig rauscht der Verkehr an der Frankfurter Miquelallee entlang. Das Gewirr aus Bus-, Abbiege- und Fahrradspuren ist selbst für Erwachsene schwierig überschaubar. Fußgänger schaffen es – wenn sie schnell sind – in einer Grünphase gerade mal auf die schmale Verkehrsinsel in der Mitte der Fahrbahnen. Nur wenige hundert Meter weiter wird die Straße zur Autobahn, die blauen Schilder sind bereits in Sicht.

Frankfurt: Kreuzung der Eschersheimer Landstraße mit der Miquelallee, die etwas weiter westlich in die A66 übergeht. Foto: Dontworry / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

«Das hier künftig Kinder entlanglaufen sollen, ist ja wohl absurd», sagt der Vater Lorenz Gempper. Er setzt sich mit anderen Eltern aus dem West- und Nordend für einen sicheren Schulweg ein. Denn ab dem kommenden Schuljahr soll neben der Miquelallee der neue Schulcampus Westend seinen Betrieb aufnehmen. Schüler der für den Umbau ausgelagerten Holzhausen-Grundschule und des Adorno-Gymnasiums sollen dann ihren Weg dorthin finden. Mehrere hundert Kinder seien es, meint Gempper. Und der Übergang über die Miquelallee sei nicht die einzige Gefahrenstelle rund um die Schulen.

Die Stadt Frankfurt hat nach eigenen Angaben einen alternativen Schulweg vorgeschlagen, der die kritische Kreuzung Miquelallee/Hansaallee direkt vor der Schule umgeht. Da die Alternative aber einen Umweg von rund einer Viertelstunde bedeute, halten Gempper und seine Mitstreiter diese Lösung für lebensfremd. Sie fordern deutliche Eingriffe in die Verkehrsführung: Veränderte Ampelphasen, eine breitere Insel, möglicherweise eine andere Abbiegeregelung, extra angelegte Wege und am liebsten eine Fußgängerbrücke über die Miquelallee.

Mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse von Kindern nehmen, diese dann aber auch als Verkehrsteilnehmer trainieren, ist aus Sicht von Experten die angemessene Vorbereitung für einen sicheren Schulweg. «Wenn ein Kind in Frankfurt wohnt, muss es lernen, mit dem Verkehr dort umzugehen», sagt die Sprecherin der Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Hessen, Barbara Mühlfeld. Eltern seien dann in der Pflicht, ihrem Nachwuchs einen sicheren Schulweg beizubringen. Gleichzeitig nehme die Verkehrsplanung hessenweit viel zu wenig auf die Bedürfnisse von Kindern Rücksicht, kritisiert die Kinderärztin. «Kinderfreundlich ist Frankfurt nicht, da muss enorm was passieren.»

Ähnlich sehen das die Initiatoren der Aktion «Kidical Mass», bei der regelmäßig hunderte Kinder mit ihren Eltern in einem Fahrrad-Korso unter dem Motto «Auch uns gehört die Straße» in der Innenstadt demonstrieren. «Wir wollen Kindern eine Stimme geben und auf ihre Bedürfnisse hinweisen», sagt einer der Sprecher, Peter Josiger.

Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) will Kindern in Frankfurt nicht generell empfehlen, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Es komme stark auf das Alter und den Weg an, sagt der verkehrspolitische Sprecher für Frankfurt, Bertram Giebeler. «Städte wie Frankfurt sind von ihrer Verkehrsrealität auf Erwachsene ausgerichtet. Natürlich wollen wir, dass sich das ändert, aber das werden wir nicht schnell flächendeckend hinbekommen», sagt Giebeler. Das sei in anderen Großstädten ähnlich, immerhin habe Frankfurt in letzter Zeit einiges Engagement gezeigt.

Kinder als Verkehrsteilnehmer brauchen aus Sicht von Mühlfeld mehr Platz und mehr Sicherheit. Unter anderem wünscht sie sich längere Grünphasen an Ampeln, generell Tempo 30 in der Innenstadt und mehr Parkdisziplin. «Man kann den Kindern noch so viele sichere Wege zeigen und wenn dann ein Laster in zweiter Reihe steht müssen sie doch auf die Straße.» Statt den Verkehr zu entzerren steigere sich jedoch dessen Dichte und damit die Rücksichtslosigkeit der Autofahrer: «Die Kinder sind das schwächste Glied.» Aufgrund ihrer Gehirnentwicklung fehle ihnen oft der Überblick und der Sinn für Gefahren. Da brauche es gute Planung und viel Vorsicht bei den anderen Verkehrsteilnehmern.

Trotz aller Unwägbarkeiten spricht sich die Ärztin klar für einen Schulweg zu Fuß oder ab einem gewissen Alter per Rad aus. «Wir sprechen viel über Bewegungsmangel bei Kindern, der Schulweg steuert da entgegen.» Zudem ist der selbst bewältigte Schulweg immer noch sicherer als das Elterntaxi, was Zahlen der Unfallkasse Hessen belegen. Denn am häufigsten verunglückten Kinder auf dem Weg zur Schule als Beifahrer im Auto ihrer Eltern.

Im Falle der Miquelallee will sich die Stadt nun nochmal mit den Eltern und der Schulleitung zusammensetzen. Bei einem Termin mit Verantwortlichen von verschiedenen Ämtern soll noch vor den Sommerferien eine Lösung gefunden werden, sagen Eltern und Stadt. (Miriam Bandar, dpa)

Schulwegpläne in Hessen

In Hessen gibt es einen Erlass des Kultusministeriums, nach dem jede Schule den Eltern und Schülern einen Schulwegplan mindestens für die Jahrgänge 1 bis 7 aushändigen muss. Die Erstellung des Plans sei Sache der entsprechenden Schule, sagte ein Sprecher des Kultusministeriums.

Auch die Stadt Frankfurt hat für jede ihrer Schulen einen solchen Plan. Dabei werde die Beteiligung von Eltern und Elternbeirat ausdrücklich begrüßt. Auf den Plänen sind laut Stadt die empfohlenen sicheren Schulwege mit zu bevorzugender Straßenseite, Ampeln, Fußgängerüberwege, Gefahrenstellen und Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel eingezeichnet. Das Stadtschulamt kümmere sich jährlich um die Aktualisierung. Grundsätzlich liege der sichere Schulweg aber im Verantwortungsbereich der Eltern, sind sich Stadt und Land einig. (dpa)

Verkehrswacht fordert Radfahr-Erziehung nach der Grundschule

 

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