BERLIN. Der Befund ist so alt wie die erste PISA-Studie: Die Herkunft von Kindern entscheidet in Deutschland stärker als in vielen anderen Staaten über spätere Bildungs- und Karrierechancen. Das Bildungsbarometer, eine alljährlich erhobene Umfrage des wirtschaftsnahen ifo-Instituts, bringt nun heraus: Eine große Mehrheit der Bundesbürger ist dafür, dass sich der Staat mehr um Chancengerechtigkeit in Kitas, Schulen und Hochschulen kümmert – für diesen Zweck allerdings gezielt Geld auszugeben, damit ist dann nur noch eine Minderheit einverstanden. Wie geht das zusammen?
Im aktuellen „Bildungsbarometer“, einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, wurden die Menschen nach ihrer Meinung zu verschiedenen Reformideen für das deutsche Bildungssystem mit Blick auf mehr Chancengleichheit für alle Kinder befragt. Studienautor Philipp Lergetporer erklärt, die Befragung zeige, dass es beim Thema Bildung eine große Reformbereitschaft in der Bevölkerung gebe. Von acht Reformvorschlägen, die man den Befragten zur Bewertung vorgelegt habe, seien sieben mehrheitsfähig.
Konkret heißt das:
- Am meisten Zustimmung bekommt ein Ausbau von Stipendienprogrammen für einkommensschwache Studenten – 83 Prozent der Befragten sind „sehr“ oder „eher“ dafür.
- Die zweithöchste Zustimmung (81 Prozent) erhält der Vorschlag, staatliche Ausgaben für Schulen mit vielen Schülern aus benachteiligten Verhältnissen zu erhöhen.
- Die staatliche Übernahme der Kindergartengebühren für alle Kinder ab dem Alter von vier Jahren befürworten 78 Prozent der Deutschen.
- Für die Einführung einer Pflicht, dass alle Kinder ab dem Alter von vier Jahren in den Kindergarten gehen, sprechen sich 67 Prozent aus.
- 64 Prozent der Befragten sind für eine Erhöhung der Gehälter von Lehrern, wenn sie an Schulen mit vielen Schülern aus benachteiligten Verhältnissen unterrichten.
- Darüber hinaus zeigen die Deutschen Bereitschaft für grundlegende Strukturreformen der Schullandschaft. 61 Prozent sprechen sich dafür aus, Schüler erst nach der 6. Klasse aufs Gymnasium und auf andere Schularten aufzuteilen.
- Eine Mehrheit (56 Prozent) findet sich ebenfalls für den Wechsel zu einem Ganztagsschulsystem, in dem alle Kinder bis 15 Uhr in der Schule sind.
- Einzig beim gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Lernschwäche in Regelschulen ist das Meinungsbild gespalten: 44 Prozent unterstützen die Inklusion, während sich 41 Prozent dagegen aussprechen.
Grundsätzlich äußern 71 Prozent der Deutschen generell die Meinung, der Staat sollte mehr Geld für Kinder aus schlechter gestellten Familien ausgeben, um die Chancengleichheit zu erhöhen. An diesem Punkt allerdings werden die Ergebnisse der Umfrage widersprüchlich – denn als die Forscher noch einmal konkret nachfragten, zeigten sich deutliche Mehrheiten dagegen, zusätzliche staatliche Bildungsausgaben zur gezielten Förderung benachteiligter Gruppen zu verwenden.
In allen Bildungsbereichen sollen Mittel mit der Gießkanne verteilt werden
So heißt es in der Studie: „In allen abgefragten Bildungsbereichen – vom Kindergarten bis zur Weiterbildung im Erwachsenenalter – spricht sich eine deutliche Mehrheit der Befragten dafür aus, zusätzliche Mittel allen Personen gleichermaßen zukommen zu lassen. Der Anteil derjenigen, die die zusätzlichen Mittel für benachteiligte Personen verwenden würden, variiert zwischen 24 Prozent im Bereich der Berufsschulen und 34 Prozent im Bereich der frühkindlichen Bildung. Interessanterweise spricht sich die deutsche Bevölkerung nicht nur für Gleichbehandlung aus, wenn es um die Förderung benachteiligter Gruppen geht, sondern auch, wenn es um Spitzenförderung wie etwa bei Spitzenuniversitäten geht. So sprechen sich 58 Prozent dagegen aus, dass der Bund mit den Mitteln der Exzellenzstrategie einige wenige Spitzenuniversitäten fördert, anstatt die Mittel gleichmäßig auf viele Universitäten zu verteilen. Nur 26 Prozent sind für eine solche gezielte Förderung.“
Fazit der Forscher: „Diese Ergebnisse zeigen demnach, dass sich die Mehrheit der Deutschen für die Förderung benachteiligter Gruppen ausspricht. Vor die Wahl zwischen gezielter Förderung und Maßnahmen mit der Gießkanne gestellt, unterstützt sie jedoch eher die Gleichverteilung zusätzlicher staatlicher Mittel auf alle.“
Wie erklären die Wissenschaftler den eklatanten Widerspruch? In der Meinungsforschung ist das Phänomen nicht unbekannt. „Beispielsweise haben wissenschaftliche Studien gezeigt, dass die Zustimmung zu Politikmaßnahmen drastisch fallen kann, wenn explizit auf die Kosten der Maßnahmen hingewiesen wird“, so schreiben die Studienautoren. Heißt in Bezug auf das Bildungswesen wohl: Die Erkenntnis, dass Förderung nicht zum Nulltarif zu haben ist, scheint in Deutschland nicht weit verbreitet zu sein. Agentur für Bildungsjournalismus
Hier geht es zur vollständigen Studie.
Man kann jedes Ergebnis haben, man muss nur die Fragen richtig stellen.
Ich bin auch für Chancengerechtigkeit in der Bildung, frage mich allerdings, ob das, was seit Jahrzehnten unter diesem Stichwort läuft, der richtige Weg ist. “Chancengerechtigkeit” oder “Chancengleichheit” ist doch nun wahrlich kein neues Anliegen. Im Gegenteil, alles Mögliche an “Umverteilung” für die Armen und Schwachen wird dafür seit Ewigkeiten unternommen. Es wird sogar soviel getan, dass man sich zunehmend fragt, ob die lernstarken Schüler nicht so langsam und systematisch vernachläsigt werden, nur damit die Schüler gleicher werden.
Was – genau – wird denn für benachteiligte Kinder und Jugendliche getan? Das weitaus meiste Geld im deutschen Bildungswesen fließt in die Gymnasien. Sitzen da die Benachteilgten?
Aktuelles Beispiel: Um in Nordrhein-Westfalen die Gymnasien von G8 auf G9 zurückzustellen – wahrlich nicht das größte bildungspolitische Problem im Land -, stand plötzlich eine halbe Milliarde Euro dafür zur Verfügung. Aber für die Inklusion reicht’s hinten und vorne nicht. Ist das “Chancengerechtigkeit”?
Sie lenken ab. Bettina fragte nach den lernstarken Schülern, also dem oberen Viertel der Leistungsfähigkeit oder der besseren Hälfte der wirklich fürs Gymnasium geeigneten Kinder aus NRW oder Bremen bzw. der besseren Hälfte der bayerischen Gymnasiasten.
Was ist eigentlich “gerecht” oder “Gerechtigkeit”? Jeder füllt doch diesen Begriff mit seinem eigenen Verständnis und persönlichem Interesse oder dem seines Lagers.
So zu tun, als gäbe es eine einzig wahre “Partei der Gerechtigkeit” oder überhaupt eine einzig zulässige Auffassung von “gerecht” und “Gerechtigkeit”, ist rechthaberischer Schwindel.
Gerecht wird heutzutage leider viel zu oft mit gleich identifiziert.
Richtig. Es gibt nämlich 3 Varianten von Gerechtigkeit. Sie alle drei unter einen Hut zu bringen, ist (mitunter) schier unmöglich:
– Jedem das Gleiche.
(das hat man oft zuerst im Sinn, aber ist das immer gerecht, der eine ist faul, der andere fleißig, alle sollen das Gleiche bekommen)
– Jedem nach seinen Leistungen.
(also doch nicht alle gleich)
– Jedem nach seinen Fähigkeiten.
(also doch nicht nach der jeweiligen Leistung)