Ab 2025 Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule – ohne Personal?

3

BERLIN. Knapp drei Millionen Kinder gehen in Deutschland in die Grundschule. Ab 2025 soll für jedes Kind, dessen Eltern das wünschen, eine ganztägige Betreuung an der Schule gewährleistet sein. Nach dem Rechtsanspruch auf den Kitaplatz kommt nun der Rechtsanspruch auf den Ganztagsplatz in der Schule. Der VBE rechnet mit einem Personalbedarf von mindestens 100.000 pädagogischen Fachkräften. Der Arbeitsmarkt gibt die derzeit nicht her.

Viele Kinder sind ab 2025 in den Grundschulen am Nachmittag zu betreuen – dafür ist viel zusätzliches Personal notwendig. Foto: Shutterstock

Grundschulkinder von der 1. bis zur 4. Klasse sollen ab 2025 ein Anrecht auf eine Ganztagsbetreuung haben. Das Bundeskabinett hat dafür am Mittwoch in Berlin in einem ersten Schritt die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von zwei Milliarden Euro beschlossen. Das Geld ist gedacht für Investitionen in Räumlichkeiten und Gebäude an den rund 15.000 Grundschulen in Deutschland, damit ab 2025 der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung erfüllt werden kann.

„Mit leerem Magen, aber einem Ranzen voll Hausaufgaben“

Viele Stolpersteine liegen aber noch im Weg: Bundesländer sowie Städte und Gemeinden bezweifelten am Mittwoch, dass das Geld reichen wird und forderten mehr. Gewerkschaften warnten, dass 2025 gar nicht genug Personal da sein werde, um die Ganztagsbetreuung für so viele Kinder sicherzustellen (siehe Stellungnahme des VBE unten). Die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule hatten CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.

Die Regierung begründet das Vorhaben unter anderem mit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es sei schlicht nicht möglich, dass Eltern einer geregelten Arbeit nachgingen, wenn Erstklässler oft schon um 12 Uhr wieder vor der Haustür stünden, «mit leerem Magen, aber mit einem Ranzen voller unerledigter Hausaufgaben», sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Mittwoch in Berlin.

Der Ausbau der Ganztagsbetreuung solle Menschen auch Mut machen, sich für Kinder zu entscheiden, sagte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Die Qualität der Ganztagsangebote in den Schulen und Horten müsse aber stimmen. «Nur dann werden Kinder und Eltern die Ganztagsangebote nutzen.»

Betreuungsanspruch der Eltern: Fünf Tage die Woche, acht Stunden am Tag

Der Plan ist, dass ab 2025 alle Kinder in Deutschland von der 1. bis zur 4. Klasse einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung haben werden, an fünf Tagen in der Woche, für acht Stunden am Tag. Über 50 Prozent der Grundschulkinder würden bereits jetzt ganztägig betreut, sagte Giffey. Sie rechnet damit, dass in den kommenden Jahren bis zu eine Million zusätzliche Plätze geschaffen werden müssen, damit der Rechtsanspruch ab 2025 erfüllt werden kann. Vor allem im Westen gebe es Nachholbedarf.

Anzeige

Der Ganztagsausbau wird unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt. Er warnte allerdings davor, dass der Rechtsanspruch ab 2025 am fehlenden Personal zu scheitern drohe. Die Bundesländer müssten «sofort ihre Ausbildungskapazitäten für Erzieherinnen und Erzieher sowie Grundschullehrkräfte massiv ausweiten», sagte die stellvertretende DGB-Chefin Elke Hannack im Gespräch.

Aus den Bundesländern und von Städten und Gemeinden kam Kritik an der Finanzierung. Länder und Kommunen dürften am Ende nicht auf den laufenden Betriebskosten für die Ganztagsbetreuung sitzenbleiben, sagte der Präsident der Kultusministerkonferenz Alexander Lorz (CDU) am Mittwoch. Zwei Milliarden – «Diese Summe wäre schon allein für Bayern nötig», sagte die bayerische Familienministerin Kerstin Schreyer (CSU). Wer einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung verspreche, müsse diese auch bezahlen, kritisierte Schleswig-Holsteins Familienminister Heiner Garg (FDP) die Bundesregierung.

„Die Länder müssen das angehen, weil die Eltern das erwarten“

Die Kosten für den Ganztagsausbau werden auch nach Ansicht von Familienministerin Giffey deutlich über den zwei Milliarden – nämlich bei schätzungsweise fünf bis sieben Milliarden Euro – liegen. Natürlich gebe der Bund etwas dazu. «Aber so oder so müssten die Länder diese Aufgabe angehen, weil die Eltern und Familien in Deutschland das erwarten», sagte Giffey.

Der Streit zeigt, dass noch schwierige Verhandlungen mit den Ländern anstehen, bevor der Rechtsanspruch umgesetzt ist. Der Bund hat nun zwei Milliarden Euro ins Schaufenster gestellt. Ähnlich wie zuvor schon beim «Gute-Kita-Gesetz» oder beim «Digitalpakt Schule» fließt das Geld aber erst, wenn Bund und Länder vereinbart haben, wie es verteilt wird, welche eigenen Beiträge die Länder beisteuern und wie konkret der Rechtsanspruch auf den Ganztagsplatz ausgestaltet werden soll. Das soll im kommenden Jahr in Angriff genommen werden. dpa

VBE: Wichtiger Schritt, aber...

„Der Kabinettsbeschluss zur Errichtung eines Sondervermögens ist ein richtiger und wichtiger Schritt“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).

Sieht den Einsatz von zu vielen Seiteneinsteigern kritisch: VBE-Chef Udo Beckmann. Foto: VBE / Jean-Michel Lannier
Drängt auf Qualität: VBE-Chef Udo Beckmann. Foto: VBE / Jean-Michel Lannier

„Es ist zielführend, das Sondervermögen schon in den Jahren 2020 und 2021 zu errichten, damit die Investitionen frühzeitig abgerufen werden und langfristig wirken können. Zudem ist positiv hervorzuheben, dass zur Errichtung und Verwaltung des Sondervermögens die Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und für Bildung und Forschung eng zusammenarbeiten. Dies werten wir als Zeichen, dass der ursprünglichen Idee eines reinen ‚Betreuungsangebotes‘ ein breiteres Bildungsverständnis zur Seite gestellt wurde. Dies unterstützt der VBE ausdrücklich. Es muss in der weiteren Debatte stets um Ganztagsbildung gehen. Der Ausbau des Bildungs- und Betreuungsangebotes im Ganztag muss stets mit einem Fokus auf die Kinder gedacht werden und braucht eine starke Qualitätsdimension. Das muss im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses zum Rechtsanspruch stets angemessen berücksichtigt werden.“

Es bedarf einer guten Strategie zur Personalgewinnung

Der VBE hatte im Vorfeld der Behandlung des Kabinettsbeschlusses eine Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf abgegeben. Hierin wurde auch gefordert, dass es schnellstmöglich einer Konkretisierung der Investitionen bedarf und die für die Ausschüttung relevanten Förderkriterien zu erarbeiten sind. Die regierenden Parteien hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter umzusetzen. Seit Bekanntwerden dieses Vorhabens weist der VBE daraufhin, dass es vor allem einer guten Strategie zur Personalgewinnung bedarf, um schnellstmöglich den Fachkräftebedarf abdecken zu können.

Beckmann betont: „Nach neuesten Berechnungen des Deutschen Jugendinstitutes benötigen wir bis zu einer Million zusätzlicher Ganztagsplätze. Das heißt, es fehlen mindestens 100.000 pädagogische Fachkräfte. Hier muss die Politik reagieren, denn die Ausbildung dieser Fachkräfte dauert zwischen drei bis sechs Jahren.“

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Expertenbericht: Hauptproblem der Ganztagsschulen ist das Personal – die Zusammenarbeit klappt oft nicht

 

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Pälzer
4 Jahre zuvor

Alle Warnungen derer, die in vollzeitiger Berufstätigkeit beider Eltern ein Problem sahen, bestätigen sich. In der DDR wurden diejenigen, welche ihre Kinder selber erziehen wollten, als Systemfeinde eingeordnet.

fkdhfkd
4 Jahre zuvor

6 Jahre Zeit für Personal

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  fkdhfkd

Für die Ausbildung von Grundschullehrern ist das reichlich knapp, weil in sechs Jahren nur die wenigsten der derzeitigen Studienanfänger bereits mit dem Referendariat fertig sind. Sogar im Referendariat sind dann noch längst nicht alle.