Schulden, Sorgen, Pessimismus: Einem Teil der Jugend setzt der „Dauerkrisenmodus“ zu

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BERLIN. Jeder fünfte junge Mensch in Deutschland hat einer Umfrage zufolge Schulden, viele 14- bis 29-Jährige sparen Energie und machen sich Sorgen wegen Inflation und Krieg. Dennoch zeigt sich die junge Generation mit ihrer persönlichen Situation weiterhin relativ zufrieden, auch wenn die Befürchtung wächst, dass die Wohlstandsjahre vorbei sind. Das sind Ergebnisse einer am Montag veröffentlichten Studie der Jugendforscher Simon Schnetzer und Prof. Klaus Hurrelmann.

Vieles von dem, was Jugend ausmacht, konnte in der Pandemie nicht stattfinden – das wirkt nach bis heute. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Für die halbjährlich durchgeführte Trendstudie „Jugend in Deutschland” wurden im Oktober 1027 Jugendliche und junge Erwachsene online befragt. Wesentlicher Bestandteil ist die Abfrage der größten Sorgen dieser Altersgruppe. Momentan steht die Inflation (71 Prozent) ganz vorn, gefolgt vom Krieg in Europa (64) und dem Klimawandel (55).

20 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen stimmten in der Befragung der Aussage zu: „Ich habe Schulden”. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) gab an, wegen der Inflation Energie zu sparen, zum Beispiel durch weniger Heizen und kaltes Duschen und mehr preisreduzierte Waren zu kaufen (51 Prozent). Ein Viertel hat nach eigenen Angaben den Kauf von Bio-Produkten eingeschränkt.

Der Krieg in der Ukraine macht vielen jungen Menschen weiterhin große Sorgen. Bei 38 Prozent ist die Angst „sehr groß” oder „eher groß”, dass er sich auf ganz Europa ausweiten wird. 27 Prozent haben davor keine oder eher geringe Angst. 35 Prozent sagen weder noch. Deutlich mehr junge Menschen als noch im Frühjahr (54 Prozent (+25)) machen sich jetzt Sorgen wegen der Inflation.

Viele junge Leute sind sich sicher, dass sie den Lebensstandard der Eltern nicht aufrechterhalten können, die Wohlstandsjahre seien vorbei

Viele junge Menschen klagen weiterhin über psychische Belastungen, wie Stress oder Antriebslosigkeit. Hier haben sich einige Umfragewerte aber auch entspannt. Der Anteil derjenigen, die lernten, ohne psychische Belastungen mit dem „Dauerkrisenmodus” umzugehen, habe sich leicht vergrößert, heißt es in der Studie, „weil eine gewisse Routine im Umgang mit Ausnahmesituationen eingetreten ist und sich Widerstandskräfte („Resilienz”) gebildet haben”.

Dennoch weisen die Autoren darauf hin, dass sich bei einer „erschreckend großen Minderheit” psychische Sorgen verfestigt und verdichtet hätten, so dass dringende Unterstützung notwendig sei. So berichteten 16 Prozent von Hilflosigkeit und 10 Prozent (+3) von Suizidgedanken. Das sei ein „dringendes Warnsignal”.

Ein so hohes Maß an Sorgen habe er selten gesehen, ordnet Co-Autor Klaus Hurrelmann, der seit Jahrzehnten über Einstellungen von Jugendlichen forscht, das Ergebnis laut „Spiegel“ ein. Da die Belastungen psychische und finanzielle Komponenten habe, „kann es zu krisenhaften Entwicklungen kommen“, sagt Hurrelmann. Viele junge Leute seien sich sicher, dass sie den Lebensstandard der Eltern nicht aufrechterhalten können, die Wohlstandsjahre seien vorbei.

Die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung im Land und die Lebensqualität bewerten junge Menschen jetzt schlechter als noch vor einem halben Jahr. Sie blicken in diesen Bereichen auch skeptischer in die Zukunft. Gespiegelt werde hier die Befürchtung der jungen Generation in Deutschland, dass sich das Ende der Wohlstandsjahre abzeichne, heißt es.

Die eigene Lage (Berufschancen, soziale Anerkennung, finanzielle Situation, psychische und körperliche Gesundheit) wird zwar überwiegend positiv bewertet, allerdings haben sich auch hier Werte verschlechtert. „Alles in allem” sind die meisten aber weiterhin mit ihrem Leben zufrieden. „Das lässt darauf schließen, dass trotz der Verschlechterung immer noch eine solide Basis für eine grundsätzlich positive persönliche Stimmungslage besteht.”

„Besonders anfällig für Konsum auf Pump scheinen junge Menschen bei Markenkleidung und anderen Identifikationsobjekten sein, die mit Anerkennung oder sozialem Status verknüpft sind”

Dass jeder Fünfte Schulden habe, sei eine „erschreckende Erkenntnis”, heißt es in der Studie. Die Autoren beobachten nach eigenen Angaben „vermehrt den Trend sogenannter Klarna-Schulden”. Über die Firma Klarna werden Zahlungen bei Online-Bestellungen abgewickelt, dabei kann auch auf Rechnung gekauft und später bezahlt werden. „Besonders anfällig für Konsum auf Pump scheinen junge Menschen bei Markenkleidung und anderen Identifikationsobjekten sein, die in ihrem Umfeld mit Anerkennung oder sozialem Status verknüpft sind”, schreiben die Jugendforscher.

Häufig würden außerdem Schulden beim Computerspielen gemacht mit sogenannten In-Game-Käufen. Appelliert wird deshalb an die Entscheidungsträger in Bildung und Politik, Finanzbildung für Jugendliche „dringend in Lehrplänen zu berücksichtigen”. News4teachers / mit Material der dpa

Der Generation Z ist die „Work-Life-Balance“ wichtig (doch die Bedeutung differenziert)

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Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor

Die Reallöhne für akademische Berufseinsteiger sind heute nur noch ca. 70 Prozent so hoch wie 1999. Kein Wunder, dass man sich da Sorgen macht, wenn man damit rechnen muss, immer ärmer zu werden.

gehtsnoch
1 Jahr zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

Die Reallöhne sind in Deutschland zwischen 1991 und 2019 um lediglich 12,3 Prozent gestiegen.
Lohnentwicklung in Deutschland und Europa

Reallohnindex
Wie kommt man da ohne Quelle auf ein Minus von 30 %, wenn auch nur bei Akademikern.

Last edited 1 Jahr zuvor by gehtsnoch
Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor
Antwortet  gehtsnoch

Ich habe da so Angaben der Bundesarbeitsagentur von vor 22 Jahren.

Ron
1 Jahr zuvor

Wir tun als Gesellschaft gerade alles, um die Jugend – und nicht nur diese – nachhaltig und dauerhaft zu traumatisieren. Corona, behauptete Klimakatastrophe, Energienotstand und Krieg. Dazu die Politisierung und Instrumentalisierung von Sport, Unterhaltung und Medien. Selbst Fußball darf nicht mehr als einfacher Sport betrachtet werden (ja ich verstehe und teile die Kritik an der WM). Wie sollen aber aus dieser Dauer-Katastrophenbeschallung normale Menschen erwachsen? Heute die Inhalte der TV-Nachrichten: Unterdrückung der Homosexualität in Katar, Erdbeben in Indonesien, Antisemitismus in Deutschland, Krieg in der Ukraine. Das ist doch schrecklich. Vor 20 Jahren wären in den Nachrichten die Freude über eine gelungene WM-Eröffnung, gesteigerte Wirtschaftsexporte, die erfolgreiche Überführung eines neuen Kreuzfahrtschiffes aus Papenburg und das Einsetzen des herrlichen Winterwetters Thema gewesen. Was ist also seitdem geschehen? Ist die Welt schlechter geworden? Nein, ist sie nicht. Unsere Sicht auf diese Welt ist nur völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Und das ist ein Indiz dafür, dass mittlerweile nicht nur die Jungen, sondern wir als Gesamtgesellschaft auf die Couch gehören.

Zitrone
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Auf welchem Planeten leben Sie?

„Ist die Welt schlechter geworden? Nein, ist sie nicht.“ Ist sie doch: Krieg in Europa, der jederzeit zu einem Flächenbrand werden kann, eine Erderwärmung, die auch bei uns Naturkatastrophen hervorbringt (Flut 2021), ein aufblühender Faschismus, der die Demokratien bedroht, eine Pandemie mit 150.000 Toten allein in Deutschland ohne Schutzmaßnahmen in Schulen – da kann Jugendlichen schon mal zurecht Angst und Bange werden.

Schon gar, wenn Erwachsene sich als derart ignorant outen („behauptete Klimakatastrophe“).

Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  Zitrone

Sie scheinen noch jung zu sein. Oder haben Sie den Jugoslawienkrieg, die zwei Irakkriege, 9/11 und den Afghanistankonflikt, Syrien, Libyen, Tschetschenien usw. vergessen? Mit der Flut in 2021 meinen Sie vermutlich das Aartal. Das hatte nachweislich mit Klimakatastrophe nichts zu tun. Können wir hier aber nicht ausdiskutieren. Und was Sie mit dem Faschismus meinen, entzieht sich völlig meiner Kenntnis. Noch nie war unsere Gesellschaft linksorientierter.

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Was sich seitdem verändert hat?

Viel. Zum. Schlechten.

Wie das kommt? Hat sicher sehr vielschichtige Gründe.

Doch einer ist Habgier, ein anderer Angst und der nächste das wahre Gesicht.

Das alles – und natürlich noch viel mehr – steckt in uns Menschen.

Was sich zeigt und durchsetzt ist das, was „gefüttert“ wird.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Naja, solange die Markenkleidung und andere „Identifikationsobjekte“ noch so eifrig gekauft werden, ist die Not wohl doch noch nicht wirklich ausgebrochen. Vielmehr könnte man ja mal diese Art „Identifikation“ hinterfragen. Warum eigentlich zählt eine gute Bildung nicht als Statussymbol für den „sozialen Status“? Das wäre preisgünstiger. 🙂

mama51
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carsten60

Tja, wenn „haben / haben- wollen oder müssen“ in der Sozialisation der jungen Leute eine so große Rolle gespielt hat… was kommt dabei heraus?

Verzicht ist für viele (selbstverständlich nicht für alle) zwischen 20 und 40 Jahren ein Fremdwort.
Genügsamkeit kennt kaum einer mehr. Wer, von den Jungen Leuten, kann sich heute noch an dem freuen, was er hat?
Überall wird gejammert und geklagt über das, was (angeblich) fehlt!
Dankbarkeit – wie schreibt man das?

Ja, Carsten60: Sie haben die Frage des Jahres, wenn nicht des Jahrhunderts gestellt:

Warum eigentlich zählt eine gute Bildung nicht als Statussymbol für den „sozialen Status“?