Lehren mit (analogen und digitalen) Medien: Was einige vielleicht nicht wissen…

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GIESSEN. Dass es beim Lehren darauf angekommt, wie Inhalte vermittelt werden, ist für Lehrkräfte eine Binsenweisheit. Das gilt auch für die Vermittlung über Lernmedien. Spannend sind allerdings die Fragen, worauf es dabei ankommt – und ob es womöglich Stolperfallen gibt, die es zu beachten gilt. Hier bringt eine aktuelle Studie von Wissenschaftler:innen der Abteilung Pädagogische Psychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen mehr Licht ins Dunkel.

Die Gestaltung von (digitalen) Lernmedien ist relevant. Illustration: Shutterstock

Sobald man einen Text mit einem Bild gemeinsam präsentiert, gilt dies aus kognitions- und medienpsychologischer Perspektive als Multimedia. Denn Text und Bild sind zwei Medien, die Informationen auf sehr unterschiedliche Weise transportieren. Ein kurzer Blick auf das Bild zum Artikel etwa lässt das Relevante binnen Sekunden erkennen und vermuten, dass es im Bild um (multimediales) Lernen geht. Der zugehörige Text hingegen muss zunächst länger gelesen und tiefer verarbeitet werden, um die Inhalte zu verstehen.

Kombiniert man die Informationen aus den beiden Medien, Text und Bild, müssen diese im Arbeitsgedächtnis integriert werden, um erfolgreiches Lernen zu begünstigen. Da die menschliche Arbeitsgedächtniskapazität begrenzt ist, sollten Text und Bild sich sinnvoll ergänzen und beide sollten ausschließlich zum Lernen relevante Informationen transportieren. Nicht jedes Bild ist also lernförderlich. Entsprechend kann ein Bild im Zweifelsfall einen Teil der notwendigen, begrenzten kognitiven Ressourcen kosten.

Kommen dann noch digitale Formate hinzu, kann das für das Arbeitsgedächtnis der Lernenden eine Herausforderung darstellen. Im schlimmsten Fall kann das Lernen sogar verhindert werden, wenn Texte und Abbildungen ungünstig kombiniert werden und das Arbeitsgedächtnis so überlastet wird. Daher ist es für Sie als Lehrkräfte wichtig zu wissen, wie Sie erfolgreiches Lernen am besten unterstützen können – sowohl das Lernen mit Text und Bild, wie man es aus fast jedem Schulbuch kennt, als auch das Lernen mit digitalen Medien, die immer wichtiger für den Schulalltag werden.

Der Lerninhalt ist deutlich entscheidender für die Wahl des Lernmediums als ein möglicher Lerntyp der Lernenden

Dafür ist es hilfreich, den neusten Forschungsstand über das Lernen mit Multimedia zu kennen. Teilweise hat sich jedoch gezeigt, dass gängige Überzeugungen zum Thema Lernen mit Multimedia, die mittlerweile wissenschaftlich widerlegt sind fortbestehen. Eine gängige Überzeugung ist etwa, dass das Lernmedium an den „Lerntyp“ der Lernenden (z.B. visuell, auditiv, haptisch, sozial…) angepasst werden sollte, um Motivation und Lernleistung zu steigern. Diese Überzeugung ist vielfach wissenschaftlich widerlegt.

Der Lerninhalt ist deutlich entscheidender für die Wahl des Lernmediums als ein möglicher Lerntyp der Lernenden. So kann bei einer Mathematikaufgabe mit Wahrscheinlichkeitsrechnung die Abbildung eines Wahrscheinlichkeitsbaums für alle Lernenden hilfreich sein, da er das Verständnis der ablaufenden Prozesse für die Rechnung gut bildlich unterstreicht. Bei einem Gleichungssystem mit verschiedenen Unbekannten finden wir hingegen kaum ein passendes Bild, welches das Lernen – egal wie sehr die Lernenden dem „Visuellen Lerntypen“ entsprechen mögen – genügend unterstützen würde.

Der wahre Kern ist, dass Lernende Präferenzen z. B. eher für das Lernen mit Abbildungen oder mit Sprache haben. Präferenzen führen jedoch nicht immer zu guten Lernergebnissen. Gut ausgewählte Abbildungen, wie die eines Wahrscheinlichkeitsbaums bei der Wahrscheinlichkeitsrechenaufgabe, sind für alle Lernenden, welche die Abbildung richtig integrieren können, von Vorteil. Nutzen Lernende also Abbildungen nicht so gerne, könnte das dafürsprechen, dass die Lernenden mit dem Lesen und Integrieren von Abbildungen Schwierigkeiten haben, was an einer ungünstigen Auswahl oder Darstellung der Abbildung liegen kann oder daran, dass die Lernenden weitere Strategien und Unterstützung beim Integrieren von Abbildungen benötigen.

Das gerade verwendete Textformat nennt sich Refutationstext. Refutationstexte beginnen üblicherweise mit der Vorstellung einer gängigen ungünstigen oder wissenschaftlich widerlegten Überzeugung („Eine gängige Überzeugung ist, dass das Lernmedium an den Lerntyp der Schülerin angepasst werden sollte.“). Im Anschluss wird darauf hingewiesen, dass diese Überzeugung nicht stimmt, bevor erklärt wird, warum dies der Fall ist und der aktuelle wissenschaftliche Stand dargelegt wird.

Dieses Textformat des Refutationstextes erwies sich als wirksam zur Veränderung von ungünstigen Überzeugungen. Die meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zeigt wirksame Überzeugungsveränderung im Bereich der Naturwissenschaften; neuere Arbeiten zeigen diese Effekte aber auch im Bereich der Sozialwissenschaften.

In einer Studie aus 2022, die von News4teachers unterstützt wurde, untersuchten Forschende aus der pädagogischen Psychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg die Anwendung von Refuationstexten, welche zuvor eher bei unerfahrenen Lernenden wirksam eingesetzt worden waren, bei Lehrkräften. Lehrkräfte sind erfahrene Praktiker:innen, die täglich mit Texten und Abbildungen arbeiten und sich gegebenenfalls nicht von einer gängigen Textgestaltung für eher unerfahrene Lernende angesprochen fühlen.

Die Wissenschaftler:innen fanden heraus, dass es wichtig ist, praktizierende Lehrkräfte angemessen zu adressieren, sodass sich diese angesprochen fühlen. Sie nutzten in ihrer Studie deswegen ein adaptives System, das in einem Vorwissenstest erkannte, ob die Lehrkräfte die gängigen ungünstigen Überzeugungen zum Lernen mit Text und Bild tatsächlich hatten, und personalisiertes Feedback gab. Nur wenn eine ungünstige Überzeugung gemäß dem Antwortverhalten vorzuliegen schien, wurde den Lehrkräften eine entsprechende persönlichen Rückmeldung sowie ein Refutationstext zum Lesen dargeboten. Diese adaptive Darbietung der Texte in Kombination mit personalisiertem Feedback war sehr wirksam bei den praktizierenden Lehrkräften. Somit ist die Methode vielversprechend, da die Nutzung eines adaptiven Systems persönliches Feedback schnell und einfach auch für die viel beschäftigte Gruppe der Lehrkräfte digital umsetzbar macht.

Aus der Forschung der Wissenschaftler:innen leitet sich für die Praxis unter anderem ab:

  • Nur dann Abbildungen verwenden, wenn sie den Text einer Aufgabe oder eines Lerngegenstandes sinnvoll unterstützen.
  • Lerntypen zu bestimmen ist ein hoher Zeitaufwand für einen geringen Informationszugewinn. Besser ist es, die Lernenden z.B. bei der Strategiefindung zur Integration von Text und Bild zu unterstützen.
  • Bei der Gestaltung von Aufgaben oder Lehrtexten ist es wichtig, auf eine sinnvolle Abbildungsgestaltung zu achten. Wenn z.B. Text und Abbildung näher beieinander sind und wenn darüber hinaus etwa dargestellte Abläufe sowohl im Text als auch in der Abbildung in derselben Farbe hervorgehoben sind, um die Orientierung in der Abbildung zu verbessern (Color Coding), profitieren die Lernenden davon.
  • Refutationstexte, wie Sie sie im obigen Text kennengelernt haben, können hilfreich sein, um gängige widerlegte Überzeugungen („Die Erde ist eine Scheibe.“, „Die Corona-Impfung ist nicht wirksam.“, …) zu korrigieren. Dies kann besonders in Zeiten von Fake News sehr hilfreich sein.
  • Refutationstexte sollten auf die Zielgruppe zugeschnitten sein.

Hier gelangen Sie zur (frei zugänglichen) Studie: Dersch, A.-S., Renkl, A., & Eitel, A. (2022). Personalized refutation texts best stimulate teachers‘ conceptual change about multimedia learning. Journal of Computer Assisted Learning, 38, 977 – 992. https://doi.org/10.1111/jcal.12671

Lernforschung: Feedback-Mechanismen im Gehirn funktionieren auch ohne Belohnung

 

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Brennpunktschule
11 Monate zuvor

Danke, ein interessanter Artikel.

Auch der Hinweis auf die deutlich widerlegte Lerntypen-Vorstellung wird hilfreich sein, wenn wieder einmal KuK damit um die Ecke kommen.