Wie kann Digitalisierung in Schulen gelingen? Bildungsforscher Maaz über die dafür notwendige Transformation

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DÜSSELDORF. Der digitale Wandel schreitet voran und setzt Schulen zunehmend unter Druck. Wollen sie ihre Schüler:innen auf die sich verändernde Welt vorbereiten, müssen auch sie sich weiterentwickeln. „Es braucht einen größeren Transformationsprozess und dieser erfordert, dass Schule und Unterricht an einigen Stellen neu gedacht werden“, sagt Professor Dr. Kai Maaz, Bildungsforscher und Geschäftsführender Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF). Gemeinsam mit drei Kolleginnen aus der Wissenschaft hat er im Auftrag des gemeinnützigen Forum Bildung Digitalisierung (FBD) einen Orientierungsrahmen erarbeitet, der diesen Wandel unterstützen soll: den „Navigator Bildung Digitalisierung“ – ein Interview.

Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des DIPF. Foto: fotorismus für DIPF

News4teachers: Herr Professor Maaz, bitte beschreiben Sie in wenigen Worten, was der Navigator Bildung Digitalisierung den Akteur:innen im Bildungsbereich bietet.

Kai Maaz: Der Navigator Bildung Digitalisierung versucht mit einer vergleichsweise neuen Methodik sichtbar zu machen, welche Potenziale im Kontext der Digitalisierung für Bildungseinrichtungen, einschließlich Schulen, bestehen. Er beschränkt sich dabei jedoch nicht darauf, mit einzelnen Kennzahlen den Stand der Ausstattung, der Infrastruktur oder die Anzahl der Unterrichtsstunden im Bereich Informatik je Klassenstufe zu beschreiben. Vielmehr geht es um die Möglichkeiten einer gesamtsystemischen Veränderung. Wenn man Digitalisierung in Schulen und Klassenzimmern wirklich umsetzen will, dann reicht es nicht, lediglich einzelne digitale Tools hinzuzufügen. Es braucht einen größeren Transformationsprozess und dieser erfordert, dass Schule und Unterricht an einigen Stellen neu gedacht werden. Die Systematisierung im Navigator soll dafür sensibilisieren.

News4teachers: Warum braucht es diesen umfassenden Ansatz, um schulische Digitalisierung umzusetzen?

Maaz: Wenigstens aus drei Gründen: Zum einen wird Digitalisierung oft sehr eng interpretiert, indem digitale Tools vereinzelt in bestehende schulische Prozesse integriert werden. Das ist nicht nur unzureichend, weil die vielfältigen Möglichkeiten von Digitalisierung so überhaupt keine Chance bekommen, entfaltet zu werden, es kann auch hinderlich für den Lernprozess sein, wenn den Schüler:innen nicht klar wird, warum sie wann wie welche Medien nutzen sollen.

Zum anderen wird ein enges Digitalisierungsverständnis der rasanten Entwicklung im beruflichen und privaten Kontext nicht gerecht. So kann schon mal der Eindruck entstehen, dass wir in der Schule in der Gegenwart bereits anfangen, die Vergangenheit zu leben. Und schließlich haben die aktuellen Ergebnisse der ICIL-Studie eindrücklich gezeigt, dass wir auch bei den Kompetenzen im digitalen Bereich deutlichen Nachholbedarf haben und die erhoffte positive Entwicklung ausgeblieben ist (News4teachers berichtete; Anm. d. Red.). Das bedeutet zusammengenommen, dass Anreizstrukturen und Infrastrukturen eine notwenige aber keine hinreichende Voraussetzung für schulische Digitalisierung sind.

„Zentral sind aus meiner Sicht die Akteure vor Ort, besonders auch die Schulleitungen“

News4teachers: An wen richtet sich der Navigator also?

Maaz: An alle Akteure im schulischen Kontext: Sowohl an die Schulleitungen und Kolleginnen und Kollegen in den Schulen als auch an die Verantwortlichen in den Ministerien und Verwaltungen. Letztere sollen mithilfe des Navigators erkennen, an welchen Stellen sie über die Rahmenbedingungen, die die Schulorganisation betreffen, den Transformationsprozess unterstützen können. Zentral sind aus meiner Sicht aber die Akteure vor Ort, besonders auch die Schulleitungen, die große Gestaltungsspielräume haben, manchmal auch größere als ihnen selbst bewusst ist. Ich erinnere hier an die Experimentierklausel, die Schleswig-Holstein eingeführt hat. Überraschenderweise erhielt das Bildungsministerium daraufhin zahlreiche Anträge für Schulentwicklungsvorhaben, die auch ohne diese Klausel möglich gewesen wären.

News4teachers: Inwiefern kann der Navigator eine Stütze sein, die von Ihnen genannten verschiedenen Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen?

Maaz: Wie andere Monitoring-Instrumente – zum Beispiel nationale oder internationale Schulleistungsstudien – unterstützt der Navigator dabei, sich in verschiedenen Detailgraden mit dem System auseinanderzusetzen, Entwicklungspotenziale zu erkennen und Ziele festzulegen. Jedes Monitoring-Instrument ist aber nur so gut wie die Rezeption, die es erfährt. Es braucht einen kontinuierlichen Austausch der beteiligten Akteure und ein regelmäßiges Überprüfen der Ziele. Nur so lässt sich feststellen, ob sich die gewählten Maßnahmen tatsächlich eignen, die anvisierten Ziele zu erreichen, welche weiteren Schritte erforderlich sind oder ob ein Umdenken notwendig ist.

„Grundsätzlich wäre mein Rat, den Navigator als Grundlage in den Schulentwicklungsprozess einzubringen“

News4teachers: Der Navigator umfasst 21 Themenfelder, in denen Veränderungen die digitale Transformation fördern können. Wie sollte eine Schule vorgehen, die sich entscheidet, damit zu arbeiten? Wo sollte sie anfangen?

Maaz: Ich würde aus der Ferne keine Empfehlungen aussprechen, weil ich die spezifische Situation und den Entwicklungsstand der Schule nicht kenne. Auch weiß ich nicht, an welchem Punkt der digitalen Transformation die Schule steht, wie sie insgesamt aufgestellt ist und welche Herausforderungen sie zu bewältigen hat. Eventuell steht die digitale Transformation dort gar nicht an erster Stelle. Wenn eine Schule beispielsweise eine hohe soziale Belastung hat, personell unterbesetzt ist, einen hohen Anteil an Seiten- oder Quereinsteigern beschäftigt und nur eine kommissarische Schulleitung hat, dann stehen möglicherweise andere Schulentwicklungsprozesse im Vordergrund.

Grundsätzlich wäre mein Rat, den Navigator als Grundlage in den Schulentwicklungsprozess einzubringen und gemeinsam im Kollegium, mit der Schulleitung und eventuell auch mit den Schulaufsichtsbehörden und einem Schulentwicklungsberater zu überlegen, welche Schritte sinnvoll sind. Schulen, die bereits gut aufgestellt sind, werden vermutlich problemlos mit den 21 Dimensionen arbeiten können. Für andere sind vielleicht erst einmal nur zehn Dimensionen relevant. Das ist situationsabhängig. Deshalb gibt es meines Erachtens keine Patentlösung oder allgemeine Handlungsanweisung.

News4teachers: Was erhoffen Sie sich vom Navigator Bildung Digitalisierung für die Schulen in Deutschland?

Maaz: Ich hoffe, dass der Navigator ein Papier ist, das zum Nachdenken, Diskutieren und Handeln anregt und nicht einfach im Bücherschrank oder als PDF auf der Festplatte verschwindet. Er soll eine Stütze sein, ein Dokument, das man zur Hand nimmt, um zu prüfen, wie es um die digitale Transformation etwa der eigenen Bildungseinrichtung steht. Er soll helfen, das eigene Handeln zu reflektieren – egal an welcher Stelle der Mehrebenenstruktur des Bildungssystems man sich befindet – und die verschiedenen Akteure motivieren, sich zu vernetzen und auszutauschen.

Denn klar ist: Digitale Transformation lässt sich weder ausschließlich von oben verordnen noch allein von unten nach oben umsetzen. Dafür ist das Schulsystem zu stark reglementiert. Es braucht ein gemeinsames aufeinander Zugehen der verschiedenen Akteure auf den verschiedenen Ebenen im System. Ich würde mir wünschen, dass der Navigator dazu beitragen und die Transformation somit voranbringen kann. Anna Hückelheim, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.

Der Navigator BD
Der Navigator Bildung Digitalisierung (Navigator BD) bietet einen systematisierten Überblick zum Stand der digitalen Transformation von Schule in Deutschland. Davon ausgehend identifiziert er – mit Blick auf die drei strategischen Handlungsfelder „Haltung zur Kultur der Digitalität“, „Digital-förderliche Rahmenbedingungen“ und „Digital-didaktische Konzepte und Qualifizierung“ – insgesamt 21 Themenfelder, die als Orientierung für zukünftige Entwicklungen dienen und ein systematisches Bildungsmonitoring der digitalen Transformation unterstützen können.

Entwickelt hat den Navigator BD – auf Initiative des Forum Bildung Digitalisierung – ein Team aus vier führenden Wissenschaftler:innen: Prof. Dr. Birgit Eickelmann (Universität Paderborn), Prof. Dr. Julia Gerick (Technische Universität Braunschweig), Prof. Dr. Uta Hauck-Thum (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation).

Hier können Sie den Navigator kostenfrei herunterladen.

Schüler lernen selbst, mit von Lehrkräften vorbereiteten digitalen Materialien: Modellprojekt gegen Unterrichtsausfall

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13 Kommentare
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Walter Hasenbrot
13 Tage zuvor

Die ganze Diskussion krankt doch daran, dass niemand definiert, was er unter “digitaler Kompetenz” oder “Digitalisierung” eigentlich versteht. Es bleibt bei dem Gemeinplatz, dass “Digitalisierung” an Schulen ganz dolle wichtig sei.

Ich würde gerne einmal von jemandem ganz konkret hören, welche Aspekte des Umgangs mit digitalen Geräten denn an Schulen unverzichtbar sind, und welche dieser Aspekte immer noch in 13 Jahren zu erwarten sind, wenn ein Grundschulkind dann endlich Abitur gemacht hat.

Carsten
13 Tage zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Weil es keine Definition gibt – was gewollt ist – kann sie auch nicht schiefgehen, die “Digitalisierung”. Im Zweifel war damit nur das Versenden von pdfs gemeint.

Realistin
13 Tage zuvor
Antwortet  Walter Hasenbrot

Zumindest so, dass die 30% Homeschooling aus Lehrerin’s Arbeitszimmer mit den SuS in der Umgebung klappt.
Glasfaser wird doch auch in viele Gebiete reichen und die Schularbeitsräume sollten dann auch vernetzt sein, wenn SuS vor Ort sind oder ein Teil dort gemeinsam die Aufgaben macht.

Walter Hasenbrot
12 Tage zuvor
Antwortet  Realistin

Ich stimme Ihnen da nicht zu.

Katze
13 Tage zuvor

Nach dem Lesen derartiger Artikel drängt mich mein innerer Yogi zu transformationserleichternden Übungen.                                                                Beginnend mit Klopfmassage ende ich sehr schnell bei Schüttel-Meditation.

“Ein Mikrophon ist kein Ohr, eine Kamera ist kein Auge. und ein Computer ist kein Gehirn. Wir dürfen uns von der Technologie nicht so blenden lassen, dass wir den Wert des Menschen nicht mehr einzuordnen wissen. Wir haben zu entscheiden, ob wir um unser Recht kämpfen wollen, Baumeister der Zukunft zu sein.”
Mike Cooley

potschemutschka
13 Tage zuvor
Antwortet  Katze

Wie sagte der Erfinder des 1. Computers (übrigens ein Deutscher):
“Die Gefahr, das der Computer so wird wie der Mensch, ist nicht so groß wie die Gefahr, das der Mensch so wird wie der Computer.”
(Konrad Zuse 1910-1995)

anka
13 Tage zuvor

Zentral sind aus meiner Sicht die Akteure vor Ort, besonders auch die Schulleitungen“.So die Sicht aus dem akademischen Elfenbeinturm. hat mit Praxis nicht sooo viel zu tun.
Unser Schulträger, eine Großstadt am Rhein, sieht das anders: “Zurück in die Zukunft” scheint deren Motto zu sein:unser Schuletat wurde trotz steigender Kosten (z.B. für analoge Fotokopierer) nicht erhöht.
Die Folge: das Abonnement für die BiBox wurde gekündigt (und alle anderen Abos gleich mit), so dass die Sprachkollegen sich nun wieder für das Hörverstehen (Pflicht) eigene CDs kaufen sollen.
Die Lehrer* iPads und das WLAN brauchen wir dafür ja nicht.
Gelebte Digitisierung wird hier rückabgewickelt. Danke dafür.
Da helfen auch die schönsten Konzepte aud dem Elfenbeinturm nichts, wenn der Schulträger vor Ort andere Prios setzt.
Und die Schulleitung: ist entsetzt und machtlos. Als ob es an der läge.

Andreas
13 Tage zuvor

Der Digitalisierung in der gewählten Form liegt die Prämisse zugrunde, dass diese das Bildungssystem stärker verbessert als es Aufwand bedeutet (Umstellen des Unterrichts, Geräte, Administration usw.). Der Nachweis davon steht nach wie vor aus.

Rüdiger Vehrenkamp
13 Tage zuvor

Wohl demjenigen, der im Alltag die Zeit findet, den 140 Seiten umfassenden “Navigator” durchzuarbeiten. Für den Bereich Schule bringen alle digitalen Kompetenzen doch aber nichts, wenn grundlegende Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben nicht beherrscht werden. Arbeiten Schüler mit iPads, wird die Aufgabe des Lehrers rasch bei ChatGPT eingegeben und das Ergebnis abgeschrieben. Meine Kinder handhaben das jedenfalls so, wenn ich Ihnen bei den Hausaufgaben mal nicht über die Schulter schaue. Okay, legitim.

Also was soll Schule leisten? Soll Schule ein Tech-Unternehmen im Kleinen werden? Oder nur noch aufs Programmieren und Arbeiten mit KI vorbereiten? Oder geht dies am Empfänger ebenso vorbei wie viele andere Bildungsideen der vergangenen Jahre? Digitalisierung ist am Ende doch nur ein Mittel zum Zweck und sicherlich nicht der Allheilsbringer.

Echt
8 Tage zuvor

Digitalisierung (in Schule) nehmen ich in der aktuellen Form eher als Selbstzweck lobbystarker Konzerne wahr, die dadurch uns Eltern (auch gegen die eigene Überzeugung, mittlerweile sogar belegt durch Erfahrung anderer Länder), viel Geld aus den Taschen ziehen können.

Mimü
13 Tage zuvor

Irgendwie tragisch, dass es eine solche Veröffentlichung nur als starres A4 pdf gibt, die man am Handy kaum lesen kann. Spricht nicht für die digitale Kompetenz der Betriligten.

Lisa
13 Tage zuvor

“Wenn eine Schule beispielsweise eine hohe soziale Belastung hat, personell unterbesetzt ist, einen hohen Anteil an Seiten- oder Quereinsteigern beschäftigt und nur eine kommissarische Schulleitung hat, dann stehen möglicherweise andere Schulentwicklungsprozesse im Vordergrund….hat Herr Maaz damit gesagt, dass es hierzulande Wichtigeres gibt als Digitalisierung?

Philine
13 Tage zuvor

Der Artikel eignet sich hervorragend für meinen Unterricht, da die Wortwahl aus dem Bereich “Technologie” und “Prozesssteuerung” im Rahmen einer Sachtextanaylse äußerst ergiebig ist. Davon abgesehen möchte ich sogar alsLlehrerin weiterhin Mensch bleiben und weder mich noch meine Schüler und Schülerinnen als Modul im System sehen müssen, wie es die “Transformation” offenbar vorsieht. Oder werden bald Roboter unterrichten?