“Freiräumeprozess”: Prüfung auch mal als Podcast – Land will Abitur modernisieren

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HANNOVER. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind längst im Alltag von Jugendlichen angekommen. Damit auch die Wirklichkeit in den Schulen das widerspiegelt, soll es neue Möglichkeiten beim Abitur geben – in Niedersachsen jedenfalls.

Pssssst, Prüfung. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Ein Podcast fürs Abi – Niedersachsen will den Schulabschluss am Gymnasium modernisieren. Eine grundlegende Reform der Oberstufe soll mehr Wahlfreiheit und Entlastung bringen, wie das Kultusministerium in Hannover mitteilte. Als neue Prüfungsformate sollen etwa Podcasts, Ausstellungskonzeptionen oder Podiumsdiskussionen möglich werden.

„In der Oberstufenreform liegt eine große Chance auf echte Modernisierung und Bildungsgerechtigkeit“, sagt Ministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) laut der Mitteilung. Die Veränderungen werden ihr zufolge prägend sein für die nächsten Generationen von Schülerinnen und Schülern in allen niedersächsischen Oberstufen und den beruflichen Gymnasien. Die Reform soll zum Schuljahr 2027/2028 in Kraft treten, beginnend mit der Einführungsphase. Vorgesehen ist – im Wortlaut:

  • „Größtmögliche Wahlfreiheit für Prüflinge: Um den Schülerinnen und Schülern eine individuelle Profilbildung zu ermöglichen, sollen die bisher vorgegebenen Schwerpunkte mit ihren starren Fachkombinationen aufgehoben werden. Das ermöglicht eine größere Wahlfreiheit für die Schülerinnen und Schüler.
  • Stärkung der mündlichen Prüfung: Auch in Zukunft sollen die Prüfungen in den drei Leistungskursen (P1 bis P3) schriftlich abgelegt werden. Ändern soll sich, dass in den beiden Prüfungsfächern auf grundlegendem Anforderungsniveau (P3 und P4) das Abitur in Form einer mündlichen Prüfung abgelegt wird. Damit würde im Abitur und im Unterricht ein stärkerer Fokus auf Kommunikation und Interaktion gelegt werden. Prüflinge würden somit angemessener auf die veränderten Anforderungen im Studium und Beruf vorbereitet werden.
  • Neue Prüfungsformate: Ergänzend zu den bewährten Formaten der Leistungsmessung will Niedersachsen ein neues Prüfungsformat einführen. Bei dem sogenannten ‚Kombinierten Leistungsnachweis‘ werden produktive mit reflexiven Teilen kombiniert. Mögliche Elemente könnten zum Beispiel die Erstellung eines Podcast, eine Ausstellungskonzeption, eine Podiumsdiskussion oder auch eine schriftliche Ausarbeitung zu einem Fachthema sein. Dabei sollen die Prüflinge auch über den Entstehungsprozess reflektieren und ihre Entscheidungen begründen können. Hier soll auch kollaboratives Arbeiten ermöglicht werden.
  • Facharbeit entfällt, Freiräume bei den Angeboten der Grundkurse: Durch künstliche Intelligenz und weitere technische und gesellschaftliche Entwicklungen entsteht die Notwendigkeit, die Prüfungs- und Lernkultur auf die neuen Gegebenheiten anzupassen. Mit dem ‚Kombinierten Leistungsnachweis‘ wird dieser Anforderung künftig Rechnung getragen und die Arbeit an den Schulen aufgegriffen. Da das neue Format zahlreiche Aspekte aufgreift, die bislang in der Facharbeit und im Seminarfach verankert waren, sollen diese zukünftig entfallen. Allerdings wird die neue Verordnung in den Grundkursen zahlreiche Möglichkeiten bieten, Arbeitsweisen und Themen, die im Seminarfach eine Rolle spielen, anzuwenden und zu vertiefen. Denkbar wären zum Beispiel Kurse, die ausgehend von einem schulischen Referenzfach einen deutlichen Schwerpunkt setzen (z. B. ‚Astrophysik‘) oder die fächerverbindend arbeiten (z. B. ‚Biochemie‘).
  • Entlastung von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern: Damit sich die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten konzentriert auf die Prüfungen vorbereiten können, soll das vierte Schulhalbjahr weitestgehend von Klausuren freigehalten werden. Die Anzahl der Klausuren insbesondere in den Kursen, die Schülerinnen und Schüler nur zur Abdeckung der Belegverpflichtung besuchen, soll reduziert werden, um damit zur Entlastung der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler beizutragen. Selbstredend bleiben Klausuren grundsätzlich – insbesondere in den Prüfungskursen und in den Kernfächern sowie als Abiturvorbereitung – wichtiger Teil der Qualifikationsphase.“

Weshalb es auch in Zukunft bei fünf Prüfungsfächern bleibt, wird so begründet: „Aufgrund der KMK-Vorgaben wären bei vier Prüfungsfächern zahlreiche Fachkombinationen ausgeschlossen und eine interessengeleitete Wahl der Schülerinnen und Schüler nur in geringem Maße möglich. Andernfalls könnten beispielsweise nicht zwei Naturwissenschaften oder zwei Fremdsprachen als Prüfungsfächer gewählt werden.“

Mit der Reform will Niedersachsen den bundesweiten Vereinbarungen durch die Kultusministerkonferenz (KMK) gerecht werden, mit denen die Länder eine bessere Vergleichbarkeit des Abiturs in Deutschland anstreben. Außerdem werde einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, das seit 2017 eine verbesserte Vergleichbarkeit der Abitur-Noten fordert.

Hamburg betont: „Wir werden das Abitur anspruchsvoll halten, es zugleich aber modern und zeitgemäß an den Bedarfen der Schülerinnen und Schüler ausrichten, indem wir ihnen mehr Flexibilität, individuelle Profilbildung und Wahlmöglichkeiten einräumen wollen. Die Oberstufenreform wird sich in den angeschobenen Freiräumeprozess einbetten.“ News4teachers / mit Material der dpa

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Andreas
1 Monat zuvor

Das klingt mir leider viel zu sehr nach Laberabitur. Wer soll eigentlich die vorgeschlagenen Kurse in Astrophysik oder Biochemie leiten? Und wieso werden gerade die anspruchsvollen Vorschläge aus dem MINT-Bereich gemacht und nicht die realistischeren und sicherlich häufiger gewählten Kurse aus niederschwelligeren Bereichen?

Dil Uhlenspiegel
1 Monat zuvor
Antwortet  Andreas

“Wer soll eigentlich die vorgeschlagenen Kurse in Astrophysik oder Biochemie leiten?”
SOL mit KI in EVA. qed

Andreas
1 Monat zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Beim zukünftigen Abitur könnte das sogar reichen …

Hans
1 Monat zuvor

“Damit würde im Abitur und im Unterricht ein stärkerer Fokus auf Kommunikation und Interaktion gelegt werden. Prüflinge würden somit angemessener auf die veränderten Anforderungen im Studium und Beruf vorbereitet werden.”

Das gilt ganz sicher nicht für die MINT Studiengänge, wo es nach wie vor um Fakten geht und das Selbstmarketing eine stark untergeordnete Rolle spielt. Bereits heute gibt es kaum noch Wissenschaftspropädeutik an den Schulen. Stattdessen wurden fast alle Inhalte im Fach Mathematik für die Kompetenzorientierung über Bord geworfen. An der TU Braunschweig lernen die angehenden Ingenieure nun vor dem Studienbeginn die Bruchrechnung kennen. In Hannover fängt der Vorbereitungskurs bereits mit dem elementaren Rechnen an. Nach der “Reform” vermitteln die Unis dann vermutlich die schriftliche Multiplikation und Division in ihren Vorkursen.

JoS
1 Monat zuvor

Gegen den Entfall der Facharbeit sowie der Klausur im vierten Semester kann man wenig sagen, die neuen Prüfungsformen werden vermutlich eine ähnliche Totgeburt wie die bereits existierende BLL. Insgesamt steht uns wohl erstmal viel Arbeit bevor, aber ohne die Details zu kennen, kann man die Sinnhaftigkeit noch nicht abschließend beurteilen.

Andreas
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Mehr Arbeit für Lehrer, in der fachlichen Tiefe weniger für Schüler. So klingt es für mich trotz der anspruchsvollen Beispiele aus dem MINT-Bereich, die voraussichtlich nur selten gewählt werden.

JoS
1 Monat zuvor
Antwortet  Andreas

Wie gesagt: Erstmal sehe ich da einige Verbesserungen. Die Klausuren im vierten Semester sind insbesondere in kurzen Schuljahren mit frühen Abiturterminen kaum sinnvoll zu schaffen und auch die Idee, bei den “Abdeckern” weniger (oder gar keine?) Klausuren zu schreiben, wirkt entlastend. Aber wie immer steckt der Teufel im Detail und das Kultusministerium wird es schon schaffen, aus der angestrebten Entlastung am Ende eine Zusatzbelastung zu zaubern.

Andreas
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Die Betreuung solcher Projekte ist in jedem Fall mehr Arbeit als regulärer Unterricht nach Lehrplan. Die zusätzliche fachliche Einarbeitung der Lehrer noch nicht einmal mit eingerechnet.

JoS
1 Monat zuvor
Antwortet  Andreas

Diese Projekte sind aber auch für die Schüler*innen mehr Arbeit, deshalb werden Sie vermutlich auch nur in extremen Ausnahmefällen gewählt werden, so wie es bei den BLL der Fall ist.

Realistin
1 Monat zuvor

Vor allem die 4-Tage Woche ist wichtig, damit die Lehrer die Klausuren auch korrigieren können!
Eine Facharbeit hat noch keinem geschadet?!

JoS
1 Monat zuvor
Antwortet  Realistin

Facharbeiten, die sowieso mit ChatGPT hinger*** werden, braucht kein Mensch. Und weniger Klausuren schreiben zu müssen ist eine sinnvolle Entlastung, obwohl ich da Grenzen sehe. Reine “Labernoten”, wie sie manche Kolleg*innen vergeben, könnten damit inflationär zunehmen.

Andreas
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Werden sie bei den angebotenen Prüfungsformaten.

JoS
1 Monat zuvor
Antwortet  Andreas

Hört sich für mich nicht so an, als wären diese Formate so attraktiv im Vergleich zur doch relativ klar umrissenen mündlichen Prüfung. Aber wir werden sehen

Dil Uhlenspiegel
1 Monat zuvor

Ihr Arzt hat sich durch einen Podcast qualifiziert, die Ingenieurin der Autobahnbrücke mittels Podiumsdiskussion.

Realist
1 Monat zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Das neue Wirtschaftsabitur:

“Schreiben Sie ein Kinderbuch im Umfang von 10 Seiten zum Thema: “Habi-Becki und Lindilein auf dem Weg in di ‘Heute-Bleibt-Der-Backofen-Kalt-Bäckerei (und morgen auch)'”

David
1 Monat zuvor

An den Unis machen die Erstsemester jetzt schon jede noch so einfache Aufgabe mit Chat-GPT. Das auch noch zu fördern halte ich für falsch.

Ich bin dafür, die Prüfung in den Fächern Singen, Klatschen und Tanzen abzulegen. Damit auch bitte jeder sein Abi kriegt.

JoS
1 Monat zuvor
Antwortet  David

Wenn Aufgaben mit ChatGPT zu erledigen sind, dann sind sie nicht sonderlich anspruchsvoll. Und dann wiederum gibt es relativ einfache Aufgaben, an denen ChatGPT zuverlässig scheitert, wie z.B. das wissenschaftlich korrekte Kürzen eines Textes. Kann es einfach nicht, egal was man probiert.
Fun Fact: Heute habe ich zum ersten Mal im Lehrerband eines vor kurzem veröffentlichten Schulbuchs einen eindeutig per ChatGPT erstellten Musterlösungstext gelesen. Da fragt man sich schon, warum die Schulbuchverlage eigentlich so viel Geld nehmen.

David
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Die Aufgaben sind null anspruchsvoll, das ist ja der Punkt. Stellen Sie sich vor, Sie könnten die einfachsten Aufgaben nicht ohne KI bewältigen. Stellen Sie sich vor, Sie versuchen das, wenn Sie sich so durch’s Studium gemogelt haben.

JoS
1 Monat zuvor
Antwortet  David

Die Frage ist doch, warum man zeitfressende, null anspruchvolle Aufgaben überhaupt stellen sollte.

Andreas
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Gute Noten für die Schüler, wenig Stress mit Eltern oder Schulleitung. So ein Lehrer muss es nur schaffen, dass die Schüler bei bei ihm keine Abiturprüfung ablegen werden.

David
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Weil die Aufgaben an sich easy sind, sich aber zusammen zum Klausurwissen summieren. Ich kann also über das Semester verteilt die Aufgaben bearbeiten und muss dann weniger für die Klausuren lernen. Oder ich lasse die KI glühen und hab dann zum Semesterende Stress.
Wenn man Ihren Gedankengang weiterspinnt, muss man sich halt fragen, wozu man studiert. Muss man natürlich nicht. Aber wenn die KI für einen studiert, hat man in der Lehre später wenig zu vermitteln. So kann man sich natürlich selbst obsolet machen.

DienstnachVorschrift
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Doch, AI (Claude.ai) kann einen komplexen Text kürzen. Man muss natürlich ganz bestimmte und konkrete Vorgaben geben und das Ergebnis auch überarbeiten, aber der Rahmen stimmt. ChatGPT performed aber in der Tat deutlich schlechter.

JoS
1 Monat zuvor

Nein, auch Claude tut nur so und setzt wild Auslastungszeichen, kürzt aber nicht an diesen Stellen, dafür an anderen ohne Kennzeichnung und ohne Beibehaltung der Satzstruktur. Gemini übrigens auch. Sie müssen die Ergebnisse schon genauer überprüfen.
Falls Sie andere Ergebnisse haben, dürfen Sie mir gerne den entsprechenden Prompt schicken.

JoS
1 Monat zuvor

Ich meine natürlich Auslassungszeichen, nicht Auslastung.