Juden, Christen und Moslems: „Abrahamische Teams“ diskutieren mit Schülern die Weltreligionen

0

SCHWALBACH/DARMSTADT. Vierstündige Sabbat-Gottesdienste, Segnungen Homosexueller am Altar, Burkas und Burkinis. Gymnasiasten fragen: Wie halten es Juden, Christen und Muslime in Hessen mit der Religion?

Die Toleranz des Islams überrascht die Schüler am meisten: «Ich hatte bisher den Eindruck, dass Muslime anderen Religionen gegenüber ziemlich abgeneigt sind», sagt Zehntklässlerin Nina. Ihr Mitschüler Felix hätte nicht gedacht, «dass muslimische Frauen Burkas auch komisch finden können». Die beiden Gymnasiasten der Albert-Einstein-Schule in Schwalbach im Taunus diskutieren mit einem «Abrahamischen Team» – einer Jüdin, einer Muslima und einem Christen – über das Zusammenleben der Religionen in Deutschland.

Burka, Burkini und regelmäßige Gebete – besonders groß ist das Interesse der rund 45 vor allem christlich geprägten Schüler am Islam. Henri etwa beschäftigt die Kopftuch-Frage: «In Schwalbach trägt fast jeder eins», erzählt er. «Meine Oma war aber gerade in der Türkei und da hat keiner eins getragen.» Warum sich die Männer nicht verhüllen müssen, möchte eine seiner Mitschülerinnen wissen und erfährt, dass sich auch muslimische Männer nicht auffällig kleiden sollen.

Die Neue Synagoge in Berlin. Foto: Andreas Praefcke / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)
Die Neue Synagoge in Berlin. Foto: Andreas Praefcke / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

In dem Taunus-Ort lebten zwar viele Türken und Marokkaner, aber nur wenige gingen auf das Gymnasium, daher gebe es kaum Schnittstellen, berichtet Lehrer Jochen Kilb. Der interreligiöse Dialog über das Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen sei somit besonders wichtig. «Die Theorie machen die Schüler ja im Religions- und Ethikunterricht.» Die vom Interreligiösen Rat (IR) in Darmstadt koordinierten «Abrahamischen Teams» zeigten aber ganz lebensnah die gemeinsamen Wurzeln der Religionen auf. «Sie leben miteinander und leben das auch vor.»

Initialzündung für die «Abrahamischen Teams» waren die Anschläge vom 11. September 2001, inzwischen seien sie ein Erfolgsmodell, sagt Yasmin Khurshid vom IR. «Es wird häufig berichtet, dass Teilnehmer im direkten Kontakt mit den Referenten und der Möglichkeit, Fragen an diese zu stellen, überrascht darauf reagieren, dass ihre Vorurteile nicht bestätigt werden.»

Anzeige

Das Wissen der Schüler über die anderen großen Religionen ist auch nach Einschätzung von GEW-Landeschef Jochen Nagel generell eher gering. Mehr als 350 Diskussionsrunden mit den Abrahamischen Teams gab es nach Darstellung Khurshids bislang, in manchen Schulen wie in Schwalbach schon seit mehreren Jahren regelmäßig. Die Nachfrage sei inzwischen so groß, dass in diesem Jahr einige Anträge aus finanziellen Gründen abgelehnt werden mussten.

«In manchen Gruppen muss ich schon mal das Christentum verteidigen», erzählt die türkischstämmige Soziologin und Religionswissenschaftlerin Naime Cakir – Mitglied des «Abrahmischen Teams» in Schwalbach. Die Muslima, Tochter eines Gastarbeiters, kam mit sieben Jahren nach Deutschland. Die Mordanschläge Rechtsextremer auf Türken in Mölln und Solingen Anfang der 1990er Jahre gaben den Ausschlag für ihr Engagement im interreligiösen Dialog. «Wir können zeigen, das unterschiedliche Religionen füreinander einstehen, wenn es brenzlig wird», sagt Cakir. «Im Alltag funktioniert das Zusammenleben sehr gut, weil sich erstmal Menschen begegnen und nicht Religionen.» In den Gesprächen mit den Schülern würden viele Vorurteile abgebaut.

Cakirs jüdische Mitstreiterin, die Schriftstellerin Petra Kunik, schloss sich den «Abrahmischen Teams» an, nachdem sie nicht mehr so oft zu Lesungen in Schulen eingeladen wurde und sie den Grund dafür erfuhr: Es habe Widerstände von Kindern mit Migrations-Hintergrund gegen sie als Jüdin gegeben, berichtet die Tochter von Holocaust-Überlebenden. «Ich bin froh, miteinander und nicht übereinander zu reden.»

Der dritte im Bunde, der evangelische Pfarrer Andreas Heidrich aus Bad Soden, bemüht sich schon seit einem Studienaufenthalt in Jerusalem um den Trialog der Religionen. In Schwalbach steht er aber nicht im Mittelpunkt des Interesses – zu viele Fragen gibt es zu den beiden anderen Religionen. Keiner der Schwalbacher Schüler etwa war schon einmal in einer Synagoge.

«Warum sind die jüdischen Bürger so unsichtbar in Deutschland?» fragt dann eine Schülerin auch gleich zu Beginn. «Man sieht es nicht», antwortet Kunik. «Wir sind so wenige», ergänzt die Frankfurterin. Die Nazis hätten die jüdischen Nachbarn nun einmal vertrieben und ermordet. «Ich bin die einzige Jüdin in meiner Straße.» Ira Schaible/dpa

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments