„Boarderlines“ Teil 3: Lehrer Andi macht Heimaturlaub

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DÜSSELDORF/KÖLN. Lehrer Andreas Brendt hat viele Jahre damit verbracht, durch die Welt zu reisen. Heute unterrichtet er in Köln und hat sich einen weiteren Traum erfüllt: Ein Buch über seine Erfahrungen zu schreiben. Es geht um Reisen, um Begegnungen auf der ganzen Welt und wie diese den Blick auf Zuhause verändern. Für die News4teachers.de-Leser veröffentlicht er hier in den folgenden Wochen in elf Folgen Teile seiner Geschichte. Viel Spaß bei der Sommerlektüre.

Teil 3
V. Heimaturlaub, 1996

Passkontrolle, Gepäckband, Flughafenbahnhof. Nochmal warten. Zug, Straßenbahn in Köln und durch die Wohnungstür. Hinaus aus dem Traum, hinein in mein Studentenzimmer. Kapitel abgehakt und schon im nächsten. Das geht schneller, als ich gucken kann. Saubere Klamotten, SMS, Kommilitonen, Vorlesungsverzeichnis und weiter im Text. Auf der Stelle und am Morgen danach.
Die Seele reist langsamer, braucht länger, weil sie nicht nur Zeitzonen und Vegetationsformen überwinden muss, sondern mehr. Und meine Seele wird aus dem Surfhippie-Abenteuer eines wellenverrückten Weltenbummlers mitten hinein ins Vergnügen einer deutschen Universitätsausbildung geworfen. Das ist nicht nur schlecht, aber anders, weil ich plötzlich nicht mehr gegen das Ertrinken im Ozean, sondern den Ernst der Lage kämpfen muss. Volkswirtschaftslehre und Sportwissenschaft, Scheine und Seminare, Kurse und Klausuren. Ich funktioniere wie auf Autopilot. Nirgendwo Sonnenaufgänge, die zum Surfen einladen, nackte Rollschuhläuferinnen, giftige Schlangen, Monsterwellen oder Nächte, in denen mein Orion zu mir herunter lacht.

Natürlich, studieren in Köln bedeutet Lernen und Spaß. Viel Spaß! Die Semesteranfangsfeten laufen an und wir sind voll dabei. Wir trinken, feiern, tanzen. Jede Fakultät lädt ein. Man berauscht sich, um dann an die akademische Arbeit zu gehen. Um berufliche Perspektiven zu eröffnen, Sicherheit zu schaffen und letztendlich eine segensreiche Zukunft in Aussicht zu haben. Logisch, alle machen es so. Sinnvoll, weil man sein Leben in die Hand nehmen muss. Aber die Gefahr lauert hinter dem Tagesprogramm. Ohne es zu bemerken, gewinnt das Leben an Schwere, an Bedeutung. Nicht direkt, sondern schleichend. Heimtückisch und mit absoluter Sicherheit sinnlos und zu Unrecht.
Wer mir einen nachvollziehbaren Grund nennen kann, erwachsen zu werden, bekommt sämtliches Gold der Welt, einen Oscar in allen Kategorien und sei gleichzeitig in die Hölle verbannt.


Plötzlich taucht ein Sinn auf. Einen, den man belächeln kann. Statistisch gesehen ist Surfen ein schlechter Scherz. Vergegenwärtigt man sich die Warterei an Flughäfen, die Zeit am Himmel und in anderen Verkehrsmitteln, Wege zum Strand, ewiges Ausharren in der Hoffnung auf Wellen, endlose Paddelei, ganz abgesehen von Unmengen Geld für Bretter, Mietwagen und Co, so bin ich in den zurückliegenden zwei Monaten summa summarum 4 Minuten erhobenen Hauptes auf den Wellen geritten. All das für so wenig Glück? Sinn oder Un-Sinn? Zen oder Un-Zen? Das ist nicht die Frage. Aber einen Blöd-Sinn gefunden zu haben, ist ein Schatz. Einer, der pulsiert und mein Surferherz höher schlagen lässt. Es dauert keine drei Monate, bis ich im nächsten Flugzeug sitze und fortfliege.

Andi und ein Lama. (Foto: Privat)
Andi und ein Lama irgendwo in Südamerika. (Foto: Privat)

VI. Südafrika, 1996
Keine Ahnung, ob wir das Ziel ausgewählt haben, oder es uns. Uns? An meiner Seite steht ein kaum vager Bekannter mit Namen Eckart. Ein Riesentyp. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und in jedem anderen Sinne auch. Knapp zwei Meter groß und ein Kerl zum Schreien. Abgedroschen wie passend: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Eckart ist nicht unvernünftig, aber so voller Liebe zum Abenteuer, dass er jederzeit bereit ist, seinen Verstand auszuschalten. Genau wie ich. Unvoreingenommen, naiv, neugierig und mal sehen, was passiert. Sollte dies in eine prekäre Lage führen, schaltet sich der Verstand wieder ein, um für Rettung zu sorgen. Flucht statt Kampf, Lächeln statt Empörung und Mastercard statt Gefangenschaft. Hauptsache, es wird lustig.
Warum wir uns für Südafrika entschieden haben, hat nichts mit eingehenden Recherchen zu tun. Vielmehr muss, neben den Legenden über herausragende Wellen, ein genialer Unfug, kosmischer Zufall oder der große Manitu persönlich seine Finger im Spiel gehabt haben. Und sicherheitshalber haben wir diesmal einen Reiseführer im Gepäck.

…Südafrika liegt am südlichsten Rand des afrikanischen Kontinents. Der Ort, an dem sich Atlantik und Indischer Ozean die Hand reichen und das Kap der Guten Hoffnung Erlösung in Aussicht stellt. Gesellschaftlich aufgrund der vielen ethnischen Gruppen auch als Regenbogennation bezeichnet, schimmern in erster Linie wahnwitzige Probleme hervor. Die Kriminalitätsstatistik ähnelt der Bilanz einer kriegerischen Auseinandersetzung. In den 10 Jahren nach dem Ende der Apartheid 1994 wurden über 400.000 Menschen ermordet. Statistisch betrachtet, ist es für eine Frau in Südafrika deutlich wahrscheinlicher vergewaltigt zu werden, als Lesen zu lernen.

Am Abend schlagen wir uns den Bauch mit den Nudeln voll, die wir auf dem kleinen Campingkocher zubereitet haben, als eine Horde Motor-Cross-Maschinen über den großen, leeren Parkplatz brettert. 20 Mann, bekleidet mit Helmen, Tarnklamotten, schusssicheren Westen und Gewehr auf dem Rücken. Eine Gang? Nein, eine Armeeeinheit. Truppen, die für Sicherheit im Chaos der viel zu großen Stadt sorgen soll. Besonders in der Dunkelheit. Wir schauen der Patrouille hinterher. Ich frage mich, wo sie als nächstes hinfährt, Eckart nimmt Nudeln nach.
Nach dem Abwasch schlägt Eckart vor, irgendwie Marihuana aufzutreiben. Halb Witz und die Idee ist verrückt, aber gerade deshalb so reizvoll. Das ist Eckart, denn wir können tun, was wir wollen. Gerade hier. Und schließlich muss heute Abend noch irgendwas passieren.

In diesem Augenblick rollt ein alter Ami-Schlitten auf den verlassenen Parkplatz und kommt am anderen Ende zum Stehen. Die Fahrertür öffnet sich und der unbekannte Fahrer dreht den Sitz herunter, um sich entspannt zurück zu lehnen, soweit man das auf die Entfernung erkennen kann.
Wir schauen uns an: Wäre eine Möglichkeit.
Allerdings mag das trojanische Gefährt zwar tatsächlich Dope an Bord haben, ist aber schon aus sicherer Entfernung von einer kaum zu verleugnenden Gangster-Aura umgeben. Was ist das für ein Typ?

Eckart sagt nichts, ich schweige dazu.

Na gut. Es hilft nichts. Einer muss hingehen. Wir tragen ein schicksalhaftes Duell Schnick-Schnack-Schnuck aus, um den Ernst der Lage zu besänftigen. Drei Mal schwingen unsere Arme vor und zurück, bevor wir auf unsere Hände starren:
Ich Stein – Eckart Papier.
Ich verliere. Eckart grinst. Natürlich. Ich überlege eine weitere Sekunde, aber das Ergebnis ist zu eindeutig für Diskussionen. Die schuldige Hand verschwindet in meiner Hosentasche, während ich mich zur Seite drehe, um das andere Ende des Parkplatzes anzuvisieren. Mein erster zaghafter Schritt wird von einem Seufzer begleitet. Dann bin ich unterwegs.
Nach den ersten Metern kommen meine Gedanken in Schwung, und ich werde unverzüglich zurück in das Südafrika der horrenden Kriminalität katapultiert. Viel schlimmer: Ich gehe freiwillig genau darauf zu. Meter für Meter. Nein, mit freiwillig hat das schon lange nichts mehr zu tun, aber Umkehren steht auch nicht mehr zur Debatte.
Mit dunkler Vorahnung erreiche ich den Wagen. Was ich erblicke, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Es befindet sich nicht eine Person in der Karre – sondern drei. Marke: Ice T! Mit Sonnenbrille und Wollmütze vermummt, vernarbtes Gesicht und Tätowierungen am Hals. Ich sehe mich schlicht und ergreifend dem personifizierten Verbrechen gegenüber. Die drei sehen so gefährlich aus, dass ich nicht ein Wort herausbringe und die längste Sekunde meines Lebens auf das Innere des Wagens starre. Als der Fahrer aufblickt, vermutlich so zugekifft, dass er eher mit einer Fata Morgana rechnet, als mit mir, setzt meine Atmung wieder ein.

Ich reagiere:
»…ääh, sorry, do you maybe have something to smoke, please?«
stammele ich vor mich hin, woraufhin der Typ ohne mit der Wimper zu zucken zum Handschuhfach greift, eine Riesenknarre zückt und mich mit fünf Schüssen in die Brust niederstreckt.
Statt dessen hält er mir (bei genauerer Betrachtung) mit dem Hauch eines Lächelns im vernarbten Gesicht jetzt eine kleine Ecke Dope entgegen. Irgendwo kräht ein Vogel. Die beiden auf der Rückbank verfolgen das Geschehen. Ich greife zu, frage, wie viel Geld ich ihm schulde und verfluche mich im selben Moment für das Erwähnen von Geld, dem Ur-Sinn des Gewaltverbrechens. Der bullige Kerl hinten links zieht sich sofort interessiert nach vorne, aber der Typ am Steuer winkt mich mit einer Handbewegung wortlos weg.

Das ist er. Der endgültige Beweis, dass ich es hier mit der südafrikanischen Variante von Pablo Escobar zu tun habe. Ich sollte gehen, stehe aber immer noch vor dem Wagen rum. Er grinst und lehnt sich in den Sitz zurück. Ich brauche eine weitere Sekunde. Ob ihm mein Mut imponiert hat? Selbst dem blindesten Krückstock konnte meine überschäumende Furcht kaum entgehen. Was sind das für Typen? Kein Grund nachzufragen. Ich drehe mich um und wandere so gefasst wie möglich zu unserem Auto. Ohne zu stolpern oder einfach los zu rennen. Schnell habe ich die Hälfte hinter mir und immer noch keine Kugel im Rücken. Ich komme Schritt für Schritt voran, aber bleibe bereit, mich zu Boden zu werfen und verliere dabei unseren Mietwagen und unser Fleckchen Sicherheit am Ende dieses Parkplatzes nicht aus den Augen.
Eckart brennt auf meinen Bericht. Ich mahne die billigen Zuschauer auf der Tribüne zur Geduld und beschränke mich auf die Fakten.
»…die Typen sahen aus…
………garantiert bewaffnet….
..……….der hinten wollte gerade aussteigen….
……………..aber mit dem Anführer lief alles cool….«

Zum 2. Teil Andi reist nach Australien

 Zum 1. Teil Andi reist nach Bali

Zum Interview mit Andreas Brendt geht es hier

Zur Webseite des Buchs geht es hier

 

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