Trotz Schulstart-Debakel: Scheeres kann in Berlin keine Bildungskrise erkennen

6

BERLIN. Nach negativen Nachrichten und scharfer Kritik an ihrer Arbeit will Bildungssenatorin Scheeres wieder in die Offensive kommen – mit einem Auftritt in einer Grundschule beim kostenlosen Mittagessen, das Berlin seinen Schülern der Klassen eins bis sechs seit dem Schuljahresbeginn spendiert. Von Gipfel- und Rücktrittsforderungen gibt sie sich dabei unbeeindruckt. Bildungskrise? „Sehe ich nicht.“

Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Foto: Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft
Steht mächtig unter Druck: Berlins Bildungssenatorin Sanda Scheeres. Foto: Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft

Das neue kostenlose Schulmittagessen für bis zu 198.000 Berliner Grundschüler zeigt nach Angaben von Bildungssenatorin Sandra Scheeres Wirkung: «Das Angebot wird auf jeden Fall angenommen», sagte die SPD-Politikerin am Mittwoch beim Besuch der Martin-Niemöller-Grundschule in Hohenschönhausen. Schon kurz nach Beginn des neuen Schuljahres werde deutlich, dass mehr Kinder als bisher in den Schulen zu Mittag essen. Jeden Tag kämen neue hinzu, so dass es für eine endgültige Bilanz noch zu früh sei.

«An allen rund 370 Grundschulen wird es ein Mittagangebot geben», unterstrich Scheeres. An fast allen Schulen seien Lösungen gefunden worden, teils auch für eine Übergangszeit. Lediglich an drei oder vier Schulen gebe es «stärkere Probleme» mit der Umsetzung. Hier seien zum Beispiel größere bauliche Veränderungen nötig. Vor diesem Hintergrund seien im Doppelhaushalt 2020/2021 rund 24 Millionen Euro für ein Sonderprogramm zum Bau von Mensen eingeplant.

Schulessen? „Nur mit allergrößten Kraftanstrengungen umgesetzt“

Der CDU-Landesvorsitzender Kai Wegner sagte beim Besuch der Grundschule an der Wuhlheide, Schulen und Bezirke könnten das kostenfreie Schulessen nur «mit allergrößten Kraftanstrengungen» umsetzen. «Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.» In manchen Schulen seien Zelte aufgestellt worden, um Raum für das Mittagessen zu schaffen. «Diese Maßnahmen dürfen maximal kurzfristige Provisorien sein», forderte Wegner.

Ziel der neuen sozialpolitischen Maßnahme der rot-rot-grünen Koalition ist es, jedem Kind eine warme Mahlzeit am Tag zu ermöglichen. Das sei nicht in jeder Familie selbstverständlich, so Scheeres. Wichtig sei auch eine gute Qualität der Speisen. Bisher nahmen viele Kinder nicht am Mittag teil, weil ihre Eltern die Kosten von monatlich 37 Euro nicht stemmen konnten oder wollten.

In beiden Schulen, die von Politikern besucht wurden, essen die Schüler ab 11.00 Uhr in Schichten. An der Niemöller-Grundschule nehmen nach Angaben von Schulleiterin Monika Rümpel im Moment 525 von 650 Schülern am Mittag teil. Im letzten Schuljahr waren es um die 300.

GEW: „Das Schuljahr ist holprig gestartet wie lange nicht“

Scheeres steht momentan wegen Qualitätsproblemen wie schlechten Deutsch- und Mathe-Kenntnissen etlicher Schüler, einer enorm hohen Schulabbrecher-Quote und eines in zwei Jahren drohenden Mangels von mehr als 20.000 Schulplätzen stark unter Druck. Wegner forderte am Vortag ihren Rücktritt (News4teachers berichtete). Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und andere sprechen von einer «Bildungskrise» in der Hauptstadt und forderten, auf einem «Bildungsgipfel» mit allen Beteiligten über Lösungen zu beraten. Das Schuljahr sei „holprig gestarte wie lange nicht“, verlautete die Gewerkschaft.

Anzeige

«Ich sehe nicht, dass wir eine Bildungskrise in Berlin haben», sagte Scheeres bei dem Termin in Hohenschönhausen dazu. In den vergangenen Jahren seien in die Schulen viele zusätzliche Ressourcen geflossen. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gelinge es, alle Lehrerstellen zu besetzen – zwei Drittel davon allerdings mit Seiteneinsteigern, denen einen pädagogische Qualifikation fehlt. Zudem habe sie ein Qualitätspaket mit fast 40 Maßnahmen auf den Weg gebracht. Und dass Schulplätze fehlten, sei nichts neues. Gerade deswegen habe Rot-Rot-Grün die milliardenschwere Schulbauoffensive gestartet.

Scheeres lehnt „Bildungsgipfel“ ab – und beruft eine „Qualitätskommission“ ein

Vor diesem Hintergrund erteilte Scheeres der Forderung nach einem «Bildungsgipfel» eine Absage. Ein solches Treffen sei «ein einmaliger Moment», ihr sei aber an einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Schulen und einer intensiven fachlichen Debatte gelegen. Auch deshalb habe sie eine «Qualitätskommission» mit internen und externen Fachleuten eingesetzt, darunter Schüler- und Elternvertretern.

Mit der Ankündigung der Kommission am Dienstag hatte Scheeres ihren Kritikern Wind aus den Segeln nehmen wollen. Das schon länger geplante Gremium soll die Umsetzung von Maßnahmen begleiten, die Anfang des Jahres beschlossen worden waren, etwa eine Ausweitung des Deutsch-Unterrichts und neue Ansätze beim Mathematik-Unterricht.

Die GEW zeigte sich am Mittwoch verwundert über das Agieren der Senatorin. «Am Donnerstag verkündet Sandra Scheeres einen reibungsfreien Schulstart. Über das Wochenende klafft plötzlich eine Lücke von 25 000 Schulplätzen, und zwei Tage später soll der Bildungsforscher Olaf Köller plötzlich eine Qualitätskommission leiten – diese Abfolge erstaunt uns schon sehr», erklärte der GEW-Landesvorsitzende Tom Erdmann.

«Ohne die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für die Berliner Pädagogen und der Rahmenbedingungen der Schulen lässt sich auch die Qualität nicht anheben», fügte er hinzu. «Das muss der Maßstab sein, damit die GEW Berlin sich an der Arbeit einer solchen Kommission beteiligen kann.» dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers kommentiert:

“Wir stecken mitten in einer Bildungskrise”: Elternschaft droht Scheeres damit, die Zusammenarbeit einzustellen

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

6 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Es ist absurd, Berlin gibt Millionen aus, damit der Einzelne mehr im Portmonee hat (A/E 13 für alle, kostenloses Mittagessen, kostenloser Nahrverkehr, kostenlose Kita …).

Alles kommt dem Einzelnen zugute, der mehr Geld zur Verfügung hat; nichts davon jedoch macht das Bildungswesen in Berlin besser!?!

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Absurd ist ja besonders, dass diese tollen sozialen Wohltaten jeder bekommt, die Kassiererin wie der Aufsichtsratvorsitzende (außer A13 natürlich). Da werden Millionen ausgeschüttet für Menschen, die es gar nicht nötig haben und dann ist nichts mehr da für die Jugendämter und deren Klientel … Das ist ja der Irrsinn der Berliner „Sozialgeschenkepolitik“.

U. B.
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

“Sozialgeschenkepolitik” bringt in der Regel Wählerstimmen und darauf scheinen die Regierungsparteien in Berlin vor allem Wert zu legen.

ysnp
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Länder wie Bayern zahlen ein (der sg. Länderfinanzausgleich), damit Berlin sich das leisten kann, während bayerische Schulkinder für ihr Mittagessen und die Menschen für den Nahverkehr im eigenen Bundesland bezahlen müssen.

dickebank
4 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Außer dem horizontalen Länderfinanzausgleich zwischen den Bundesländern gibt es noch den vertikalen vom Bund auf die Länder sowie den Ausgleich bei der erhobenen Umsatzsteuer. Daneben kommen dann noch Zahlungen aus Töpfen der EU. Dass BY lediglich auf der Grundlage seiner eigenen Finanzkraft existiert, ist das Narrativ der bayrischem Staatsregierung. Dir Vorlage dazu kommt aus der CSU-Zentrale.

Carsten60
4 Jahre zuvor

Schon vor Jahren war es schlimmer als es oben steht:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/schulen-in-berlin-scheeres-will-kritik-an-bildungspolitik-unterbinden/20603808.html
Zwecks Selbstdarstellung wollte Scheeres 11 neue Mitarbeiterstellen für ihre Pressestelle, und das angesichts knapper Mittel generell. Schulleitern wurde ein „Maulkorb“ umgehängt. Eigene Fehler hat es natürlich nie gegeben. Das ist die typische Arroganz des Establishments.
Bei der nächsten Landtagswahl könnten in Berlin die Grünen gewinnen, so jedenfalls derzeitige Umfragen. Dann wird vielleicht als nächste Reform die „eine Schule für alle“ eingeführt, und das von einer offensichtlich wenig fähigen Schulverwaltung. Das sollten selbst Befürworter einer solchen Reform fürchten.