Trotz Schulschließungen nach Corona-Ausbrüchen: Gebauer will Abstandsregel komplett kippen

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DÜSSELDORF. Die Rückkehr der Grundschulen zum Normalbetrieb in Nordrhein-Westfalen hat einen Proteststurm der Opposition sowie von Lehrerverbänden entfacht. Eine Grundschule in Wuppertal musste wegen eines Corona-Falls bereits wieder geschlossen werden. Kein Grund für die Schulministerin, an ihrem Kurs zu zweifeln. Im Gegenteil: Sie will nach den Sommerferien auch in den weiterführenden Schulen ohne Abstandsregel unterrichten lassen.

Eilmeldung: Corona-Ausbruch im Kreis Gütersloh – alle Schulen und Kitas werden dort geschlossen

Probiert mal etwas Neues - aber nur im klitzekleinen Rahmen: die FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Magubosc / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
Auf Kurs: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Magubosc / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Trotz der ersten Schließung einer Grundschule in Nordrhein-Westfalen wegen einer Corona-Infektion hält Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) an der Rückkehr zum Regelbetrieb fest. «Die Kinder haben ein Recht auf Bildung», sagte sie am Mittwoch im Schulausschuss des Landtags (der aktuelle Ausbruch im Kreis Gütersloh war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt). Seit Montag werden die rund 640.000 Grundschulkinder in NRW wieder täglich und in voller Klassenstärke unterrichtet – ohne Abstandsregel. In NRW gibt es fast 2800 Grundschulen.

Nach den Sommerferien sollten möglichst alle Schüler sämtlicher Schulformen wieder in den Regelbetrieb zurückkehren, bekräftigte Gebauer. In diesem Punkt seien sich auch die Kultusminister aller Länder einig. Bis zu der angestrebten Rückkehr in den Normalbetrieb seien es in NRW noch acht Wochen. Ob der Schritt dann möglich sei, hänge von der weiteren Entwicklung des Corona-Infektionsgeschehens ab.

640.000 Schüler werden seit gestern ohne Abstand unterrichtet

In NRW gibt es über alle Schulformen hinweg nach Angaben aus dem Schulministerium derzeit 42 bestätigte Infektionsfälle bei Lehrkräften und Schülern (noch ohne den aktuellen Ausbruch in Gütersloh). Eine Grundschule in Wuppertal war von den örtlichen Gesundheitsbehörden geschlossen worden. An drei weiteren Grundschulen seien Teilgruppen geschlossen worden. Unterdessen schloss der Kreis Gütersloh nach einem erneuten Corona-Ausbruch beim Schlachtereibetrieb Tönnies alle Schulen und Kitas bis zu den Sommerferien. Durch diesen Schritt solle eine Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung vermieden werden, sagte eine Sprecherin des Kreises.

Der Ausbruch zeige, dass es absolut notwendig sei verschiedene Pläne zu entwickeln und das Lernen auf Distanz durch ausreichend Endgeräte und entsprechende Software zu ermöglichen, teilte der Lehrerverband VBE mit. «Es ist nicht auszuschließen, dass uns ähnliche Szenarien im kommenden Schuljahr erwarten und darauf müssen alle Schulen jetzt vorbereitet werden.»

SPD: Lehrer fühlen sich von der Schulministerin missachtet

Bei SPD und Grünen stieß die Rückkehr der Grundschulen zum Regelbetrieb nur zwei Wochen vor den Sommerferien auf massive Kritik. Der SPD-Schulpolitiker Jochen Ott sagte, dass die Kinder etwa in Wuppertal nun in Quarantäne müssten und Urlaubspläne der Familien so durchkreuzt würden. Die Grünen-Abgeordnete Sigrid Beer warf Gebauer vor, für den Grundschulbetrieb in festen Lerngruppen unter Corona-Bedingungen weder genügend Räume noch das notwendige Zusatzpersonal bereitgestellt zu haben. Dass im Offenen Ganztag (OGS) die Gruppen dann gemischt würden, führe das System der Lerngruppen wieder «ad absurdum» (News4teachers berichtete ausführlich über die entsprechende Anordnung des Ministeriums – hier geht es zum Bericht).

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Der VBE berichtete davon, dass viele Lehrkräfte das Gefühl hätten, ihre Arbeit für das Lernen auf Distanz, Einhaltung der Hygienepläne und vieles mehr nicht mehr gesehen werde. Die Lehrer fühlten sich «missachtet», sagte auch der SPD-Abgeordnete Ott. Er warf dem Schulministerium vor, schon vor Ostern gewusst zu haben, dass wegen der Abiturprüfungen die restlichen Schüler bis Ende des Schuljahres höchstens noch zwei bis drei Tage die Schulen besuchen könnten. Dies habe das Ministerium aber den Eltern damals verschwiegen.

GEW: Land setzt Planung für das kommende Schuljahr aufs Spiel

Maike Finnern, Landesvorsitzende der GEW, stellte fest, „die Politik von Schulministerin Gebauer stößt in den Schulen auf breite Ablehnung“. Das Ministerium bewerte Risiken schlicht neu und erreiche dadurch erneute Unruhe in den Schulen. Dem Risiko stehe ein äußerst geringer Zugewinn an Unterrichtszeit gegenüber. „Fürsorge und vorausschauende Schulpolitik sehen anders aus“, meint die Gewerkschafterin. „Ängste und Unsicherheit von Lehrer*innen, Beschäftigten im offenen Ganztag, Eltern und Schüler*innen werden einfach ignoriert.“ Zudem setze die Landesregierung mit diesem Kurs die verantwortungsvolle Planung für das kommende Schuljahr aufs Spiel. Schulen seien jetzt statt mit der Planung des kommenden Jahres mit Vorgaben befasst, die im Alltag kaum verantwortungsvoll umzusetzen seien.

Die Pandemie-Lage in NRW habe sich in den vergangenen Wochen deutlich entspannt, sagte Gebauer. Die Folgen des eingeschränkten Schulbetriebs seien für Kinder und Erwachsene enorm. Kinder brauchten Strukturen im Alltag und Kontakt zu anderen Kindern. Die AfD unterstützte Gebauers Kurs. «Das Normale ist die Normalität und nicht, dass man die Schulen schließt», sagte der AfD-Politiker Helmut Seifen. Auch die weiterführenden Schulen hätten vor den Sommerferien nach Ansicht der AfD zum Regelbetrieb zurückkehren sollen.

Gebauer äußert Unverständnis über abgesagte Abschlussfeiern

Gebauer bekräftigte, dass trotz Corona-Krise Abschlussfeiern mit Zeugnisübergaben an Grund- und weiterführenden Schulen rechtlich abgesichert seien. Es erschließe sich ihr nicht, warum einige Schulleitungen etwa in Köln Abschlussfeiern abgesagt hätten. Sie räumte aber ein, dass es aufgrund der Corona-Schutzverordnungen «mitunter schwierige Situationen» bei der Organisation geben könne. Abschlussfeiern seien in den Schulen oder auch außerhalb möglich. Auch Eltern dürften an den feierlichen Zeugnisausgaben teilnehmen. Abibälle seien wegen ihres privaten Charakters aber verboten.

Der «Wermutstropfen» sei, dass es wegen des Infektionsschutzes keine Veranstaltungen «mit überwiegend geselligem Charakter« geben dürfe. «Das ist der schmerzliche Preis, der zu zahlen ist.» News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

WDR-Umfrage widerlegt FDP-Umfrage: Mehrheit gegen breite Schulöffnungen

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dickebank
3 Jahre zuvor

Das freut uns aber, endlich ist wieder Gruppenkuscheln erlaubt.

Biene
3 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Die Ironie in ihrer Antwort ist köstlich.
Die Frau hat wahrscheinlich nicht daran gedacht, dass im engsten Umfeld der SuS (Eltern) Personen gibt, die in die Hochrisikogruppe gehören. Ein unverantwortliches Verhalten von jenen, die die Bürger schützen sollten.

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Biene

Die Aussage „Die Frau hat wahrscheinlich nicht daran gedacht []“ ist auf den Umstand zuirück zu führen, dass diese Frau ihren geistigen Horizont mit dem Radius von Null Millimetern für einen eigenen Standpunkt hält. Ihre Entscheidung bezüglich der Schulöffnung bzw. der Rückkehr zum „Regelschulbetrieb“ ist Fakten basiert. – Und Fakt ist, dass Chr. Lindner diesen von ihr einfordert.

Btw für Schulöffnungen sind dei Hausmeister zuständig, Lehrkräfte geben Unterricht – und der kann eben auch, hätte man die Voraussetzungen geschaffen, als Fernunterricht konzipiert und durchgeführt werden.
ist dann sehr modern, aber auch sehr lehrerzentriert, da er wenig bis keine Interaktion wie im Präsensunterricht zulässt.

Die Digitalisierung des Unterrichts in NRW ist dgital, sie basiert auf dem binären System:
Ein politischer Wunschtraum und Null Ahnung von der Materie!

FDP-Mitglied
3 Jahre zuvor

Als Mitglied der FDP schäme ich mich für meine Partei und diese Ministerin. Ich kann kaum in Worte fassen, wie fassungslos ich bin, wie hier mit der Gesundheit der Menschen gespielt wird. Wenn meine Partei solches Personal aufstellt, darf sie sich nicht wundern, wenn es bei den nächsten Wahlen bergab geht.
Schade.

Christian
3 Jahre zuvor
Antwortet  FDP-Mitglied

Sehr treffend analysiert

Frau T.
3 Jahre zuvor

Mir ist klar, dass das jetzt ein total blöder und unsachlicher Kommentar wird, aber jedesmal, wenn Fr. Gebauer oder Herr Laschet offensichtlich Wasser predigen, aber Wein trinken…sprich: hervorheben, wie wichtig, richtig und völlig ungefährlich, wissenschaftlich evaluiert, die Öffnungen von Schulen und Kitas gerade seien, eine hohle Phrase nach der anderen dreschend. Andererseits werden Plexiglaswände für Politiker im Landtag aufgestellt , angebliche Umfragen, die das Vorgehen rechtfertigen sollen, können einfach widerlegt werden und sämtliche Berichte über Infektionszahlen strafen jedes Wort lügen.
Dann möchte ich beide mal in die OGS bei uns einladen. Wir können uns dann mit 116 Kindern und sechs Fachkräften im 80m2 großen OGS Raum schön zusammenkuscheln. Ohne Abstand, ohne Masken. Die Kinder werden sie bestimmt herzlich begrüßen, auch mal ganz lieb drücken – zumindest ein paar. Wir wissen ja dann, wer da ist – kein Problem also, was Infektionsketten angeht. Frau Gebauer hat dann auch ihre Feier. Wäre das nicht schön…?

Christian
3 Jahre zuvor
Antwortet  Frau T.

Dem kann ich nichts hinzufügen, dafür aber voll zustimmen.

Marie
3 Jahre zuvor

„ Der «Wermutstropfen» sei, dass es wegen des Infektionsschutzes keine Veranstaltungen «mit überwiegend geselligem Charakter« geben dürfe. «Das ist der schmerzliche Preis, der zu zahlen ist.»“.
Die liebe Frau Gebauer blendet mal ganz elegant aus, dass mit einer kompletten Schulöffnung über alle Jahrgänge der zu zahlende Preis am Ende deutlich schmerzhafter sein dürfte als ein nicht stattfindenden Abiball.

Christian
3 Jahre zuvor

Man kann versuchen, auf einem Photo wissend und scharfsinnig zu gucken. Helfen tut das nicht, wenn es wirklich darauf ankommt.

Illy
3 Jahre zuvor

Hahaha… das denke ich auch immer…lach mich schlapp.

Die YG- Mogelpackung: schlau steht drauf…saudumm ist drin. …

Lehrerberlin
3 Jahre zuvor

Ich finde, dass die zuständigen Minister*innen der Bundesländer wie eine Sekte wirken, wenn man sich ihre Aussagen direkt nacheinander durchliest. Es wirkt so, als hätten sie eine gemeinsame Gehirnwäsche erhalten. 🙂
Und dass sie das einprogrammierte Gewäsch stur wiederholen, selbst wenn sich die Situation drastisch ändert, erinnert an Roboter.

Barbora Emilija K.
3 Jahre zuvor

Wenn ich diese Frau auf dem Foto angucke und dann auch noch lese, was sie so sagt, dann denke ich nur eins: was stimmt mit ihr nicht? :)))

Ada
3 Jahre zuvor

Die Frau hat völlig Recht, es ist wichtig alle Schulen wieder zu öffnen und schnellstens zum Normalbetrieb zurück zu kehren. Wir haben Corona im Griff, so wie man Lebensrisiken eben im Griff haben kann oder wir müssen zukünftig die Autobahnen schließen, alle alkoholischen Getränke verbieten und auf Sex verzichten, weil das alles Risiken birgt.

mama07
3 Jahre zuvor
Antwortet  Ada

Ich hoffe, dass Sie sich ebenso „im Griff“ haben, wie WIR Corona…

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Ada

Na, dann kann Tönnies ja weiter schlachten und zerlegen. Die 650 Infizierten bei 1.100 Getesteten von insgesamt 7.000 Mitarbeitern sind doch ein lokal begrenztes ereignis, wozu also der gesamet Aufriss?

Btw kenenn Sie den unterschied zwischen einem Unfall und einer Erkrankung?

dickebank
3 Jahre zuvor

Die Mogelpackung besteht doch im Begriff „Regelbetrieb“. Dass die Schulen angepasst an die Situation wieder zu einem Unterrichtsbetrieb zurück kommen müssen, der möglichst vielen SUS einen Präsensuntericht zukommen lässt, ist doch unstrittig. Nur will man wirklich neben der Aufhebung des Abstandgebotes im Klassenraum auch noch das Verbot, Gruppen ständig neu zusammen zu setzen, kippen? Letzteres ist nämlich für den Unterrichtsbetrieb in der sekundarstufe I an allen Schulformen unerlässlich, da dieser auf Neigungs- und in integrierten Schulformen auf Fachleistungsdifferenzierung beruht. Setzt man die Fachleistungs- und Neigungsdifferenzierung außer Kraft, können die SuS allenfall einen „erweiterzen Hauptschulabschluss (HSA)“ am Ende ihrer Schullaufbahn außerhalb der GY erlangen, da die Bedingungen der APO-SI zur Vergabe des MSA in Form eines FOR oder FOR-Q nicht umgesetzt werden können.

Folglich bedarf es einer Anpassung der Unterrichtskonzepte sowie der curricularen Vorgaben. Organisation und Inhalte müssen auch deshalb angepasst werden, da rund 20% der Vollzeitstellen nicht verfügbar sind. 5% bis 7% der Stellen sind wegen fehlender Bewerber nicht zu besetzen und weitere 10% bis 15% sind wegen Gesundheitsgefährdung hinsichtlich der Pandemie aufgrund vorgelegter Atteste vom Untericht befreit.

Das kann für Schulen nur bedeuten a priori 20% der theoretisch zur Verfügung stehenden Unterrichtskapazität zu streichen. Für Schulen im Halbtag bedeutet das, statt möglicher 30 Wochenstunden (WS) nur 24, max 25 WS – also 5 Unterrichtsstunden je Tag. Für Schulen im Ganztag – gebunden oder offen -, die zwischen 32 und 36 WS im Normalfall Unterricht anbieten, eine Reduktion von 6 bis 7 WS – also wegfall des AGnztages und lediglich sechs Unterrichtsstunden je Tag.

Nicht berücksichtigt ist dabei der Anstieg von Erkrankungen wie Grippe oder Erkältung, die üblicherweise im Zeitraum nach den Herbstferien zu massivem Bedarf an Vertretungen führen, da Teile der Kollegien eine AU einreichen werden bzw. wegen der Symptomatik vom Unterricht in Corona-Zeiten ausgeschlossen werden müssen.

Ein regelbetrieb, wie er seitens der Schulministerien den Eltern vorgegaukelt wird, ist definitiv nicht leistbar. Es wäre also an der Zeit, dass die Schulministerien und die KMK das endlich anerkennen würden und entsprechende Vorgaben für den Unterricht im nächsten Schuljahr erarbeiten würden, damit Schulleitungen während der Sommerferien ausreichend Zeit haben, das nächste Schuljahr 20/21 organisatorisch vorzubereiten und Absprachen mit den Schulträgern u.a. wegen der geänderten Zeiten für die Schülerbeförderung und weiterer Belange wie z.B. Verträgen mit Mensabetreibern und sonstigen Kooperationspartnern abzustimmen.

Die Eltern brauchen ebenfalls einen Planungsvorlauf und schon jetzt Informationen, wie es realistischer Weise nach den Sommeferien weitergeht und welche Vorkehrungen für den Fall möglicher Schulschließungen, wie jetzt im Kreis GT erfolgt, geplant sind.

Die Aussage, die Länder wollten nach den Ferien zu einem „Regelbetrieb“ zurückkehren, ist nett, aber wenig hilfreich, zumal „nett die kleine Schwester von Schei…“ ist.

Emil
3 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Ich glaube, dass Sie von falschen Voraussetzungen ausgehen. Frau Gebauer will Regelbetrieb, es wird keine Freistellung mehr geben, weil sie behauptet, es sei ungefährlich und es wird genauso keine festen Gruppen mehr geben. Sie wird das knallhart durchziehen!

Tanja Schwenke
3 Jahre zuvor
Antwortet  Emil

Genauso..Hier stehen halt einzig wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Machen wir uns nichts vor: wer in Zeiten von Klimawandel und Umweltzerstörung Braumkohle und die Autoindustrie sponsert, der dokumentiert, dass er sich für die Zukunft von Kindern grundsätzlich nicht interessiert. Insofern ist die Schulöffnung ohne Rücksicht auf das Risiko von schwerer Erkrankung nur konsequent und logisch!