Digitalisierung bedeutet Wandel – virtueller bak-Seminartag bot Impulse für die Zukunft der Lehrerausbildung

0

DÜSSELDORF. Die Chancen, die die Digitalisierung im schulischen Bereich bietet, stehen durch die Corona-Pandemie mehr im Fokus. Doch um die Zukunft der Schulbildung konstruktiv zu gestalten, sollten sie auch unabhängig von der aktuellen Situation Aufmerksamkeit erfahren – davon ist Helmut Klaßen überzeugt, Bundesvorsitzender der bak Lehrerbildung, der Interessenvertretung für alle Beschäftigten in der Zweiten Phase der Lehrkräfteausbildung. „Wir kommen nicht darum herum, uns mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen – sei es auf der gesellschaftlichen oder auf der Bildungsebene. Es geht darum, diese sinnvoll zu gestalten“, so Klaßen. Entsprechend bildeten Aspekte der digitalen Bildung einen Schwerpunkt des 54. bak-Seminartags. Und passend zum Motto des Kongresses „Lehrerbildung zukunftsfähig ausrichten – Vorbereitungsdienst zeitgemäß gestalten“ fand dieser in diesem Jahr virtuell statt.

Medienforscherin Macgilchrist empfiehlt Lehrenden im Zuge der Digitalisierung eine neue Haltung, die erste Schritte erleichtern soll: „Fertig ist besser als perfekt.“

Eigentlich sollte Heidelberg das Ziel der diesjährigen Veranstaltung sein. Wie in den vergangenen Jahren wollte der Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiterinnen sowie -leiter (bak Lehrerbildung) dort den Ausbilderinnen und Ausbildern vier Tage lang innovative Anregungen für ihre Praxis bieten. Doch die Corona-Pandemie vereitelte diesen Plan, gelten doch aufgrund des hochansteckenden Virus größere Präsenzveranstaltungen als Infektionsrisiko. „Wir wollten trotzdem auch in diesem Jahr die Zweite Phase der Lehrkräfteausbildung innovativ vorantreiben und haben uns daher für ein netzbasiertes Format entschieden“, so Klaßen. Auf einer dafür eigens eingerichteten Plattform zeigte der bak Lehrerbildung zu bestimmten Zeiten die vorab von den Referentinnen und Referenten aufgezeichneten Vorträge. Zeitgleich ermöglichte er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sich über den Mikrobloggingdienst Twitter mithilfe des Hashtags #bak2020seminartag miteinander auszutauschen.

Großes Interesse

Die Umsetzung fand Zustimmung: mehr als 200 Interessierte hatten sich für die Veranstaltung angemeldet. „Ich bin positiv überrascht. Die Zahl entspricht der durchschnittlichen Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Seminartage“, sagte Klaßen. Er freue sich sehr, dass es gelungen sei, zum Motto des diesjährigen Seminartags trotz der Umstände ein ansprechendes Programm zusammenzustellen. Mit Blick auf die Zukunft beschäftigte sich Dr. Christian Fischer, Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Begabungsforschung/Individuelle Förderung, beispielsweise mit den Voraussetzungen für erfolgreiches lebenslanges Lernen. Er zeigte auf, wie Strategien des selbstregulierten Lernens die Basis dafür bilden und wie angehende Lehrkräfte diese vermitteln und im Zuge ihrer Ausbildung dazu befähigt werden können.

Immer wieder thematisierten Referenten im Laufe des Tages, wie die Digitalisierung Lehrkräfte unterstützen kann, aktuellen Herausforderungen zu begegnen, – und wie Ausbildende die Referendarinnen und Referendare entsprechend vorbereiten können. Besonders praxisnah veranschaulichte dies Nicolas Colesman von der gemeinnützigen Organisation „Zukunft Digitale Bildung“, die Lehrkräfte und deren Ausbildende als „treibende Kraft des digitalen Wandels“ erkannt hat und sie bei dieser Aufgabe unterstützen möchte.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des coronabedingten Fernunterrichts nutzte Colesman den Seminartag, um Ausbilderinnen und Ausbildern zu zeigen, mit welchen digitalen Methoden sie den Unterricht – auch im virtuellen Seminar – effizient gestalten können. Dazu simulierte Colesman eine Unterrichtsstunde aus einem virtuellen Klassenraum heraus und stellte einzelne digitale Instrumente dabei vor. Dazu gehörten unter anderem DSGVO-konforme Videodienste, deren Server in Deutschland liegen, wie Meetzi, Vicole oder IServ.

Wie Lehrkräfte mithilfe freier analoger wie auch digitaler Bildungsmaterialien, sogenannter Open Educational Ressources (OER), ihren Unterricht inklusiver gestalten können, präsentierte Dr. Frank J. Müller, Juniorprofessor an der Universität Bremen für inklusive Pädagogik. Der laut Müller unschlagbare Vorteil der OER-Materialien: Lehrkräfte dürfen sie verändern und können sie daher an die Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler anpassen (die Power Point-Präsentation sowie weiterführende Materialien stellt Müller online zur Verfügung).

Weitreichende Veränderungen

Den Anstoß, Digitalisierung in einem breiteren Kontext zu sehen, gab die Professorin für Medienforschung Dr. Felicitas Macgilchrist, die die Abteilung „Mediale Transformationen“ am Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI) in Braunschweig leitet. Laut Macgilchrist müssten im Zuge der Digitalisierung im schulischen Bereich der damit verbundene strukturelle und kulturelle Wandel mitbedacht werden. Dieser Aspekt würde außer Acht gelassen, wenn digitale Medien

  • lediglich als Werkzeuge gepriesen werden würden, mit denen sich etwa bekannte Formen des Präsenzunterrichts auf den Fernunterricht übertragen lassen, oder
  • als Hilfsmittel, mit denen die Kommunikation mit und unter den Schülerinnen und Schülern aufrechterhalten werden kann.
Helmut Klaßen, Bundesvorsitzender des bak Lehrerbildung. Foto: bak Lehrerbildung

In der anschließenden Diskussionsrunde mit sieben der neun Referentinnen und Referenten sowie dem bak-Bundesvorsitzenden Klaßen und seinen Stellvertretern wurde deutlich, dass genau in diesem Punkt Einigkeit herrscht: Digitalisierung ohne Wandel gibt es nicht. „Die digitale Kommunikation senkt etwa die Hemmschwelle, sich im Online-Seminar zu beteiligen“, berichtete Dr. Timo Noll, Berater und Dozent für Systemische Beratung, von seinen Erfahrungen aus der Online-Beratung. Gleichzeitig steige jedoch ohne Präsenzveranstaltung der begleitende Kommunikations- und Beratungsaufwand, ergänzte Ulrich Ballhausen, der am Institut für Didaktik der Demokratie der Leibniz Universität Hannover arbeitet. „Ich bereite mittlerweile im Vorfeld schon eine Zusammenstellung immer wieder auftauchender Fragen und Antworten vor.“ Vor allem leistungsschwächere Lernende bräuchten mehr Unterstützung, wenn das Lernangebot digital stattfinde. Davon konnten auch Professor Müller und Nicolas Colesman aus zweiter Hand berichten.

Colesman, der sich immer wieder mit Lehrkräften zu ihren Erfahrungen im Fernunterricht austauscht, erinnerte sich aber auch an eine mögliche Lösung, den Zeitaufwand für die digitale Kommunikation überschaubar zu halten: Schülerinnen und Schüler, die bereits stärker selbstreguliert lernen können, sich gegenseitig fördern lassen, um mehr Zeit für die Leistungsschwächeren aufbringen zu können. „Ihnen kann die notwendige Struktur gegeben werden, indem es feste Uhrzeiten für Absprachen gibt, die sich wiederholen.“

Entscheidend ist die Haltung

Der Frage, ob die Digitalisierung Lehrkräfte und angehende Lehrkräfte letztlich nicht überfordere, begegnete Macgilchrist mit einem entscheidenden Einwand: Auf Lehrerinnen und Lehrern laste sehr viel Druck, kompetent sein zu müssen. Stattdessen müssten sie jedoch lernen, inkompetent zu sein. „Fertig ist besser als perfekt“, so die Medienforscherin. Eine solche Haltung erleichtere es, mit der Herausforderung schrittweise zu wachsen. „Einfach mal anfangen und etwas ausprobieren, das haben auch wir heute gemacht“, fasste der stellvertretende bak-Vorsitzende Markus Popp am Ende des ersten virtuellen bak-Seminartages zusammen. Gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden Klaßen zeigte er sich mit dem Online-Kongress zufrieden – wenn auch bereits Entwicklungspotenzial erkannt worden war. „Wir haben natürlich noch Puffer nach oben, uns zu verbessern. Das nehmen wir als Auftrag fürs nächste Mal mit“, so Popp. Und Klaßen ergänzte: „Fertig ist besser als perfekt – das werde auch ich mir merken.“ ach/Agentur für Bildungsjournalismus

„Das ist nicht mal eben zu machen“: Warum der schulpraktische Teil der Lehrerausbildung so wichtig ist – ein Interview

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments