Der Messerangriff eines 13-Jährigen auf einen Mitschüler in Östringen (Kreis Karlsruhe) ist aus Expertensicht ein Einzelfall. «Solche Fälle sind extrem selten», sagte Matthias Schneider, Geschäftsführer der Lehrergewerkschaft GEW in Baden-Württemberg. Zahlen dazu seien schwer zu vergleichen, weil früher nicht jeder Fall in die Statistik eingegangen sei. Die tatsächliche Belastung der Schulen durch Gewaltexzesse sei deutlich geringer, als es oft den Eindruck mache, heißt es auch in einer Broschüre des Kultusministeriums in Stuttgart. Das Deutsche Jugendinstitut berichtet ebenfalls, dass von «Brutalisierung von Jugendgewalt» keine Rede sein könne.
“Da sitzen Schüler, die finden es toll, dass sie ein Messer dabei haben”
Der Chef der Deutschen Polizei-Gewerkschaft, Rainer Wendt, hingegen sagte: «Schule ist kein geschützter Raum mehr. Da sitzen Jungs, die finden es toll, dass sie ein Messer dabei haben.» Lehrer sollten auch ohne gerichtlichen Beschluss die Taschen der Schüler durchsuchen dürfen, forderte er. Und sie müssten etwa wissen, wenn ein Schüler in der Freizeit wegen Gewaltbereitschaft auffalle. Dass die Lehrkräfte darüber informiert würden, verhindere im Moment aber der Datenschutz, so Wendt.
Jugendgewalt ereigne sich meist unter männlichen Jugendlichen, so das Deutsche Jugendinstitut. Zwar gebe es nach einem längeren Rückgang von körperlicher Gewalt einen Anstieg in einzelnen Schulformen – vor allem an Hauptschulen, schreiben die Fachleute in einer Analyse von Daten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Die Zahl der erfassten Knochenbrüche bei «Raufunfällen» an Schulen sei aber «seit Jahren auf einem nahezu gleichbleibenden, sehr niedrigen Niveau».
Bei dem Vorfall am Montag in einer Realschule im baden-württembergischen Östringen hatte der Jugendliche nach einer Pause mit dem Messer mehrfach auf den Oberkörper des gleichaltrigen Mitschülers aus einer anderen siebten Klasse eingestochen. Die beiden seien seit längerem zerstritten gewesen, sagte eine Polizeisprecherin. Hinweise auf ein konkretes Motiv des Angreifers gab es zunächst nicht. Unklar sei auch, inwiefern er die Tat geplant und das Messer extra zur Schule mitgebracht habe. Der Verletzte sei aber außer Lebensgefahr. Die Teenager und ihre Familien würden eng durch das Jugendamt betreut.
Der Schülerin wird versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen
Am selben Tag soll eine 14-Jährige in einer Schule in Salzwedel (Sachsen-Anhalt) einen gleichaltrigen Mitschüler mit einem Messer am Rücken verletzt haben. Das Motiv für den Angriff war zunächst unklar. Das Mädchen kam in Untersuchungshaft. Der Schülerin werde versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen, sagte eine Polizeisprecherin. Noch immer unklar ist das Motiv. Angaben der Polizeisprecherin zufolge ergaben erste Befragungen der Klassenkameraden keine Hinweise auf einen Streit. Das Mädchen selbst habe sich bislang nicht zu den Hintergründen geäußert. Der verletzte Junge sei weiterhin in ärztlicher Behandlung. Lebensgefahr habe nicht bestanden, sagte eine Polizeisprecherin.
Auch wenn derartige Gewaltausbrüche selten vorkommen, erregen sie immer wieder Aufsehen. 2018 beispielsweise hatte ein Schüler im nordrhein-westfälischen Lünen einen Mitschüler auf dem Flur einer Gesamtschule erstochen. Ein Gericht verurteilte den 16-Jährigen zu sechs Jahren Jugendstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat aus den Statistiken herausgefiltert, bei welchen Delikten in der Schule oder auf dem Schulweg Schüler Opfer waren – wer die Taten begangen hat, wird dabei nicht unterschieden. Demnach waren im Südwesten vergangenes Jahr 1076 Körperverletzungen zu verzeichnen. 2018 waren es 859. Dabei machte die Behörde keine Angaben zur Schwere der Verletzungen. Die Zahl der Nötigungen von Schülern lag 2019 bei 36, die der Bedrohungen bei 98.
Als mögliche Ursachen für Jugendgewalt zählt die Polizei unter anderem auf, dass man zu Hause in der Familie Gewalt als Mittel der Konfliktlösung erlebt habe. Konsum entsprechender Medien, Perspektiv- und Orientierungslosigkeit könnten weitere Faktoren sein.
Verbale Gewalt unter Schülern nimmt deutlich zu – in Form von Cybermobbing
Was deutlich zunehme, sei verbale Gewalt etwa in Form von Cybermobbing, sagte Gewerkschafter Schneider. Aus seiner Sicht muss die Sozialarbeit an den Schulen ausgebaut werden. «Sozialarbeiter gibt es an vielen Schulen, aber nicht an allen. Das sollte Standard sein.» Die Fachleute hätten eine andere Rolle als Lehrer, müssten Schüler zum Beispiel nicht benoten. Das schaffe ein anderes Verhältnis. Zudem brächten sie eine andere Expertise mit.
Das Thema Gewalt an der Schule und Prävention beschäftigt seit Jahren Politik, Polizei und Vereine. Im Internet finden sich zahlreiche Informationen mit Ansprechpartnern samt Rufnummern. Es gibt Handreichungen mit Tipps für Eltern und Lehrkräfte.
Lothar Wegner von der Aktion Jugendschutz Baden-Württemberg mahnte vor allem ein «kompetentes Konfliktmanagement» an. An vielen Schulen liefen etwa Streitschlichtungsprogramme sehr gut, an manchen hapere es aber – auch weil die personellen Ressourcen fehlten, sagte er. Auf der anderen Seite müsse die Teilhabe der Schüler selbst etwa in Form eines Klassenrats gestärkt werden. Das sei gerade in Zeiten von Corona allerdings schwierig und komme daher häufig zu kurz. News4teachers / mit Material der dpa
Eine genauere Analyse und klare Benennung, welche Gruppen oder Milieus von Jugendlichen messer-orientiert sind, wäre hilfreich.
Und was soll das dann werden? Ein Racial Profiling? Zwei Gruppen können Sie der Meldung oben ja schon mal entnehmen: Mädchen und Jungen.
@Pälzer In Baden Württemberg handelt es sich um deutsche Jugendliche, natürlich ohne Namen. Näheres finden Sie zum Beispiel in den badischen neuen Nachrichten:
https://bnn.de/kraichgau/bruchsal/oestringen/messerattacke-an-ostringer-realschule-tatverdaechtiger-siebtklaesser-festgenommen
Ob Sie Ben, Leon, Mohammed oder Bijan für am wahrscheinlichsten halten, müssen Sie selbst entscheiden.
Die Bild-Zeitung nennt im Artikel zur Tat in Sachsen-Anhalt den Namen des Mädchens und des Opfers. Ob das sinnvoll oder notwendig ist, weiß ich nicht, ob die Namen geändert wurden, weiß ich auch nicht.
@georg: Das-türkisch hinter dem deutsch im verlinkten Artikel bewusst vergessen?