Lorz reformiert die Lehrerausbildung und springt dabei (laut GEW) zu kurz

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WIESBADEN. Das Land Hessen reformiert die Lehrkräfteausbildung – grundlegend, wie Kultusminister Alexander Lorz (CDU) meint. „Gut ausgebildete Lehrkräfte sind entscheidend für den Schulerfolg junger Menschen. Unser neues Gesetz schafft dafür die Grundlagen – und das aus einem Guss“, erklärt er. Die GEW sieht das anders.

Ist mit seiner Reform der Lehrerausbildung naturgemäß zufrieden: Hessens Kultusminister Alexander Lorz. Foto: HKM/ Patrick Liste

Die Anforderungen an Lehrkräfte seien in den vergangenen Jahren noch vielfältiger geworden: So hätten etwa die Integration von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache, Medienbildung und Digitalisierung, Inklusion, die Förderung der Bildungssprache Deutsch sowie die Ganztagsbeschulung und die berufliche Orientierung an Bedeutung gewonnen – erklärt das hessische Kultusministerium in einer Pressemitteilung. Als Reaktion auf diese Entwicklungen habe der Landtag nun eine grundlegende Novellierung des Hessischen Lehrkräftebildungsgesetzes beschlossen, die eine feste Verankerung dieser Themen in allen drei Phasen der Lehrkräftebildung vorsehe. „Studium, Vorbereitungsdienst und Fort- und Weiterbildungen sind eng miteinander verzahnt, um den Herausforderungen des Lehrerberufs auch in Zukunft gerecht zu werden“, so Lorz.

Um die Praxisorientierung angehender Lehrkräfte deutlicher in den Vordergrund zu rücken, wird das in den vergangenen Jahren erprobte Praxissemester flächendeckend eingeführt. Es findet in der zweiten Hälfte des jeweiligen Studiengangs statt. Im Mittelpunkt des Praxissemesters steht die Reflexion des pädagogischen Handelns anhand der im Laufe des Studiums erworbenen und vertieften Kenntnisse. „Mit der Stärkung der Praxisanteile sorgen wir dafür, dass das an der Universität erworbene Wissen unmittelbar angewendet werden kann“, betonte der Minister.

Daneben wird ein weiteres Instrument eingeführt: das phasenübergreifende Portfolio. Es wird von den angehenden Lehrkräften bereits während des Studiums angelegt und anschließend weitergeführt.  Neben der Sammlung von Belegen über die Teilnahme an Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen dient es vor allem der fortlaufenden Reflexion und Dokumentation der Kompetenzentwicklung der Lehrkraft. „Jede einzelne Lehrerin, jeden einzelnen Lehrer wollen wir für die Herausforderungen dieses wunderbaren Berufs wappnen und insgesamt das lebenslange Lernen fördern“, unterstrich Lorz.

Lorz: Staatsprüfungen bleiben erhalten, Studiendauer bleibt unverändert

Bei allen Änderungen halte Hessen aber an zwei Bausteinen aus gutem Grund fest: den Staatsprüfungen und der Studiendauer. „Mit der Ersten und Zweiten Staatsprüfung garantieren wir die Qualität und Einheitlichkeit der hessischen Abschlüsse. Und bei der Studiendauer entsprechen Hessens Vorgaben bereits vor der Novellierung in jedem einzelnen Lehramt vollständig den geltenden KMK-Vereinbarungen“, erklärte der Minister. Im bundesweiten Vergleich habe Hessen mit 21 Monaten ohnehin den zweitlängsten Vorbereitungsdienst. „Mit diesem Gesetz sind unsere Lehrkräfte für die Zukunft von Schule sehr gut gerüstet.“

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Das sieht die GEW deutlich anders. Die schwarz-grüne Koalition habe die Chance verpasst, die Lehrkräftebildung in Hessen zukunftsfest aufzustellen. Das neue Gesetz enthält nach Einschätzung der Gewerkschaft lediglich geringfügige Verbesserungen gegenüber dem Ist-Zustand. Thilo Hartmann, Vorsitzender der GEW Hessen, äußerte sich entsprechend enttäuscht: „Die schwarz-grüne Koalition benennt zwar einige der Themen, auf die die Lehrkräfte von morgen dringend vorbereitet werden müssen, wie der Umgang mit heterogenen Lerngruppen, Mehrsprachigkeit, politische Bildung, Digitalisierung, Inklusion und individuelle Förderung. Ihr Gesetzentwurf wird den damit verbundenen Anforderungen an die Lehrkräftebildung aber nicht gerecht. In der Anhörung im Landtag im Februar haben sich so gut wie alle eingeladenen Expertinnen und Experten kritisch geäußert. Das gilt auch für die hessischen Universitäten und die Praktikerinnen und Praktiker an den Ausbildungsschulen, die letztendlich die Lehrkräftebildung unter widrigen Umständen mit Leben füllen.“

„Das Land verweigert den angehenden Grundschullehrkräften eine angemessene Ausbildung“

Was die erste Phase der Lehrkräftebildung anbelangt, bleibt es für das Lehramt an Grundschulen ebenso wie für das Lehramt an Haupt- und Realschulen bei einer deutlich kürzeren Regelstudienzeit. Kyra Beninga, die Ko-Sprecherin der Studierenden in der GEW Hessen ist und an der Goethe-Universität Lehramt studiert, erinnerte daran, dass in fast allen anderen Bundesländern mit der Einführung eines Praxissemesters auch eine Verlängerung der Regelstudienzeit einherging: „Hessen hält leider an seinem Sonderweg fest. Obwohl allgemein bekannt ist, dass gerade an den Grundschulen die pädagogischen Anforderungen zugenommen haben, verweigert das Land den angehenden Grundschullehrkräften eine angemessene Ausbildung. Von sieben Semestern Regelstudienzeit ist das Prüfungssemester und – in Zukunft hessenweit – das Praxissemester abzuziehen. In nicht mehr als fünf Semestern ist es nicht möglich, die erforderlichen theoretischen Grundlagen in drei Unterrichtsfächern, den Bildungs- und Gesellschaftswissenschaften sowie der Grundschulpädagogik und -didaktik unterzubringen. Darunter leidet die Qualität der Ausbildung.“

Kleine kosmetische Verbesserungen, etwa bezüglich eines Lehramtsstudiums oder des Vorbereitungsdienstes in Teilzeit, könnten letztendlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Landesregierung sich weigere, die notwendigen Konsequenzen aus den gestiegenen Anforderungen zu ziehen. Die Studiendauer müsse zwingend für alle Lehrämter angeglichen werden.

Auch hinsichtlich des Vorbereitungsdienstes bestehen laut Christina Nickel die altbekannten Probleme fort. Sie ist Ausbilderin an einem Studienseminar und Ko-Leiterin des Referats Aus- und Fortbildung der GEW Hessen. Die zweite Phase der Lehrkräftebildung ist in Hessen in kleinteilige Module fragmentiert, so dass die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst von Anfang an einem regelrechten „Prüfungs- und Bewertungsmarathon“ ausgesetzt seien: „Während wir den angehenden Lehrkräften eine pädagogische, ganzheitliche Herangehensweise vermitteln, die auf die Stärken und Potentiale der Einzelnen blickt, werden sie selbst nach entgegengesetzten Grundsätzen behandelt. Es mangelt bislang an einer durchgehenden Begleitung durch die Ausbilderinnen und Ausbilder. Ebenso fehlen bewertungsfreie Räume zum Ausprobieren und zur Reflexion.“

Eine grundlegende Reform des Vorbereitungsdienstes und eine Überwindung des modularen Systems, wie sie die GEW in ihrer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme vorgeschlagen hat, bleibe leider aus. Auch was die Fort- und Weiterbildung als dritte Phase anbelangt, sind nach Auffassung von Christina Nickel keinerlei Fortschritte zu erkennen. News4teachers

„Weder bedarfsdeckend noch bedarfsgerecht“: Was bei der Lehrerausbildung schief läuft – ein Debatten-Beitrag

 

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Markus Webber
1 Jahr zuvor

Während eines Schulpraktikums in Hessen musste ich einen Bericht verfassten, der 30 Seiten umfasste, und dieser Bericht muste einige Tage nach Ende des Praktikums abgegeben werden. Die Folge war, dass wir nachmittags nur mit dem Verfassen dieses Werks beschäftigt waren, aber nicht die Zeit hatten, über die besuchten Unterrichte nachzudenken und für den Beruf hilfreiche Literatur zu lesen. So kann man es natürlich auch verhindern, dass man etwas Sinnvolles für den Lehrerberuf lernt. Hauptsache die Bürokratie siegt. Lehramt studiert man dann doch lieber in einem anderen Bundesland.

fabianBLN
1 Jahr zuvor

„Was die erste Phase der Lehrkräftebildung anbelangt, bleibt es für das Lehramt an Grundschulen ebenso wie für das Lehramt an Haupt- und Realschulen bei einer deutlich kürzeren Regelstudienzeit.“

Das finde ich gut so. Die erste Phase kann gekürzt werden auf maximal 4 Jahre, am besten auf 3. Das Referendariat sollte 2 Jahre bleiben. Andere schrieben das auch schon, ich weiß. Ich schließe mich an.

Im Idealfall dauert die Lehrerausbildung dann nur noch 5 Jahre statt 7.

Gladiole
1 Jahr zuvor
Antwortet  fabianBLN

Ich verstehe die Forderung einer Kürzung des universitären Anteils in der Lehrkräfteausbildung nicht. Ich habe meine beiden Unterrichtsfächer sehr gerne studiert und mehr Backgroundwissen erfahren. So habe ich einen tieferen Einblick in meine Fachdisziplinen erworben, kann mehr fachsystematische Querverbindungen aufzeigen und in LKs zudem auch studienvorbereitend und -beratend arbeiten.