HEILBRONN. Zwei Studentinnen des Fachs „Software-Engineering“ mit Schwerpunkt „Games Engineering“ berichten…. Klingt komisch? Mit Rollen-Klischees in der Informatik wollen Tabea Leibl und Karen Hofele aufräumen, um mehr junge Frauen zu einer Karriere in der Software-Entwicklung zu ermutigen.
Mädchen für MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik) begeistern: Zahllose Initiativen in unterschiedlichsten Konstellationen von Trägerinnen und Trägern aus Wirtschaft und Politik haben sich genau das zum Ziel gesetzt. Sollen damit Mädchen und jungen Frauen grundsätzlich lukrative Berufsfelder erschlossen werden, geht es aber nicht zuletzt darum, dem grassierenden Arbeitskräftemangel in MINT-Bereich entgegenzuwirken.
Der in Zahlen messbare Return on Investment allerdings bleibt zweifelhaft. Zwar steigt etwa die Anzahl an Einschreibungen in der Informatik an Hochschulen insgesamt in den letzten Jahren immer weiter an – der Frauenanteil unter den Erstsemestern bleibt dabei jedoch kontinuierlich bei ungefähr einem Viertel. Frauen sind in Informatik-Hörsälen weiter stark unterrepräsentiert und Klischees von der „Männerdomäne IT-Branche“ halten sich hartnäckig.
“Oh, du studierst Informatik? Aber das ist doch nur Mathe und eher für Jungs geeignet.” solche Sätze hören auch Tabea Leibl und Karen Hofele nicht selten, wenn sie anderen von ihrem Studium und ihrer großen Leidenschaft berichten. Beide studieren an der Hochschule Heilbronn Software Engineering (SE) mit dem Schwerpunkt “Games Engineering”. Sie stehen kurz vor ihrem Bachelor-Abschluss und haben wenig Verständnis für die Verwunderung hinsichtlich ihrer Studienwahl.
Beide würden gerne mehr junge Frauen ermutigen, ein MINT-Studium anzufangen: “Niemanden interessiert das Geschlecht. Weder an der Hochschule noch in der Arbeitswelt. Wir interessieren uns alle für das gleiche Thema. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Informatik-Studiengang im Bekanntenkreis sehr positiv wahrgenommen wird“, fast etwa Karen Hofele zusammen. Im Gespräch erzählen beide, warum ihre Studienwahl auf SE gefallen ist und wie sie ihr Gaming-Projekt gemeistert haben.
Wie seid ihr auf das Studium gekommen und welche Erwartungen hattet ihr?
Karen: Ich bin mit Computerspielen groß geworden und habe mich schon sehr früh für PCs, Konsolen und Spiele interessiert. In der Schule war recht schnell klar, dass ich später etwas mit Informatik machen möchte. Welche Vertiefungen oder Spezialisierung es in diesem Bereich gibt, wusste ich damals nicht. Mittels Internetrecherche habe ich dann den Studiengang Software Engineering mit dem Schwerpunkt “Games Engineering” gefunden und das war für mich dann so etwas wie der Jackpot. Ich habe das Studium ohne konkrete Erwartungen begonnen – ich wollte es einfach ausprobieren und war neugierig. Der Einstieg fiel mir dank vieler netter Kommilitoninnen und Kommilitonen wirklich leicht.
Tabea: Mein Werdegang war etwas anders als der von Karen. Ich hatte in der Schule überhaupt keinen Spaß an Informatik und für mich war es damals undenkbar, etwas aus dem IT-Bereich zu studieren. Meine Bewunderung für Menschen, die Programmieren können, war in der Schule immer riesengroß. Ich selbst hatte mehr den Standpunkt vertreten: “So was kannst du nicht.” Beruflich zog es mich daher in die Gesundheitsbranche. Ich habe ein Praktikum mit anschließender Ausbildung im Labor gemacht. Die Ausbildung verlief leider nicht nach meinen Vorstellungen und ich suchte nach einem Neuanfang, den ich durch meinen Freundeskreis gefunden hatte: Das Software-Engineering-Studium. Konsequent den Beruf zu wechseln und in einem ganz anderen Bereich neu zu starten, erforderte Mut. Ich habe mich an damaligen Freunden orientiert und wir haben gemeinsam den Schritt gewagt – ohne jegliche Programmierkenntnisse. Viele wissen nicht, dass wir hier in Heilbronn Software Engineering studieren können, ohne vorher eine Zeile Code programmiert zu haben. Das Studium ist ja zum Lernen da. Die Angst, bei der Programmierung am Anfang nicht mitzukommen oder abgehängt zu werden, ist völlig unbegründet. Das Programmierhandwerk wird von Grund auf gelehrt.
Gaming und Mädchen ist ja nicht auf den ersten Blick eine gewohnte Kombination: Wie war das für euch im Kreise der Jungs, die im SE-Studiengang ja aktuell noch deutlich in der Überzahl sind?
Karen: Darüber habe ich mir ehrlich gesagt keinen großen Kopf gemacht. Als Studentin unter zahlreichen Kommilitonen muss man sich nicht verstecken, sondern darf auch ruhig aus sich herausgehen. Aber selbst wenn einem dieses Öffnen etwas schwerer fällt: Vorbehalte gegenüber “Mädchen und Informatik“ kommen viel mehr von außerhalb, werden in der Familie oder im Freundeskreis konstruiert. Im Studiengang, bei den Mitstudierenden oder den Dozierenden, wird dieser Aspekt gar nicht thematisiert.
Sprechen wir über euer Projekt aus dem Schwerpunkt “Games Engineering“. Bei eurem Computerspiel geht es um den Kampf gegen einen scheinbar unbesiegbaren Endgegner – der Klassiker. Habt ihr euch bei dem Spiel, den Charakteren oder auch den Waffen von einem Lieblingsspiel inspirieren lassen oder woher kamen die ganzen Ideen für die Spielewelt?
Karen: Zu der Zeit, als die Projektphase gestartet ist, kam das Spiel “Elden Ring“ auf den Markt. Vielen in der Gaming-Szene sicher bekannt. Da gab es einen großen Hype rund um das Spiel. Wir beide haben “Elden Ring“ natürlich ebenfalls gespielt und uns auch an der ein oder anderen Stelle bei der eigenen Spieleprogrammierung inspirieren lassen. Unser Spiel haben wir ganz bewusst so entwickelt, dass der Kampf schwer ist. Das Genre unseres Videospiels nennt sich “Soulslike” und die Spielereihe, die dieses Genre geprägt hat, heißt “Dark Souls”.
Ist es schwer, ein Spiel wie dieses zu programmieren?
Tabea: Ja! (beide lachen). Man muss sich sehr gut überlegen, welche Komponenten wirklich für das Spiel wichtig sind und was letztendlich “nice to have” ist. Wir hatten für die Umsetzung nur ein Semester Zeit. Da gilt es sich zu beschränken, auch wenn es in der Euphorie des Programmierens schwerfällt. Nach dem Projektende gab es noch offene Punkte, die wir eigentlich in der Projektphase umsetzen wollten, aber am Ende aus Zeitgründen nicht einbauen konnten. Wenn man wie wir ein so großes und umfangreiches Spiel bei der Entwicklung zum Vorbild hat (“Elden Ring”), fällt es schwer, auf Inhalte zu verzichten.
Karen: Eine wichtige lesson learned war sicher zu akzeptieren, dass wir nur ein zweiköpfiges Projekt-Team waren, das vergleichsweise wenig Zeit für die Bearbeitung hatte. Hinter den großen, bekannten Spielen auf dem Markt stecken oft sehr viel mehr Entwicklerinnen und Entwickler, die über Jahre ein Computerspiel programmieren. Wir beide waren während der Projektphase häufig an dem Punkt, wo die Behebung eines einzelnen Fehlers für das gesamte Spiel wichtiger war als eine coole Animation. Der Projektplan wurde auch einige Male neu aufgesetzt. Ab und zu half dann auch ein Post-it am Bildschirm mit dem Wording: “Denk dran, du hast nur diese wenigen Wochen Zeit!“ Hier steckt wirklich harte Arbeit drin, die sich am Ende aber mehr als bezahlt gemacht hat.
Stichwort “Harte Arbeit“: Welchen “Endgegner” in der Projektphase musstet ihr selbst bekämpfen? Welche Hilfestellungen gibt es bei so einem komplexen Projekt?
Karen: Wir hatten wöchentliche Meetings mit unserem Betreuer, Professor Reichert und haben von unserem Entwicklungsstand berichtet bzw. regelmäßig unsere Updates mitgeteilt. Wir haben gemeinsam Fortschritte, aber auch die Probleme besprochen.
Tabea: Hilfestellung gab es dann immer in Form von Denkanstößen, wie wir diese Probleme lösen können. Wir sollten ja selbst aktiv werden und das hat super geklappt. Die Meetings haben uns immer weitergebracht. Der härteste Gegner war über die ganze Zeit sicher unser Anspruch an das Spiel versus die Projektlaufzeit. Letztendlich würde ich sagen, war es ein knapper Sieg für uns! (lacht).
Wie sind eure Pläne nach dem Abschluss?
Tabea: Ich sehe meine Zukunft tatsächlich nicht in der Gaming-Branche, sondern tendiere mehr in Richtung App-Entwicklung. Die Gaming-Branche ist sehr anspruchsvoll und verlangt dabei sehr, sehr viel Flexibilität. Das muss jede und jeder individuell entscheiden, wo die Grenze liegt. Deshalb Respekt an Karen, dass sie dort ihre Zukunft sieht. Ich finde das toll, aber es ist einfach nicht meine bevorzugte Art zu arbeiten.
Karen: Meine Pläne sind noch nicht ganz konkret, aber ich möchte tatsächlich sehr gerne tiefer in die Gaming-Branche eintauchen. Ich habe bereits mein Praxissemester in einer kleineren Spieleentwicklungsfirma in Ludwigsburg absolviert und konnte dort wertvolle Einblicke in den Arbeitsalltag einer Spieleentwicklerin gewinnen. Ich gehe total in dieser Thematik auf. Jetzt richte ich den Fokus aber erst einmal auf die Abschlussarbeit und dann gehe ich gezielt auf Kontakte zu, die ich zum Beispiel über Besuche der Gamescom-Exkursion im Studiengang geknüpft habe. Diese Exkursion ist übrigens ein absolutes Highlight während des Studiums. Generell haben wir sehr viele Möglichkeiten, in Kontakt zu treten. Zum Beispiel dürfen wir auch auf die Fachbesucher-Tage. Dabei können wir exklusiv und vor allen anderen die neusten Trends in der Gaming-Branche austesten.
Was würdet ihr interessierten Mädchen raten, die Vorbehalte gegen einen Informatik-Studiengang haben?
Karen: Einfach machen! So bin auch ich das Studium angegangen. Hätte ich diese Chance nicht ergriffen, würde ich das heute sicher bereuen. Natürlich kann mal ein Plan schief gehen, aber auch das ist kein Problem und ein Studiengangwechsel könnte die Lösung sein.
Tabea: Als Absolventin des Studiengangs Software Engineering kann man später in ganz unterschiedlichen Branchen arbeiten – das ist ja das Tolle! Die Technologien aus dem Games Engineering, die Programmiersprachen, das ganze Projektmanagement und alle nötigen Softskills, die du lernst, werden ja nicht nur in der Spieleentwicklung benötigt. Jedes Unternehmen aus der Digitalbranche braucht Expertinnen und Experten wie uns! Daher freue ich mich jetzt auf alles, was nach dem Studium auf mich wartet.
(Interview: Vanessa Offermann)
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“Games Engineering” ist natürlich was ganz wichtiges, und was richtig praktisch nützliches. Wie konnte man nur früher Spiele ohne Computer spielen! Das war ja unzumutbar! In dieser hektischen Welt hat niemand mehr Zeit für irgendwas, aber für stundenlange Computerspiele ist immer Zeit. Und Geld ist ja so knapp wegen der Energiepreise, aber für Computerspiele haben alle immer ausreichend Geld. Gut für die Aktien der IT-Industrie.
Man könnte ketzerisch fragen, ob die Frauen aus dem Artikel tatsächlich Ahnung von (Hauptfach-) Informatik haben und tatsächlich programmieren können. “Coden” ist nicht programmieren, weil nur Zusammenschieben vorhandener Bibliotheken.
Man schiebt keine Bibliotheken zusammen, Georg!
Aber ernsthaft, man kann sich viel Code aus Git holen und anpassen und auch der Copilot kann viel Routine Task beim coden übernehmen!
Zumal es einen Unterschied zwischen Software Engineering und Coden/programmieren gibt.
Passt, nicht zu laut sagen, den Unterschied kennen im deutschsprachigen Raum viele noch nicht. So ruinieren Sie meine Chancen darauf, zukünftig beim Lesen von Artikeln besserwisserisch zu smirken, äh, schmunzeln 🙁
Man könnte auch ketzerisch fragen, ob Sie den Unterschied zwischen Informatik und Programmieren kennen (offensichtlich nicht).
Wie kommen Sie auf die wilde Vermutung, dass Informatikstudentinnen nicht programmieren können? Weil der Studiengang nicht Informatik heißt? Software Engineering ist identisch mit dem klassischen Informatikstudium, mit dem Unterschied, dass der Schwerpunkt mehr auf dem Erstellungsprozess von Software als auf der theoretischen Informatik liegt. Damit genau dem worauf Sie ja so viel Wert legen…
“Niemanden interessiert das Geschlecht” fasst es vollkommen richtig zusammen, womit der gesamte Bereich der Gender Studies, des Regenbogens usw. zusammenfallen lässt. Bitte abschaffen und gleich alle Teilbereiche in anderen Studienbereichen wie z.B. genderspezifische Aspekte in der Informatik” gleich mitnehmen. Danke.
Ich kann die Werbung für Mint-Fächer nicht mehr hören.
Ja, in Physik, Mathe und Informatik gibt es mehr Männer als Frauen.
Im Gegenzug ist Bio und Chemie zu 2/3 mit Frauen besetzt bei den StudentInnen.
In Chemie, Biologie und Physik wartet niemand der einen einstellen möchte. Hier noch mehr junge Menschen hinzulocken ein Fehler, sonst werden sie wie so viele, die Quereinsteiger von morgen. So wie viele meiner KollegInnen und ich selber.
Und bitte lasst uns Mädels doch das machen was wir wollen, wir haben keine angst vor Mathe, nur keinen Bock drauf. Ist das nicht auch das Recht einer Frau? Was sollen diese Berichte bewirken? Wir Frauen studieren die Dinge die uns interessieren, wir entscheiden uns aktiv gegen bestimmte Studiengänge. Und das ist auch ok so.
Nur dann dürfen sich die Frauen nicht über den Gender Wage Gap beschweren.
Medizin und sämtliche Lehramtsstudiengänge sind auch mindestens zu 50% weiblich!
Bei Psychologie und Soziale Arbeit sind es ca.. 80% Frauen und selbst bei BWL und Jura gibt es je nach Uni/Hochschule 40 bis 70% Frauen im Studiengang!
Bei Informatik und Maschinebau sind es eher 10% Frauen und der Rest Männer, aber ich sehe das wie Shanti! Die Mädels sollen selber bestimmen was sie studieren wollen!
Ich bin ein Mann und hätte auch keinen Bock Elektrotechnik zu studieren, weil es mich nicht interessiert!
Soso, keine Jobs mit Chemie? 🙂
Wie ist denn so das EINSTIEGsgehalt eines chemischen Ingineurs? 😀
Über so ein Lehrergehalt wird der sich jedenfalls kaputtlachen.
Oder eines echten Informatikers (=kann grundständig programmieren, “Management of” und “coding” und “Control” und so Krams zählt NICHT)?
Ansonsten stimme ich Ihnen völlig zu – jeder Mensch sollte frei und unbeeinflusst entscheiden, was dieser konkrete Mensch studieren will.
Selbstverständlich dazu gehört auch, dass Frauen wohl SELBST am besten wissen, wo ihre Neigungen und Interessen liegen.
Im Prinzip richtig, jede/r soll machen, was ihm/ihr Spaß macht. Aber bitte nicht verallgemeinern (“WIR Mädels haben keinen Bock auf MINT”). Es gibt sehr wohl auch Mädels, die darauf Bock haben und gar nicht so wenige. Ich persönlich kenne jedenfalls schon mehr als eine. Aber vielleicht ist das bei uns im Osten anders? Man könnte ja dazu mal eine Studie machen (Ost-West- Vergleich).
Die Studierendenstatistik der FU Berlin weist für das WS 2020/21 an Zahlen aus: 37.909 insgesamt, davon 23.127 weiblich, das sind über 60 %. In der Psychologie sind 75 % weiblich, in der Veterinärmedizin ca. 86 %, in der Pferdewissenschaft über 96 %, in der Informatik nur ca. 20 %. Sollen wir jetzt über diese Disparität jammern? Und wie sollte man das ausgleichen? Durch bürokratischen Zwang?