MÜNCHEN. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) fordert gemeinsam mit der Deutschen Kinderhilfe Schulen auf, die Digitalisierung voranzubringen – auch um betroffene Kinder und Jugendliche besser unterstützen zu können. Die sollten digitale Hilfsmittel im Prüfungen nutzen dürfen.
Die Diagnose einer Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung) oder Dyskalkulie (Rechenstörung) führt bei vielen Familien zur Sorge, dass ihr Kind den schulischen Anforderungen nicht gewachsen ist und so die Bildungsperspektiven eingeschränkt sind. „Wir wollen Eltern Mut machen und aufzeigen, dass es bereits heute alle notwendigen digitalen Hilfen gibt, mit denen man die Beeinträchtigungen durch eine Legasthenie oder Dyskalkulie gut ausgleichen kann“, sagt Rainer Becker, Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe. „Kinder mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen dürfen in der Schule auch Hilfsmittel nutzen, ebenso sollte es bei einer Legasthenie und Dyskalkulie sein“, fordert Becker.
Legasthenie oder Dyskalkulie sind angeboren und nicht durch äußere Umstände entstanden. Sie führen zu langanhaltenden Problemen im Schriftspracherwerb oder beim Erlernen des Rechnens. Die betroffenen Menschen sind nicht in ihren fachlichen Kompetenzen eingeschränkt, sondern benötigen eine individuelle Förderung und Unterstützung, um ihre Beeinträchtigungen im Lesen, Schreiben oder Rechnen bestmöglich zu überwinden. Trotzdem bleibt es für sie immer noch eine große Hürde, die schulischen Anforderungen zu erfüllen.
„Wir finden es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler lesen, schreiben und rechnen lernen, aber um ihre Teilhabe am Unterricht und den Prüfungen nicht einzuschränken, muss die zusätzliche Nutzung digitaler Hilfsmittel selbstverständlich werden“
Dieser seelische Druck führt dann oftmals zu psychosomatischen Folgeerkrankungen, die jungen Menschen haben Versagensängste und können ihre Stärken nicht ausreichend entwickeln. „Von klein auf unterstützen wir unsere Kinder bestmöglich, damit sie gesund heranwachsen und geben ihnen altersgerechte Unterstützung. Nur in der Schulzeit werden ihnen die notwendigen digitalen Hilfen verwehrt, die bereits heute problemlos im Schulalltag eingesetzt werden können“, bedauert Tanja Scherle, Bundesvorsitzende des BVL.
Im Berufsleben erwartet man von Mitarbeitenden, dass sie den Umgang mit einem PC und gängigen Office-Lösungen beherrschen, aber in der Schule dürfen diese Techniken kaum genutzt werden. Viele Software-Programme enthalten heute standardmäßig Vorlese-, Spracherkennungs- und Kalkulationsprogramme. Texte zu lesen und zu bearbeiten oder Kalkulationen durchzuführen, stellen durch die technischen Hilfsmittel kein Problem mehr dar. Menschen mit einer Legasthenie oder Dyskalkulie können so erfolgreich in jedem Beruf arbeiten.
„Wir finden es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler lesen, schreiben und rechnen lernen, aber um ihre Teilhabe am Unterricht und den Prüfungen nicht einzuschränken, muss die zusätzliche Nutzung digitaler Hilfsmittel selbstverständlich werden“, sagt Scherle. Die Digitalisierung schreitet in unserer Gesellschaft und Arbeitswelt mit großen Schritten voran. Um Schülerinnen und Schüler auf die Technik vorzubereiten, sollten sie bereits heute damit in der Schule arbeiten. Erfreulich ist, dass dadurch die Beeinträchtigungen durch eine Legasthenie oder Dyskalkulie gut kompensiert werden können, Lehrkräfte entlastet werden und zukünftige Arbeitgebende technisch gut versierte Mitarbeitende erhalten. „Wir bilden heute die Fachkräfte von morgen aus und unsere Schulen haben dabei eine hohe Verantwortung, alle auf die zukünftigen Anforderungen der Digitalisierung vorzubereiten“, sagt Rainer Becker. News4teachers / mit Material der dpa
Es werden Äpfel mit Birnen verglichen. Die Hörhilfe und das Vorleseprogramm kompensieren Sinne, ein Taschenrechner geistige Kompetenzen. Bei einem Rechentest würde er die zu testenden Kompetenzen nicht mehr testen. Wie man das lösen kann, weiß ich nicht. In NRW gibt es spätestens in der Oberstufe ohnehin keinen Nachteilsausgleich für Dyskalkulie mehr.
Die “geistigen Kompetenzen” sind letztendlich großteils auch “nur” organisch determiniert (auch das Gehirn ist ein Organ). Warum wird die “Hörschwäche” kompensiert, die “Gehirnschwäche” aber nicht?
Augen und Ohren sind Empfänger von Informationen, mehr nicht. Faktisch sind die nur ein Werkzeug. Das Gehirn ist der Motor, die CPU o.ä..
Ok, weitere Vorschläge:
Sind schließlich auch alles persönliche Veranlagungen, für die man nichts kann. Lassen sich sicherlich auch alle ärztlich und / oder psychologisch diagnostizieren!
Gerechtigkeit für alle! Jetzt! Sofort!
Es gibt keinen Anlass, das ideologische Gedankengebäude, das hinter obigem Vorschlag steckt, durch eine solche Reduktion aufs Absurde lächerlich zu machen. Letztlich bagatellisiert man es dadurch nur, und verschleiert, wie weit der Neoliberalismus schon in alle Bereiche des Alltagslebens eingedrungen ist.
Es gibt diese schöne Grafik, die den Unterschied zwischen den englischen Begriffen “equality” (Chancengleichheit) und “equity” (Ergebnisgleichheit) zu illustrieren sucht. In obigem Artikel ist das Narrativ dasselbe: Ziel ist es, dass alle ein identisches Ergebnis erreichen (z.B. das Abitur), unabhängig davon, wie ihre Kompetenzen in bestimmten (und hier eben: ganz zentral relevanten) Kernbereichen ausgeprägt sind: man baut ihnen so lange Leitern, bis sie über die Messlatte hüpfen können. Das ist legitim und sogar geboten, wenn es um Grundsatzfragen eines Lebens in Würde geht (der Sozialstaat funktioniert ja genau so, und auch Gefängnisinsassen haben aus guten Gründen Ansprüche auf ein Mindestmaß an Lebensstandard und gesellschaftlicher Teilhabe).
Ethisch problematisch wird es aber, wenn es um ein Berechtigungswesen geht, in dessen Rahmen unsere Schüler*innen bei Prüfungen ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen sollen, und ein Zeugnis erhalten, aus dem dann Rechtsansprüche (z.B. auf einen Studienplatz) entstehen. Man käme dann in die Lage, dass zwei Kandidat*innen je ein Zeugnis vorlegen, auf dem dieselben Aussagen über z.B. Lese- und Rechenfähigkeiten stehen… aber das eine bezieht sich auf eine Person, die, faktisch über diese Fähigkeiten nicht eigenständig, ohne Hilfsmittel, nicht verfügt, aber durch externe Unterstützung auf ein bestimmtes nominelles Kompetenzniveau gehievt wurde, während die andere sich den Fähigkeitsstand, der im Zeugnis attestiert ist, erst über die Schulkarriere mühsam erarbeiten musste, was hart gewesen sein mag, aber immerhin erfolgreich und (in Grenzen) nachhaltig. Zwei sehr unterschiedliche Bildungsverläufe, zwei sehr unterschiedliche Fähigkeitsprofile, eine Note, und, darauf kann es hinauslaufen, völlige Intransparenz über die Hintergründe.
Man wird sehen müssen, wie die Sache ausgeht. Einstweilen scheint sich das einmal mehr die neoliberale Perspektive durchzusetzen: die Schule wird zunehmend nach dem “equity”-Paradigma umgestaltet, sie stellt also allen Schüler*innen die für sie passenden Leitern zur Verfügung, damit sie alle dasselbe Ziel erreichen können …und wer es dann trotzdem nicht packt, dem rechnet sie das Scheitern komplett selbst zu: “wir haben unsere Schuldigkeit getan, Du hättest Dich halt mehr anstrengend müssen. Selber schuld!”.
Zustimmung meinerseits.
Gerade die Digitalisierung bietet aber auch Potenzial hinsichtlich der individuellen Förderung, nicht nur der Kompensation.
Je nach Bedarf ließen sich also Übungen, Hilfestellungen und Verbesserungsszenarien anwenden, anstatt bspw. bei Office geistlos die Autokorrektur durchzuklicken.
Mal schauen, was sich bspw. mit KI hier noch machen lässt. Nutze dieses Jahr Fiete.ai und bin gespannt auf die Ergebnisse beim Schreibprozess 🙂
Gerade Digitalisierung und insbesondere KI wird dazuführen, dass nach den Kreativ-Schreibenden geprägt durch “Schreiben-Nach-Hören” (und Corona) natürliches Schreiben nicht nur ein Kulturgut sondern eine aussterbende Kunst wird.
Mal sehen, ob sich Schulen es leisten können werden, gegen den Druck der Wirtschaftlichkeitsforderung und Elternschaft beim Unterrichtsmaterial wieder auf Handschrift-Training zu setzen und weniger auf digital Gelöstes….
In meinem Beispiel ging es ausdrücklich nicht um Autokorrektur.
Schade, dass Sie es nicht lasen
Mich stört an dem Artikel, dass wiedermal LRS gleichgesetzt wird mit Legasthenie. Es ist ein Unterschied !
Montessori-Materialien bei derartigen Kindern einsetzen
und die Pädagogik der Aufklärung durch Mitschüler aus
diesem Umfeld anwenden.
Zusätzlich gemeinsames Singen von Liedern,
die die Sprachvermittlung potenzieren und das
gemeinsame Unterstützen im Lernverhalten verbessern.