„Diese Orientierungshilfe ist extrem wertvoll“: Wie der Navigator BD die digital geprägte Schulentwicklung erleichtert – ein Interview

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SOLINGEN. Die digitale Transformation von Schule kommt in Deutschland weiterhin nur schleppend voran. Mit dem Ziel, die Verantwortlichen im Entwicklungsprozess zu unterstützen, hat das gemeinnützige Forum Bildung Digitalisierung (FBD) im Sommer einen wissenschaftlich erarbeiteten Orientierungsrahmen vorgelegt: den „Navigator Bildung Digitalisierung“ (News4teachers berichtete). Aufgeteilt auf drei strategische Handlungsfelder, „Haltung zur Kultur der Digitalität“, „Digital-förderliche Rahmenbedingungen“ sowie „Digital-didaktische Konzepte und Qualifizierung“, bietet dieser 21 Bereiche, in denen Veränderungsprozesse relevant sind. Wie das Instrument in der Praxis ankommt, das wollte News4teachers von Anna Fröhlich wissen. Die Schulleiterin der Grundschule Westersburg in Solingen hat den Navigator BD für ihre Schule entdeckt – und auf dieser Basis mit ihrem Team bereits erste Veränderungen umgesetzt.

In der Praxis hilft der Navigator BD Schulleiterin Anna Fröhlich, den Durchblick zu behalten – trotz der zahlreichen Herausforderungen im Zuge der schulischen Digitalisierung. Illustration: Shutterstock

News4teachers: Frau Fröhlich, geben Sie uns zum Einstieg bitte einen Überblick: Wie ist der Stand der digitalen Transformation an Ihrer Schule?

Anna Fröhlich: Unterm Strich würde ich sagen, sind wir auf einem sehr, sehr guten Weg. Wenn wir den Navigator BD einmal als Blaupause darüberlegen, finden wir in allen drei Säulen schon ganz gute Bausteine. Das liegt daran, dass wir als MINT-Profilschule schon vor lange Zeit begonnen haben, die Digitalisierung in die Schulentwicklung einzubeziehen.

News4teachers: Wie spiegelt sich das beispielsweise in der Praxis wider?

Fröhlich: Wir sind jetzt zu etwa 95 Prozent digitalisiert und das zeigt sich in vielen Bereichen unseres Schulalltags. Wir haben eine zentrale digitale Kommunikationsplattform für alle an der Schule Beteiligten, über die zum Beispiel der gesamte Nachrichtenaustausch läuft. Die Plattform dient uns auch als Dokumentenablage, sodass wir asynchron arbeiten können. Das bedeutet, wir müssen nicht immer physisch im Schulgebäude sein, um auf Informationen zuzugreifen oder uns abzustimmen. Dazu gehören verschiedene digitale Tools, wie ein gemeinsamer Schulkalender, in den jeder Termine eintragen kann, und mit dem Fehlzeiten-Tool können Eltern über ihr Endgerät ihr Kind digital krankmelden. Das macht den Prozess für alle Beteiligten viel einfacher.

Dann gibt es noch ein Ressourcen-Tool, das ich wirklich großartig finde. Damit können wir beispielsweise Räume oder technische Geräte asynchron buchen. Wir haben sogar eine menschliche Ressource eingebunden – unseren Alltagshelfer. Wir haben das vorher mit ihm besprochen, weil es erst einmal ungewöhnlich klang, eine Person als „Ressource“ zu buchen. Aber es bringt viele Vorteile, da er genau weiß, wo er gebraucht wird und welche Aufgaben auf ihn zukommen, sodass er sich gut auf seine Einsätze vorbereiten kann. Das Einzige, was wir noch nicht vollständig integriert haben, ist die E-Mail-Kommunikation. Diese läuft aktuell parallel zur Plattform. Das ist für uns aber völlig in Ordnung, und wir haben uns damit arrangiert.

Für uns ist die Digitalisierung ein großer Gewinn. Besonders beim Kalender schätze ich, dass jeder sehen kann, wer wann wo ist. Dadurch haben wir eine große Transparenz im Team. Die Kollegen wissen zum Beispiel auch, welche Termine ich als Schulleitung habe oder wann wir Besuch empfangen. Das sorgt für ein sehr offenes und gut strukturiertes Arbeitsumfeld.

„Gleichzeitig hilft der Navigator dabei, Schwerpunkte für die weitere Schulentwicklung zu setzen.“

News4teachers: Das, was Sie jetzt beschrieben haben, hat Ihre Schule bereits ohne den Navigator BD umgesetzt. Inwiefern bietet er auf dem Stand, auf dem Sie sich aktuell schon befinden, noch Unterstützung?

Fröhlich: Der Navigator BD bietet vielfältige Unterstützungsformen. Indem er den Transformationsprozess auf 21 Bereiche herunterbricht, ermöglicht er Schulen, sich einen Überblick über den Stand der eigenen Entwicklung zu verschaffen. Für Schulen, die schon weiter fortgeschritten sind, ist damit natürlich auch die Genugtuung verbunden, das bisher Erreichte zu reflektieren und an einige Themenfelder einen Haken zu setzen. Gleichzeitig hilft der Navigator dabei, Schwerpunkte für die weitere Schulentwicklung zu setzen. Diese Orientierungshilfe ist extrem wertvoll.

Bis vor kurzem empfand ich den Begriff „Transformation“ unglaublich groß und als Aufgabe abschreckend. Der Navigator hilft, diesen Prozess in kleine Schritte zu unterteilen und auf die Bedarfe der eigenen Schule anzupassen. Er unterstützt zudem den Austausch mit anderen Schulen über diesen Prozess. Die Themenfelder bieten Anknüpfungspunkte, Ideen auszutauschen und Möglichkeiten zu finden, ressourcenschonend zusammenzuarbeiten.

News4teachers: Wie muss ich mir das vorstellen, dass Sie die Themenfelder des Navigators auf Ihre Schule übertragen haben?

Fröhlich: Die digitale Transformation steht und fällt mit der „Haltung zur Kultur der Digitalität“, die das erste Handlungsfeld des Navigators BD bildet. Ohne eine passende Haltung können wir auf die anderen Felder gar nicht eingehen. Teil dieses Handlungsfelds sind die Themen Gemeinschaftlichkeit, Partizipation und Kooperationsverständnis. Vor diesem Hintergrund haben wir in der Steuergruppe entschieden, das Kollegium stärker in die Schulentwicklung einzubeziehen. Wir als Schulleitungen sollten schon lange nicht mehr diejenigen sein, die allein darüber im stillen Kämmerlein entscheiden. Ich brauche diejenigen, die die Entscheidungen im Schulalltag umsetzen müssen.

Bereits vor zwei Jahren haben wir begonnen, vor den Gesamtkonferenzen Mikrofortbildungen auf freiwilliger Basis anzubieten. Die haben Anklang gefunden. In diesem Jahr wollen wir nun erstmals dieses Angebot nutzen, um darüber die Bedarfe der Kolleginnen und Kollegen abzufragen. Dafür bilden wir die Themen der Mikrofortbildungen auf einer digitalen Pinnwand ab und die Kleingruppen der einzelnen Fortbildungen stimmen über ein Ampelsystem ab, wie wichtig das Thema für die Schulfamilie ist. Rot bedeutet dabei: Eine halbe Stunde Mikrofortbildung zum Thema ist ausreichend. Gelb heißt: Das Thema hat Potenzial; es lohnt sich, das für die gesamte Schule in Betracht zu ziehen. Und Grün ist quasi der Alarmknopf: Dann müssen wir uns zügig überlegen, wie wir das ganze Kollegium zu diesem Thema schulen können.

Erstes Pilotprojekt gestartet

News4teachers: Welche weiteren Entwicklungsschwerpunkte haben Sie durch die Arbeit mit dem Navigator für Ihre Schule ausgemacht?

Fröhlich: Wir haben festgestellt, dass wir im Bereich Monitoring noch Nachholbedarf haben, also bislang noch zu wenig beziehungsweise nicht kontinuierlich genug unseren Entwicklungsprozess evaluiert haben. Wir haben daher kürzlich eine Standortbestimmung durchgeführt. Die Evaluationsfragebögen dafür haben wir zu Beginn eines Pädagogischen Tages ausfüllen lassen, sodass alle Lehrkräfte und OGS-Mitarbeitende die Zeit hatten, die Fragen zu beantworten.

Auf Basis dieser Rückmeldung haben wir in diesem Jahr ein erstes Pilotprojekt gestartet: In Jahrgang 4 setzen sich die Schülerinnen und Schüler nun pro Woche in einer ihrer vier Sachunterrichtsstunden ganz intensiv mit dem Bereich Medienkunde und Medienbildung auseinander. Dort bestand hoher Bedarf, die Kinder gerade mit Blick auf den Übergang auf die weiterführende Schule zu begleiten. Für die Medienstunde geben wir explizit keine Inhalte vor, sodass die Lehrkräfte individuell darauf eingehen können, was ihre Lerngruppe braucht. Treten beispielsweise verstärkt WhatsApp-Problematiken auf, können sie dort thematisiert werden. Einige Klassen haben die Medienstunde bislang zum Beispiel genutzt, um über Chancen und Risiken von KI zu sprechen. Das ist genau das, was wir wollen: Die Bedarfe der Kinder sollen im Mittelpunkt stehen. Das fällt auf fruchtbaren Boden, das konnten wir bereits feststellen, auch wenn das neue Schuljahr gerade erst einige Wochen alt ist.

News4teachers: Würden Sie den Navigator BD anderen Schulleitungen weiterempfehlen?

Fröhlich: Auf jeden Fall, der Navigator BD gibt Halt und Struktur – und das finde ich ganz wichtig, gerade für uns Schulleitungen. Mit ihm muss man nicht alles selbst entwickeln, sondern hat schon eine Blaupause, die man auf die eigene Schule legen kann. Und das ist eine total ressourcenschonende Art und Weise, die eigene Schulentwicklung voranzubringen. Da komme ich auch zu einem Punkt, den ich ganz wichtig finde: Der Navigator ist ein Handlungswerkzeug, der uns eine lange Zeit begleiten wird, uns immer wieder vor Augen führen darf, wo wir gerade stehen, denn Entwicklungen brauchen Zeit.

Und was nicht vergessen werden darf: Es handelt sich beim Navigator um ein Schulentwicklungsinstrument auf wissenschaftlicher Basis. Das ist entscheidend, denn Schulentwicklung sollte sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Ein weiterer Vorteil, den der Navigator in diesem Zusammenhang bietet: Ich muss mich nicht selbst durch die ganzen Studien arbeiten, die zum Navigator geführt haben, sondern erhalte die daraus gewonnenen Erkenntnisse durch den Navigator in kompakter Form. Damit spare ich mir den Arbeitsschritt, der mich sonst die meiste Zeit kostet, und kann viel schneller in die Umsetzung gehen. Das ist ja das, was Schulleitungen Spaß und Freude bereitet, warum wir uns für diesen Beruf entschieden haben, um Schule weiterzuentwickeln, gemeinschaftlich mit dem Team, was wir leiten und führen. Anna Hückelheim, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview. 

Der Navigator BD
Der Navigator Bildung Digitalisierung (Navigator BD) bietet einen systematisierten Überblick zum Stand der digitalen Transformation von Schule in Deutschland. Davon ausgehend identifiziert er – mit Blick auf die drei strategischen Handlungsfelder „Haltung zur Kultur der Digitalität“, „Digital-förderliche Rahmenbedingungen“ und „Digital-didaktische Konzepte und Qualifizierung“ – insgesamt 21 Themenfelder, die als Orientierung für zukünftige Entwicklungen dienen und ein systematisches Bildungsmonitoring der digitalen Transformation unterstützen können.

Entwickelt hat den Navigator BD – auf Initiative des Forum Bildung Digitalisierung – ein Team aus vier führenden Wissenschaftler:innen: Prof. Dr. Birgit Eickelmann (Universität Paderborn), Prof. Dr. Julia Gerick (Technische Universität Braunschweig), Prof. Dr. Uta Hauck-Thum (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Prof. Dr. Kai Maaz (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation).

Hier können Sie den Navigator kostenfrei herunterladen.

EdTech Next Summit: “Wir stehen erst am Anfang der digitalen Transformation in der Schule” – ein Interview

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5 Kommentare
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Mika
15 Tage zuvor

Ich war nach Lesen der Überschrift reichlich irritiert, was die Bundesbahn mit Bildung zu tun hat: heißt deren App doch DB Navigator. Ist die Verwechslung gewollt? So von wegen: das Chaos ist eh da, wir versuchen, einen Weg von A nach B zu finden?

anka
14 Tage zuvor

Schön, schön, diese Konzepte.
In der Praxis zerschellen sie dann am fehlenden technischen Support.
Konzepte kosten “nur” Arbeitszeit, aber nicht direkt Geld.
Anschaffungen von toller Hardware kostet dann Geld, aber eben auch die Wartung (support).
Und dafür ist dann keines mehr eingeplant. Können wir dann machen. Oder: “ein Ticket aufmachen“, mit ungewissem Ausgang.

Der Zauberlehrling
14 Tage zuvor
Antwortet  anka

Ja, lass uns ein Ticket “Support nicht erreichbar, weil nicht eingerichtet” aufmachen.

Die KMK bearbeitet das Ticket dann einen Tag nach dem Jüngsten Gericht.

Und bis dahin kommt ein Antwort-Fax: “Bitte antworten Sie nicht auf dieses Fax. Die Nummer wurde nach Versand gelöst, der Diktierende ist nach Diktat verreist.”

Konzepte helfen im Alltag nur solange, wie sie keine Hardware brauchen.

Fräulein Rottenmeier
13 Tage zuvor

Also halten wir fest, die besagte Schule nutzt IServ oder eine ähnliche Plattform….machen wir im dargestellten Umfang ebenso….check!
Die Schule hat eine Steuergruppe…..haben wir auch …..check!
Die Steuergruppe nutzt diesen Navigator, um agil zu arbeiten und für Transparenz zu sorgen…..wir haben dafür eine Taskcard, um agil zu arbeiten und für Transparenz zu sorgen…..Check!
Wofür ist der Navigator nun wirklich da (ich wollte mir die drölfzig Seiten des verlinkten Dokuments nicht in Gänze durchlesen)? Geht es hierbei um rein digitale Inhalte, die transformiert werden sollen, oder ist der Navigator lediglich eine Plattform, die als Assistenz für allgemeine Schulentwicklung dient?

AlterHase
13 Tage zuvor

“Haltung zur Kultur der Digitalität”
Wenn irgendwas mit “Haltung” begründet wird, besteht immer der Verdacht, dass die rein rationalen Argumente dafür eher schwach sind. Etwas mit “Haltung” einzufordern, läuft oft genug darauf hinaus, alle Skeptiker einfach abzuwerten bis hin zum Mobbing.
Und was mit “Kultur” dabei gemeint ist, ist auch nicht so klar. Haben wir inzwischen nicht die neue “Aufgabenkultur”, die neue “Schulkultur”, an die wir glauben sollen? Das soll dann positiv klingen. Nur von einer neuen “Kultur der Gewaltlosigkeit” an Schulen wird kaum gesprochen, die lieben SuS machen da einfach nicht mit. Also redet man lieber von Prävention.
Ich fände es wunderbar, wenn die “Kultur der Digitalität” dazu beitragen würde, dass weniger geprügelt wird, dass Hackordnungen weniger wichtig genommen werden, sondern dass alle brav in ihre Bildschirme gucken und bereitwillig lernen mit dem Ziel, später Fachkräfte zu werden.