Tschüss Schuldenbremse! Ökonomen (wie Hüther) fordern massive Investitionen in Bildung

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KÖLN. Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft und einer der renommiertesten Ökonomen in Deutschland, hat massive Investitionen in Infrastruktur, Wirtschaft und Bildung gefordert. Mehr noch: Er will einen Infrastruktur- und Transformationsfonds in der Verfassung verankern – und dafür die Schuldenbremse abschaffen. Damit übernimmt Hüther eine Forderung, die unlängst die Mitglieder des Sachverständigenrats Wirtschaft, die sogenannten «Wirtschaftsweisen», erhoben hatten.

Drängt auf massive Investitionen in Kitas, Schulen und Hochschulen: Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Foto: IW

Hüthers Institut hat errechnet, dass in den kommenden zehn Jahren 600 Milliarden Euro Investitionen erforderlich seien – in die Infrastruktur, in die Wirtschaft und in die Bildung. Hüther: «Daher lautet unser Vorschlag, einen gesamtstaatlichen Infrastruktur- und Transformationsfonds einzurichten, ihn in der Verfassung zu verankern und seine Verwendung beständig zu evaluieren.» Angesichts der historischen Herausforderungen helfe die Schuldenbremse nicht, konstatiert Hüther in einem Interview mit dem «DSW Journal», dem Magazin des Deutschen Studierendenwerks.

Hüther sagt: «Wir müssen etwas an ihre Stelle setzen, das unsere Erfahrungen der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre berücksichtigt. Anders bekommen wir den riesigen Investitionsbedarf, die wir als Gesellschaft haben, nicht befriedigt.»

In Deutschland gab es auch dem Sachverständigenrat zufolge in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft. «Umso wichtiger ist es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben», sagte Prof. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Gremiums, das die Bundesregierungen berät, bei der Vorstellung des jüngsten Jahresberichts (News4teachers berichtete). Der Staat müsse mehr investieren in wichtige Zukunftsvorhaben, sagt der Rat. Bisher seien in Deutschland öffentliche Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Bildung und Verteidigung zu gering. «In allen drei Bereichen besteht ein hoher Nachholbedarf.»

Um den zu decken, müsse zunächst die Schuldenbremse gelockert werden. «Die Schuldenbremse zielt darauf ab, die Belastung zukünftiger Generationen durch eine zu hohe Staatsverschuldung zu verhindern. Zukünftige Generationen können jedoch ebenso durch zu niedrige zukunftsorientierte Ausgaben und unzureichende Instandhaltung der Infrastruktur belastet werden», erläuterte Prof. Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. «Die Schuldenbremse stellt die notwendige Priorisierung zukunftsorientierter Ausgaben nicht sicher. Die Politik muss durch institutionelle Regeln dazu verpflichtet werden, ausreichende Mittel für zukunftsorientierte Ausgaben einzusetzen.»

Dass in Deutschland die zukunftsorientierten öffentlichen Ausgaben für Verkehrs­-infrastruktur, Bildung und Verteidigung zu gering ausfallen, hat laut Sachverständigenrat System: Ursache ist demnach, dass die Politik tendenziell Maßnahmen und Ausgaben bevorzugt, die der derzeitigen Wählerschaft zugutekommen.

«Ein sinnvoller Indikator in der Bildung könnte beispielsweise ausgehend von Mindestausgaben pro Schülerin und Schüler definiert werden»

«Dagegen werden zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben, deren Nutzen erst langfristig eintritt, eher vernachlässigt. Institutionelle Vorkehrungen mit Bindungswirkung sollten absichern, dass ausreichende Mittel für zusätzliche investive Ausgaben aufgewendet werden, und zwar unabhängig von der konjunkturellen Lage. Diese Bindungswirkung kann über eine gesetzliche Verankerung erreicht werden. Die Ausgestaltung sollte auf die finanziellen Bedarfe, die administrativen Zuständigkeiten und die Anforderungen in den einzelnen Aufgabenfeldern abgestimmt werden», so schreiben die Wirtschaftsforscherinnen und Wirtschaftsforscher in ihrem Gutachten.

Und weiter: «Ein sinnvoller Indikator in der Bildung könnte beispielsweise ausgehend von Mindestausgaben pro Schülerin und Schüler definiert werden. Da diese Ausgaben größtenteils von den Ländern getragen werden, müssten angemessene Quoten auf dieser Ebene implementiert werden. Sie sollten länderspezifisch festgelegt werden, um regionale Unterschiede zu berücksichtigen, eine bundesweite Koordination wäre jedoch sinnvoll.»

Hüther, einer der bekanntesten Ökonomen in Deutschland, schlägt jetzt in die gleiche Kerbe. Man habe geglaubt, „«an die künftigen Generationen wird hinreichend gedacht, solange wir die Schuldenbremse einhalten, die 2009 in die Verfassung kam. Ich selbst habe bei der Einführung so gedacht, doch heute muss ich eingestehen: Die Erwartungen an die Schuldenbremse, mit der Disziplinierung der Finanzpolitik würde sich zugleich eine Investitionsperspektive eröffnen, haben sich nicht erfüllt. Wir haben die staatliche Schuldenquote zwischen 2009 und 2019 um 20 Prozentpunkte reduziert, weil mehr Menschen in Arbeit kamen. Es wurden aber keine Anreize gesetzt für Investitionen, die über die Gegenwart hinausreichen. Und dann hat uns die Pandemie völlig aus der Bahn geworfen».

Mit Blick auf die Bundestagswahl sagt Hüther: «Nichtstun wird für keine Koalition eine Alternative sein können.» News4teachers

Studie zur Kinderarmut: Investitionen in junge Menschen (einschließlich in deren Bildung) rechnen sich für Staat und Gesellschaft

 

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kanndochnichtwahrsein
1 Monat zuvor

«Ein sinnvoller Indikator in der Bildung könnte beispielsweise ausgehend von Mindestausgaben pro Schülerin und Schüler definiert werden. Da diese Ausgaben größtenteils von den Ländern getragen werden, müssten angemessene Quoten auf dieser Ebene implementiert werden. Sie sollten länderspezifisch festgelegt werden, um regionale Unterschiede zu berücksichtigen, eine bundesweite Koordination wäre jedoch sinnvoll.»

Was nutzt eine Quote ohne Visionen von einer besseren Bildung???

Nur Geld ausgeben (mit Betonung auf “nur”) reicht einfach nicht.
Wir müssen uns überlegen, was wir brauchen, was die Kinder brauchen, was wir erreichen wollen, auf welchen Wegen, mit welchem Personal, wie viel wir dafür brauchen.
Ganz zuletzt kann man dann schauen, was das pro Schüler/in kostet.

Sonst ändert sich wieder genau gar nix!
Dann werden wieder nur Quoten erfüllt, Geld ausgegeben, Gießkanne verwendet, am einen Ende ist es doppelt, am anderen Ende fehlt es wieder…
Schlimmstenfalls wird der Rest wieder in die Verantwortung der Eltern übergeben – sprich Nachhilfe finanziert.
Die BuT-Gelder in NRW sind in den meisten Fällen rausgeschmissenes Geld.
Das könnte sinnvoller in der Schule investiert werden.
Genauso rausgeschmissenes Geld sind die Gelder für die Ganztags-/Betreuungsversprechen, die als Verwahrung enden, weil keine Konzepte und kein qualifiziertes Personal da sind.
Oder man muss ehrlich sein und das nicht “Bildung” nennen!

Und am Ende, wenn wir Visionen und Finanzierung abgeglichen haben, schauen wir dann mal, wie viel Schule wir mit welchem Personal überhaupt leisten können.

Am Ende muss es dann nicht um Quote (Qantität), sondern um Qualität gehen.
Alles andere haben wir Jahrzehnte lang durch. Wohin das führt, spüren langsam alle – vorausgesehen haben wir es schon lange.
Ich habe lieber weniger, dafür guten Unterricht in kleinen Gruppen bei ausgebildeten Lehrkräften als viele Verwahrungsstunden bei irgendwem, weil Geld rausgehauen werden muss, um Wahlversprechen oder Quoten zu erfüllen!

JoS
1 Monat zuvor

Naja, ich sehe zumindest in NDS die BuT-Mittel deutlich positiver. Endlich gibt es Nachhilfe auch für Kinder aus sozial schwächeren Familien und niemand muss bei Klassenfahrten beschämt daheim bleiben. Das sind gesellschaftlich sinnvolle Investitionen in Kinder mit Potential, die ansonsten von ihrem Umfeld zurückgehalten werden. Auf der anderen Seite gibt es ideologische getriebene Projekte, die -wenn man sie sinnvoll umsetzen wollte- unfassbare Summen kosten und überhaupt keinen messbaren Ertrag für die Gesellschaft bringen, und -wenn man sie wie bisher halbherzig umsetzt- sogar die Bildungschancen gerade sozial schwächerer Kinder verschlechtern, weil die Lasten natürlich nicht von den bürgerlichen Gymnasien getragen werden.

Rainer Zufall
1 Monat zuvor

Wie kann er bloß etwas fordern? Die Realtität ist derzeit doch eine andere – mind blown!