Herrn Schmieds Kolumne – „Und bitte ordentlich abschließen“

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ERLANGEN. Unser Kolumnist Nicolas Schmidt, alias Herr Schmied, ist Lehrer im fränkischen Erlangen. Die neueste Folge von „Dem Herrn Schmied sein Schultag“ lesen Sie hier. Heute: „Und bitte ordentlich abschließen.“

Herr Schmied, gehen Sie heute abend zur Abifeier?

Ich muss ja.

Wieso?

Weil die Deppen mich eingeladen haben.

Aber das ist doch voll nett. Haben Sie keinen Bock auf Feiern?

‚Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten, ich möchte Ihnen ganz herzlich zur bestandenen Reifeprüfung gratulieren und in Anlehnung an Ihr selbstgewähltes Motto A-Biertour de France bescheinigen, dass Sie nach 12 Jahren Brauzeit zu einem fränkisch-süffigen Meisterwerk gereift sind.’

Mhh, lecker, Bier.

Wart mal noch n paar Jährchen, Tassilo.

Mein Papa hat gesagt, er zahlt mir zwei Wochen Ballermann, wenn ich’s Abi schaff.

Na, dann streng dich mal an.

Mein Bruder hat nämlich heute seine Abifeier, und da schau ich mir das schon mal an.

‚Als ich einigen von Ihnen nach Ihrer letzten Prüfung im Gang begegnet bin, habe ich Sie gefragt, wie Sie sich fühlen, jetzt, da alles vorüber sei, und Sie antworteten: „Freiheit!“ Da habe ich mich gefragt: Freiheit wovon? Und Freiheit wozu?’

Was labert der?
Herr Schmied, was ist denn an ner Abifeier so schlimm? Das ist doch voll schön, wenn alle zusammen am Ende der Schulzeit nochmal miteinander Party machen.

Na, wenn’s wenigstens ne Party wär. Aber erst das ganze Gelaber am Anfang, das niemand interessiert, dann Einlauf der Superstars, dann der große Fressflash und danach vielleicht noch n hastig zusammengeschnittenes Video der lustigsten Saufszenen von den Studienfahrten, und wenn’s hoch kommt noch die völlig überteuerte Abizeitung mit einer absurden Mischung aus narzisstischer Selbstbeweihräucherung, gefälschten Lehrerzitaten und beleidigenden Kursberichten, aber das war’s dann. Okee, vielleicht noch n bissl Tanzmusik, aber bloß nicht zu laut und bloß nicht zu lang, weil der Saal nur bis Mitternacht gemietet wurde. Früher, Kinder, haben Schüler, Eltern und Lehrer bis zum Morgengrauen zusammen gesoffen…

Nicolas Schmidt schreibt über seinen Schulalltag an einem bayrischen Gymnasium. (Foto: Periplaneta-Verlag)
Nicolas Schmidt schreibt über seinen Schulalltag an einem bayrischen Gymnasium. (Foto: Periplaneta-Verlag)

Stimmt das echt?

Nee, natürlich nicht, aber es gab zumindest Gesangseinlagen und Geschenke für die Kursleiter und Spielchen, bei denen die Lehrer gedemütigt wurden…

… hört sich ja toll an.

Hach, die guten alten Zeiten…

… klaro, Opa, erzähl vom Krieg.

‚Ja, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, wir lassen Ihnen hier optimale Bildungschancen angedeihen, es liegt an Ihnen, diese zu nutzen. An dieser Stelle möchte ich meiner stellvertretenden Schulleiterin Frau Dr. Herzlein für Ihre tatkräftige und vertrauensvolle Zusammenarbeit und natürlich dem gesamten Kollegium für Ihre loyale pädagogische Arbeit an unserem gemeinsamen Projekt Schule danken. Sie haben es den hier versammelten Abiturientinnen und Abiturienten ermöglicht, mit offenem Visier ins Leben zu treten und zu sagen: Freiheit! Und Leistung!’

Hä? Was für Leistung, Herr Schmied?

Du hast völlig recht, David, was für Leistung? Sich stumpf irgendwelche Fakten reinknallen und sie in der nächsten Stunde wieder rauswürgen, um n Dreier oder Vierer abzugreifen, das ist keine Leistung.

Wieso? Das muss man erstmal schaffen. Ich kann mir nix länger als fünf Minuten merken.

Hast schon recht, Sebastian. Das zumindest bringen wir euch bei: wie Pawlow’sche Hunde zu funktionieren, halt mit Noten statt mit Glocken.

Hä? Pafflaff? Wauwau? Glocken? Ich check überhaupt nix.

Ist egal, Carolin. Lern einfach die Begriffe auswendig. Das langt.

Herr Schmied, wollen Sie damit sagen, dass man durch Auswendiglernen n Einser-Abi schafft?

Nee, Joshua, eher nicht. Wir haben ja auch n paar richtig gute Leute in jedem Abijahrgang, die sind meistens nicht nur gut in der Schule, sondern auch noch Schülersprecher und Tutoren, und sie spielen Theater, und sie singen im Schulchor, und sie machen bei der Schülerzeitung mit, und sie sind cool, inspiriert, freundlich und entspannt, und sie gehen gern in die Schule. Das sind dann die, die wir am Anfang jeder Abifeier abfeiern mit Notenschnitt und donnerndem Applaus, aber eigentlich feiern wir uns selbst als Schule, als ob wir verantwortlich wären für diese Leistungen. Diese Schüler dienen uns als Feigenblätter, als Beweise dafür, wie toll unser System angeblich funktioniert. Aber die bräuchten uns als Schule kaum. Wer uns bräuchte, ist die große Masse der Schüler, der Mainstream, aber die erreichen wir nicht. Denen helfen wir, sich mit Minimalaufwand irgendwie durchzumogeln, aber mit Leistung, Bildung, Lust am Lernen, Inspiration, Erziehung zu Freiheit und Selbstverantwortung hat das wenig zu tun. Da hilft auch keine Schulentwicklung und kein G9 oder G15.

Aber wir machen jetzt viel mehr Gruppenarbeit als früher.
Und, Herr Schmied, wie fanden Sie den Abischerz?

Du meinst, das gemeinsame Frühstück für alle im Pausenhof? Joah, seeeeehr gechillt.

Ich fand’s auch cool, Herr Schmied. Ich bin gleich heimgegangen, und meine ganze Klasse auch!

Deswegen kam der Abischerz auch bei der Schulleitung so gut an, kein Lärm, kein Schmutz, kein Wasserspritzen, kein Chaos. Deswegen, ihr Lieben, wenn ihr mal euren Abistreich plant, dann denkt dran: am besten wär zwischen 11.15 und 11.25 Uhr, und schaut, dass keiner was davon merkt.

Das macht ja dann überhaupt keinen Spaß.

Spaß, Spaß, wieso denkt ihr immer nur an euch? Es muss ein geregelter Ablauf des Schulalltags gewährleistet sein, und da müssen Partikularinteressen zurückstehen.

Parti… was?
Au ja, Party, Party, das wird ne Party heut abend!

Wisst ihr was, Kinder? Irgendwie freu ich mich doch auf den Abiball.

Warum jetzt doch?

Weil das Buffett so lecker ist und ich voll Hunger hab.

Mir ist schlecht, Herr Schmied. Darf ich mal raus?

 

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