MAGDEBURG. Zu wenig Vollkornprodukte, zu viel Fleisch – das ist die klassische Kritik von Experten am Schulessen. Ein Caterer in Sachsen-Anhalt beschreitet neue Wege. Einfach ist das aber nicht.
Hübsch angerichtet steht sie da, mit zwei kleinen Scheiben Brot, gekrönt von etwas Petersilie: die Hirsesuppe. Mit ihr und anderen vegetarischen Rezepten will der Caterer Land & Lecker Baalberge bei Bernburg einen Schritt in Richtung weniger Fleisch machen – so empfiehlt es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Das Ziel sind mehr fleischlose Gerichte für den Speiseplan der belieferten Kitas und Schulen.
Ein Blick in die Kochkessel der Großküche und die Bestelllisten zeigt aber, wie groß die Kluft zwischen guter Absicht und Realität ist. Das zweite Wahlgericht ist heute Nudeln mit Gulasch, die Menge überwiegt die bestellte Hirsesuppe bei Weitem. Und selbst der Koch guckt skeptisch und vermutet, dass die Suppe nicht gut ankommen wird. «Was sie kennen, bestellen sie auch», sagt er, und: «McDonalds hat Vorrang. Blumenkohl und Brokkoli kennen viele Kinder gar nicht, obwohl sie schon in die Schule gehen.»
Die Ökotrophologin Doreen Jahnel, die die Speisepläne zusammenstellt, hört aus ihrem Team dann schonmal das Wort Vogelfuttersuppe. «Die meisten kennen Hirse nur als Vogelfutter», schiebt die Ernährungsexpertin hinterher. 41 Grundschüler haben heute die Hirsesuppe bestellt, 458 das Fleischgericht. Keiner der sechs belieferten Kindergärten bestellte die Suppe. Vor Doreen Jahnel liegt also viel Arbeit – und Geduld.
Gemeinsam mit der Landesvereinigung für Gesundheit Sachsen-Anhalt hat das Unternehmen in Baalberge in einem zweijährigen, vom Bund geförderten Projekt «Ma(h)l vegetarisch» an fleischlosen Rezepten getüftelt. Die sollten in der Großküche gekocht und gut transportiert werden können und – das ist das wichtigste – den Kindern schmecken. Kita-Kinder und Schüler wurden befragt, Eltern informiert.
Die Ergebnisse waren erstmal gar nicht so schlecht, sagt Melanie Kahl von der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung bei der Landesvereinigung. Bei den Verkostungen habe es wenig Gegenwehr gegen das Vegetarische gegeben. Dass das Fleisch fehlte, sei sehr selten kritisiert worden. Auch das Gemüse hätten die Kinder überwiegend gemocht.
Es entstanden Rezepte für Rotes Linsencurry mit Vollkornreis, Kartoffel-Kohlrabi-Auflauf, ein Tomatenrisotto, eine Möhrencremesuppe und eine Linsenbolognese – die aus einer Broschüre nun Caterer in ganz Deutschland nachkochen können. Das heißt aber auch: Nun müssen sich die vegetarischen Gerichte auf dem wöchentlichen Speiseplan behaupten – gegen Currywurst, Braten und Gulasch. Und das ist schwer, wissen Kahl und Jahnel. Wie wichtig Fleisch für die Kinder und Eltern letztlich ist, haben beide erfahren. «Wenn man 2,70 Euro für ein Essen bezahlt, dann gehört für viele auch Fleisch dazu», sagt Kahl.
Jahnel hat vor ein paar Jahren mal probeweise zwei vegetarische Gerichte parallel zur Auswahl gestellt – da habe sie Anrufe von Eltern bekommen, wo das Fleischgericht denn sei. Ihr Kind könne so nicht mitessen. Für Melanie Kahl zeigt das: «Die Kita- und Schulverpflegung kann nichts auffangen, was nicht im Elternhaus vorgelebt wird.» Einen Kompromiss zu finden, ist schwierig. Der Faktor Zeit ist wichtig aus Sicht der Expertinnen. «Der Wandel ist da, aber die Gewohnheiten verändern sich sehr langsam», sagt Jahnel.
Schüler sollten höchsten zweimal in der Woche mittags Fleisch essen
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für den Speiseplan für das Mittagessen von Schülern höchstens zweimal in der Woche Fleisch oder Wurst, mindestens einmal Seefisch, täglich Getreide, Getreideprodukte oder Kartoffel sowie täglich Gemüse. Damit Essenanbieter diese und weitere DGE-Empfehlungen umsetzen können, sind aus Sicht der Vernetzungsstelle 3,14 bis 4,24 Euro nötig, je nach Anbieter und Verpflegungsform. Der jüngsten Erhebung zufolge kostete das Mittagessen aber durchschnittlich 2,52 Euro.
Genau das spürt auch der Caterer in Baalberge. Land & Lecker hat vor kurzem den Preis für die Kita-Mahlzeiten von 2,20 auf 2,40 Euro erhöht, die Preise für die Schulkinder stiegen von 2,50 auf 2,70 Euro. «Das ist der Preis, unter dem man schwerlich produzieren kann», sagt Jahnel.
Sofort sei eine Kita gewechselt zu einem Anbieter mit 1,90-Euro-Essen. Bei solchen Dumpingpreisen sei nicht wirtschaftlich zu arbeiten, vermutet Jahnel. Eltern, Kinder und Kita-Erzieher seien zufrieden gewesen mit dem Essen – es sei allein um die 50, 60 Cent gegangen. Qualität und Wertigkeit des Essens, Neues auszuprobieren und mehr Vegetarisches anzubieten, sei in den Hintergrund gerückt. Von Dörthe Hein, dpa
Berlin will kostenloses Schulessen einführen – GEW befürchtet “Fastfood am Stehtisch”
Die DGE empfiehlt (höchstens) 2x mittags Fleisch und mindestens 1x Fisch? Das ist unglaublich, skandalös. Eine “gesunde”, zur Nachdenklichkeit anregende Schule ernährt Kinder selbstverständlich tierleid- und fleischfrei. Das ist im Jahre 2019 ja wohl anders nicht mehr möglich…
Nein, alles was anders geht als nach Ihrer Meinung, ist selbstverständlich unmöglich. Da darf die Eiweiß- und Eisenzufuhr keine Rolle spielen.
Krass, dass es überhaupt noch Kantinen mit täglichen Fleischangeboten gibt! Kein Wunder, dass wir hibbelige, grosse und dicke Kinder haben. In der Arte Mediathek ist die Doku “Das Gehirn ist, was es isst” zu finden: Konzentrationsstörungen, Aggression und Depressionen scheinen von industriell erzeugter “Nahrung” und der damit einhergehenden Mangelernährung zu kommen. Und das im reichen Europa 2019!