Lehrermangel: Lehrer und Eltern schlagen gemeinsam Alarm – „Qualität leidet“

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MÜNCHEN. Einen Monat nach Beginn des neuen Schuljahres schlägt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) Alarm. Er attestiert dem Kultusministerium in München, seine Einstellungspolitik sei „grandios gescheitert“. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann erklärte: „In den kommenden Jahren steht den Grund,- Mittel- und Förderschulen ein Personalmangel bevor, den wir in dieser Dimension noch nie hatten.“ Auch der Bayerische Elternverband macht sich laut einer Pressemitteilung Sorgen über die Lehrerversorgung und die Unterrichtsqualität insbesondere der Grund- und Mittelschulen im Freistaat.

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann sieht die Entwicklung beim Lehrermangel mit Sorge. Foto: BLLV

Kurz vor Beginn des Schuljahres hatte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) angekündigt, dass vor jeder Klasse ein Lehrer stehen wird. Das war laut Lehrerverband auch der Fall – allerdings sei die Bildungsqualität nicht gesichert, sagte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann am Montag.

Es werde von den Lehrern zunehmend mehr als nur Frontalunterricht erwartet. Lehrkräfte müssten demnach viel stärker auf die individuellen Stärken und Schwächen der Schüler eingehen können. Dazu gehört laut Fleischmann auch, Kinder zu politisch versierten Entscheidungen zu befähigen und soziale Kompetenzen zu vermitteln. Dafür sei ein Lehrer pro Klasse nicht genug, erklärte Fleischmann. Eine individuelle Förderung sei mit dem Status quo nicht zu erreichen.

Schon jetzt, wenige Wochen nach Schulbeginn, seien viele der mobilen Aushilfslehrer aufgrund von Krankheitsfällen und Schwangerschaften im Einsatz. Spätestens wenn die erste Krankheitswelle komme, sehe die Situation an den Schulen noch einmal kritischer aus, warnte BLLV-Vizepräsident Gerd Nitschke. Dann wäre auch die Grundversorgung in Gefahr.

„Die Hütte brennt“, so konstatierte Fleischmann angesichts des sich ausweitenden Lehrermangels auch im Freistaat. „Wenn nichts geschieht und es keine konstruktiven Antworten auf diese Fragen gibt, rennen wir sehenden Auges weiter in eine Krise hinein, die uns dann viele weitere Jahre beschäftigen wird“, warnte sie. Sie vermisse eine durchdachte, konsequente und vor allem nachhaltige Personalpolitik, mit der ganzheitliche Bildungsziele umgesetzt werden könnten.

Unterrichtsversorgung gesichtert – mit großen Klassen

„Bisher erreichten uns zwar nur wenige Meldungen zu Unterrichtsausfällen“,  so erklärte der Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbands (BEV), Martin Löwe. Das Kultusministerium habe auch in diesem Schuljahr die Grundversorgung mit Lehrkräften abdecken können. Das sei aber nur um den Preis von großen Klassen gelungen. Und auch er sagte voraus: „Mehr Unterrichtsausfälle sind mit dem Einsetzen der Grippewelle zu erwarten.“

Der Einsatz von umzuschulenden Lehrkräften aus Gymnasien und Realschulen helfe bei der Unterrichtsversorgung, entspreche jedoch nicht den Vorstellungen des BEV von hohen pädagogisch-didaktischen Qualifikationen, die insbesondere an den Grund- und Mittelschulen unerlässlich seien. Löwe erläuterte: „Seit jeher ist uns der marginale pädagogisch-didaktische Anteil in der Ausbildung für Realschul- und Gymnasiallehrkräfte ein Dorn im Auge. Dieses Manko wird nun in die Grund- und Mittelschulen importiert und dort seine Auswirkungen haben. Dass es sich in einer berufsbegleitenden zweijährigen Schulung ausgleichen lässt, wagen wir zu bezweifeln.“ Der BEV hat nach eigenem Bekunden „große Zweifel, dass so die zunehmende Heterogenität und Förderbedürftigkeit der Schülerschaft bewältigt werden kann“.

Eltern unterstützen Forderung nach „A13 für alle Lehrer“

Er hält daher, wie der BLLV, auch aus diesem Grund ein gemeinsames Grundstudium für alle Lehrämter für erforderlich – nicht nur wegen der dann flexibleren Einsatzfähigkeit von Lehrkräften an verschiedenen Schularten. Darüber hinaus habe die Schule mehr und komplexere Aufgaben denn je. Dafür reiche ein einziger Lehrer pro Klasse nicht mehr aus. Neben den Fachprofilen gebe es „weiche“ Themen abzudecken, etwa Wertebildung, Demokratieerziehung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), außerdem gelte es, Schüler mit ADHS, sonderpädagogischem Förderbedarf oder Hochbegabungen zu fördern. „Von diesen hohen Zielen wird gerne und mit Stolz geredet. Wenn man sie aber ernst nimmt, ist ein einziger Lehrer je Klasse ohnehin zu wenig“, meinte Martin Löwe. „Gute Unterrichtsqualität braucht Personal, und von den versprochenen multiprofessionellen Teams ist noch kaum etwas zu sehen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier auseinander!“

Laut Kultusministerium werden schon seit längerer Zeit Maßnahmen ergriffen, damit auch in den kommendenden Jahren der Unterricht regulär stattfinden kann. Um das zu gewährleisten, wurden in diesem Schuljahr 1000 neue Stellen für Lehrer und 100 Stellen für Schulpsychologen und Schulsozialpädagogen geschaffen. Dies wolle man auch in Zukunft ausbauen: «In dieser Legislaturperiode sind weitere 4000 Lehrerstellen und weitere 400 Stellen für Schulpsychologen und Schulsozialpädagogen vorgesehen.», sagte Kultusminister Piazolo am Montag.

Viele der aktuell ausgeschriebenen Stellen könnten allerdings nicht oder nur mit Lehramtsstudenten besetzt werden, beklagt der BLLV. Deshalb müssten die Stellen vor allem für Bewerber attraktiver gemacht werden. Das meint auch die organisierte Elternschaft. Der BEV hält es für „unumgänglich, das Einstiegsgehalt für alle Lehrämter auf A13 zu heben“. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Ein bisschen blauäugig kommt mir das aber schon vor. Weniger Lehrer machen nicht automatisch schlechteren Unterricht, mehr Lehrer nicht automatisch besseren. Es fällt auch viel Unterricht aus ( = findet nicht statt), ohne dass das offiziell Unterrichtsausfall ist, z.B. durch all die Projekte, Ausflüge, Feste und nicht zuletzt Disziplinprobleme … Vorschlag: Klassenreisen in den Ferien veranstalten? Dann ist eine Woche Unterricht gewonnen! (A 13, ja, das alte Lied, nett für die Nutznießer, hat aber bekanntlich gar nichts mit dem Lehrermangel zu tun.)

Nett ist auch, was der Schulrechtsexperte Thomas Böhm in anderen Zusammenhängen schreibt:

„Führen nicht die Unterrichtsinhalte, sondern die Qualität des Unterrichts zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern, Schülern und Lehrern, haben Schüler keinen Anspruch auf eine von ihnen für besser gehaltene Unterrichtsgestaltung, da kein Rechtsanspruch auf einen „guten“ Lehrer besteht, wie es auch keinen Rechtsanspruch auf einen „guten“ Richter, Rechtsanwalt, Arzt oder Handwerker gibt. Eltern und Schüler können nur rechtmäßiges Handeln einfordern.“

(Thomas Böhm: „Nein, du gehst jetzt nicht aufs Klo!“ – München 2018, S. 23)

PS: Frontalunterricht abzulehnen, ist auch nicht mehr „up to date“ (zeitgemäß/aktuell).