Fachkräftemangel: Top ausgestattete Berufsschulen sollen Drang zur Uni bremsen

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HAMBURG. Es muss nicht immer ein Studium sein – davon ist Hamburgs Schulsenator Rabe überzeugt. Eine solide Berufsausbildung sei mindestens genauso gut, oft sogar besser. Um dies jungen Leuten schmackhaft zu machen, setzt der Senat auch auf top ausgestattete Berufsschulen.

Hamburg rüstet bei seinen Berufsschulen auf – hier der Neubau der Beruflichen Schule City Nord. Foto: Minderbinder / Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0

Hamburgs rot-grüner Senat will dem Drang vieler Schülerinnen und Schüler hin zu den Hochschulen auch mit top ausgestatteten Berufsschulen entgegentreten. «Wir wollen, dass die berufliche Bildung einen anderen Stellenwert bekommt», sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Freitag bei einem Besuch der Beruflichen Schule Holz Farbe Textil in Barmbek. Deshalb wünsche sich der Senat, dass sich junge Menschen nach der Schule ernsthaft fragten, ob eine berufliche Bildung nicht doch etwas Wichtiges und Gutes sei. «Diesen Weg wollen wir begleiten, indem wir schöne Schulen bauen, die einladend sind und Appetit machen auf Berufsbildung.»

Nach Angaben der Schulbehörde hat Hamburg seit 2015 rund 550 Millionen Euro in Neu- und Ersatzbauten sowie die Sanierung von Berufsschulen investiert. Bis 2030 soll diese Summe auf 720 Millionen Euro steigen. Allein an den berufsbildenden Schulen in Barmbek, in Wilhelmsburg (Klimaberufe), in Hamm (E-Commerce) und in Borgfelde (Gastronomie) seien rund 70 Millionen Euro verbaut worden. Die Schülerinnen und Schüler sollten nicht in irgendeinem Hinterhof oder in einem «stillgelegten Aldi» unterrichtet werden, betonte Rabe.

Hamburg schaffe attraktive Lernorte und stärke damit die berufliche Bildung, sagte die Geschäftsführerin des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung, Sandra Garbade. «Und das hilft einerseits, dem Fachkräftemangel aktiv entgegenzutreten, aber auch Jugendlichen insbesondere in Krisenzeiten wirklich auch eine Berufsperspektive zu geben», betonte die Chefin aller 30 staatlichen berufsbildenden Schulen in Hamburg.

«Und da ist es doch besser, erst einmal eine ordentliche Ausbildung zu machen, von der aus man immer noch studieren kann, wenn man es sich zutraut»

In Hamburg sind zu Beginn dieses Ausbildungsjahres an den staatlichen Berufsschulen 45 740 Schülerinnen und Schüler in den Unterricht gestartet – etwa 600 weniger als im Jahr zuvor. Dem gegenüber stehen gut 100.000 Studierende an den Hochschulen der Hansestadt. «Ein Viertel bis ein Drittel bricht das Studium erfolglos ab», sagte Rabe. «Und da ist es doch besser, erst einmal eine ordentliche Ausbildung zu machen, von der aus man immer noch studieren kann, wenn man es sich zutraut.» Diese sollten aber auch jenen jungen Menschen eine gute Perspektive geben, «die es in der Schule nicht leicht hatten oder die gerade zugewandert sind, und deshalb natürlich nicht in dem Maße über die entsprechenden Zeugnisse verfügen».

Doch nicht nur der vermehrte Drang junger Leute zu einem Studium, auch die Corona-Pandemie hat den Ausbildungsmarkt getroffen und den Fachkräftemangel erhöht. Besonders deutlich gingen die Neuabschlüsse im Gast- und Verkehrsgewerbe zurück – diese Branchen waren besonders stark von den Corona-Maßnahmen betroffen. Inzwischen ist es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit zwar wieder etwas besser geworden. Doch die Zahl der vom 1. Oktober 2021 bis August 2022 gemeldeten Ausbildungsplätze lag bundesweit mit 525 600 immer noch um sechs Prozent unterhalb der letzten Vor-Corona-Erhebung 2018/2019.

Gleichzeitig setzte sich der seit 2017/18 kontinuierliche Rückgang bei den Bewerbungen fort, wenn auch nicht mehr ganz so stark, wie die Bundesagentur mitteilte. So hätten seit Beginn des Beratungsjahres 2021 bundesweit rund 408.000 Schulabgänger eine Vermittlung in Anspruch genommen – 12.000 weniger als im Vorjahreszeitraum und 50.000 weniger als 2019.

Von den 45.740 Berufsschülerinnen und -schülern in Hamburg befinden sich den Angaben zufolge 32.410 oder 70,9 Prozent in einer dualen und 3200 oder 7 Prozent in einer schulischen Berufsausbildung, wobei sich allein 1980 junge Frauen und Männer zu einer Sozialpädagogischen Assistenz ausbilden lassen.

In den weiteren staatlichen Bildungsgängen sind die Zahlen laut Schulbehörde ähnlich wie im Vorjahr: 3730 Schülerinnen und Schüler besuchen die Berufsvorbereitung, 1890 junge Menschen streben ihren nächsthöheren Bildungsabschluss am Beruflichen Gymnasium, der Höheren Handelsschule oder der Höheren Technikschule an. Zudem besuchen 3750 junge Menschen die berufliche Weiterbildung an Fachschulen, und 510 wollen nach der Ausbildung an der Fachoberschule oder Berufsoberschule eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben. Von Markus Klemm, dpa

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Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor

Eine Ausbildung im Handwerk kann man eigentlich keinem jungen Menschen empfehlen. Schikanierung von Azubis, schlechte Gehälter nach der Ausbildung, krasse Überstunden und ein körperlicher Verschleiß, den man oft nur bis 50 oder 55 Jahren durchhält lassen die Branche als höchst unattraktiv erscheinen. Eigentlich ist alles andere besser außer Supermarktarbeit.

SekII-Lehrer
1 Jahr zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

So pauschal ist das schlicht falsch.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  SekII-Lehrer

Nö.
Natürlich gibt es gute Betriebe und gute Ausbilder usw. auch – aber GERADE pauschal stimmt es 100 %.

Sonst gäbe es den Mangel nicht, da alle dahin wollen würden.

Was Leute sagen ist irrelevant – was sie *tun*, wenn es ums Geld, Jobchancen, Macht, Partnerwahl geht, *das* zählt.

Handwerkliche Arbeit hat in der BRD nur einen einzigen echten Faktor: Wer fleissig und gut arbeitet kann schwarz exorbitante Beträge verdienen, damit früh in Rente gehen und/oder sehr gut leben.

Ansonsten ist da seit vielen Jahren vieles mistig – und deswegen machen das auch zu wenige.

Wäre es anders, wäre das Handwerk überlaufen mit Bewerbungen.

dickebank
1 Jahr zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

Zumeist gehen die Schikanen aber von den „Altgesellen“ aus, weil das war ja schon immer so …

Aidan
1 Jahr zuvor

Ties Rabe hat selbst niemals nen Fuß in eine Berufsschule gesetzt!
und solange der Straßenbauer nicht endlich soviel Geld bekommt wie ein Gymnasiallehrer der was über Schiller und Goethe verzapft, wird sich nix daran ändern, dass immer mehr Kiddies an die Unis wollen!

Mitschacker
1 Jahr zuvor
Antwortet  Aidan

und solange der Straßenbauer nicht endlich soviel Geld bekommt wie ein Gymnasiallehrer“

Warum sollte er auch? Oder hat der Strassenbauer auch 7 Jahre akademische Ausbildung hinter sich (+die Jahre für die AHR, um überhaupt zur Ausbildung zugelassen zu werden)?

Irgendwo muss man die Kirche auch mal im Dorf lassen!

Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor
Antwortet  Mitschacker

Straßenbauer ist ja ein körperlich sehr harter Beruf. Wenn es der Markt hergibt, sehe ich da aus ökonomischer Sicht kein Problem, wenn Straßenbauer mehr verdienen würden als Gymnasiallehrer, schließlich gibt es ja dazu den Preismechanismus, um Knappheiten anzuzeigen und zu beseitigen. Und ein hoher Lohn für Straßenbauer kann erheblich dazu beitragen, einen Mangel an solchen zu beheben.

447
1 Jahr zuvor
Antwortet  Aidan

Hallo, ich gebe Ihnen mal einen schnellen und äusserst unangenehmen Grundkurs in Realität:

1. Jeder mit genug Hirnschmalz für ein Studium könnte Straßenbauer werden, wenn es für uns als Gesellschaft überlebenswichtig wäre. Also so richtig, ungefiltert real wichtig. Wären das gute oder glückliche Strassenbauer? Nö, keinesfalls. Es wäre ätzend. Aber wenn es um die Wurst geht ginge das.

2. Praktisch null Straßenbauer können Arzt, Rechtsanwalt oder Lehrer werden, egal wie wichtig das wäre. Weil ihnen schlicht die Intelligenz dazu fehlt.

3.Anwendbare(!) Intelligenz ist in jeder Form entwickelter Gesellschaften die Premiumware, also wird dafür ein Premium gezahlt (in Geld, Sonderrechten Vorzügen, sozialer Anerkennung) da man Intelligenz im Gegensatz zu Ausdauer, Schmerzen ertragen, Muskelkraft (Straßenbau) nicht wirklich trainieren kann.

4. Gesellschaften, die 1. bis 3. auf fundamentaler Ebene tatsächlich ignorieren (also nicht nur so tun wie wir zunehmend, sondern das echt durchziehen) werden von den anderen überholt und ausgeschaltet oder assimiliert. Winke-winke Sozialismus-Kommunismus-Trauma.

Last edited 1 Jahr zuvor by 447
Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Unsere Berufsschule kann er nicht meinen.

Wer als angehender Student unsere top-ausgestattete Berufsschule besucht um sich über eine Ausbildung zu informieren, wird nach einer kurzen Ansicht von Gebäude und Ausstattung mit etwas Verstand lieber nackend und zu Fuß zur nächsten Uni laufen und zwar so schnell, dass er dabei die Straßenbahn überholt.

Ich muss da was verpasst haben.

Ron
1 Jahr zuvor

Ausstattung ist gut. Doch im Kern geht es um eine gesellschaftliche Neuausrichtung. Die Akademisierung war politisch gewollt. Würde man in den Schulen wieder zu dem Anforderungsniveau der 90er zurückfinden, gäbe es auch wieder viele Real- und Hauptschüler. Doch das müsste politisch durchgesetzt werden. Und das kostet Kraft und bringt keine Wählerstimmen. Also arbeitet man lieber an der Perfektionierung des Stuhlkreises.

dickebank
1 Jahr zuvor

Berufsschulpflicht – es sind doch nicht nur die Bauten, es sind vor allem die Inhalte die angepasst werden müssen. Warum soll ein Berufsschüler, der schon die FHR oder sogar die AHR in der Tasche hat an der berufsschule, nur um die vorgeschriebene Pflichtstundenzahl zu erreichen, die allgemeinbildenden Fächer noch einmal über sich ergehen lassen.
Wie soll Unterricht in den allgemeinbildenden Fächern und auch in den berufsspezifischen Fächern denn gestaltet werden, wenn dort – je nach Beruf – Schüler sitzen, die vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen? Das reicht dann vom erweiterten Hauptschulabschluss nach Klasse 10 (HSA) über den Mittleren Schulabschluss, der Fachhochschulreife, der allgemeinen Hochschulreife bis zu einem abgebrochenem Studium mit einigen Semestern und einer Reihe von „Scheinen“.