Setzen Reformen nach PISA falsche Prioritäten? Kunst und Musik in Gefahr!

20

NÜRNBERG. Etliche Bundesländer wollen die Leistungen in Deutsch und Mathematik verbessern, in dem sie an Grundschulen die Stundentafel umbauen. Auch Bayern. Lehrkräfte- und Chorverbände aus dem Freistaat warnen vor falschen Prioritäten.

Musikunterricht beflügelt. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Die PISA-Offensive an Grundschulen könnte nach Befürchtungen von Verbänden auf Kosten des Musik- und Kunstunterrichts gehen. Ab kommenden Schuljahr soll als Reaktion auf die schlechten Ergebnisse im Schülerleistungsvergleich in einigen Bundesländern mehr Mathematik und Deutsch auf dem Stundenplan stehen, so auch in Bayern.

Die Grundschulen sollen dort – innerhalb der Vorgaben des Kultusministeriums – selbst entscheiden, wie viel Englisch, Musik, Kunst oder Werken und Gestalten (WG) sie unterrichten. Fakt ist, es werden Stunden in dem Bereich gestrichen werden müssen. Lehrer- und Chorverbände warnen vor falschen Schwerpunkten.

«Das ist eine absolute Katastrophe», sagte der Präsident des Fränkischen Sängerbundes, Friedhelm Brusniak. Dieser ist eigenen Angaben nach der mitgliedstärkste Chorverband Bayerns. Es sei völlig falsch zu glauben, dass man in der Grundschule nicht mehr unbedingt den Musikunterricht brauche. Wenn Kinder nicht in der Schule oder der Familie mit dem Singen oder Musizieren in Kontakt kämen, kämen sie auch später nicht auf die Idee, in einem Chor zu singen oder ein Instrument zu lernen.

Auch der bayerische Philologenverband und der Realschullehrerverband VDR warnen vor Abstrichen in Musik, Kunst oder WG. Diese Fächer seien für die Entwicklung der Kinder wichtig, teilte VDR-Experte Christoph Brunk mit. «Sie fördern altersgerecht und spielerisch nicht nur Kreativität und ästhetisches Empfinden, sondern auch soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz.» Um Freiräume für mehr Mathe und Deutsch zu bekommen, müsse der Englischunterricht reduziert werden. Dieser könne ab der weiterführenden Schule intensiver unterrichtet werden. Genauso sieht es der Philologenverband.

Dass die Grundschulen innerhalb der Stundenvorgaben entscheiden können, welche Schwerpunkte sie setzen, befürwortet der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Diese könnte am besten entscheiden, was sich angesichts des Lehrkräftemangels umsetzen lasse, sagte Präsidentin Simone Fleischmann. Die Tendenz zeige, dass es zu den meisten Einschnitten bei WG kommen werde, weil es dafür generell zu wenig Fachlehrkräfte gebe. Viele Schulen entschieden sich zudem, den Englischunterricht von zwei auf eine Stunde zu kürzen.

Für eine bessere Lösung hält der BLLV es weiterhin, überhaupt keine Fächer zu kürzen, sondern die Stundenzahl in der Grundschule auszuweiten. Das sei auch mit Blick auf den Rechtsanspruch für die Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 sinnvoll, sagte Fleischmann.

Der bayerische Sängerbund sieht den Ganztags-Anspruch ebenfalls als Chance, mehr musikalische Erziehung in den Grundschulen anzubieten. «Da ist viel auf der Strecke geblieben die letzten Jahre», sagte Präsident Alexander Seebacher mit Blick auf die Corona-Zeit und Personalmangel. Dann könnten zum Beispiel Musikverbände das Betreuungsangebot ergänzen. News4teachers / mit Material der dpa

Mehr Mathe und Deutsch auf Kosten von Kunst und Musik? Astrophysiker Lesch: „Dieser Ansatz ist Quatsch“

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

20 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
vhh
11 Monate zuvor

Wo brennt es überall: Musik und Kunst in Gefahr, zu wenig Sport, mehr Stunden für Deutsch und Mathe, Englisch in der Grundschule darf nicht sterben, mehr Ressourcen für Förderkinder. Später nicht genug Politik, Wirtschaft, MINT, Berufsvorbereitung, wieder Sport, Musik und Kunst, dazu Lebenspraxis oder wie man es nennen will. Nicht zu vergessen Steuerklärung, soziale Medien, Versicherungen, Mietverträge, Gesetze und wieder mehr Ressourcen für Förderschüler.
Vielleicht, völlig naive Idee, als verantwortliche Politiker mal ein abgestimmtes Gesamtkonzept entwickeln? Mit allen Beteiligten? Brandschutz funktioniert auch besser, als immer nur ‘es brennt’ zu schreien. Vielleicht besser als von der Feuerwehr Wunder zu verlangen.

ed840
11 Monate zuvor
Antwortet  vhh

Natürlich braucht niemand eine Stunde weniger in seinem Bereich klaglos hinnehmen. Mehr Unterrichtsstunden wären vermutlich zielführender, würden aber natürlich auch mehr von der knappen Ressource Lehrkräfte erfordern. Wenn ich richtig informiert bin, umfasst die Stundentafel an der GS in Bayern 104 Stunden. In anderen Bundesländern kommt man scheinbar auch mit 92h oder 94h aus.

potschemutschka
11 Monate zuvor
Antwortet  ed840

Ein Vergleich der Stundentafeln der Bundesländer untereinander (Soll- und Ist- Stand wegen Lehrermangels) würde mich auch interessieren und ein Vergleich mit früheren Zeiten wäre bestimmt auch interessant. Besteht da evtl. ein Zusammenhang zu PISA, IGLU, … Das sind doch sicher Anregungen für Bildungsexperten neue (vielleicht sogar sinnvolle) Studien durchzuführen.

Palim
10 Monate zuvor
Antwortet  potschemutschka

Dazu bitte noch eine Erhebung, wer die Beaufsichtigung übernimmt, wenn Lehrkräfte fehlen:
Gibt es dafür Lehrkräfte oder Erzieher:innen oder Bachelor-Absolvent:innen oder Menschen, die ggf. noch einen Wochenendkurs mit pädagogischen Anteilen belegt haben?

potschemutschka
10 Monate zuvor
Antwortet  Palim

Ich zitiere mal Lothar de Maiziere: “Teile der Antworten könnten die Bevölkerung beunruhigen.”

ed840
10 Monate zuvor
Antwortet  potschemutschka

Dass man für 94 Wochenstunden deutlich weniger Lehrkräfte benötigt als für 104 h, ist rechnerisch nachweisbar. Scheint aber trotzdem so, dass auch in Bundesländern mit niedriger Wochenstundenstundenzahl Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfälle nicht unerheblich sind.

potschemutschka
10 Monate zuvor
Antwortet  ed840

Logisch! Aber mir ging es eher darum, wieviele Unterrichtsstunden (gesamt) und in welchen Fächern (konkret) die Schüler in welchem BL (laut Stundentafel) erhalten/bzw. früher erhielten und ob es da einen Zusammenhang zu Pisa und co. gibt (unabhängig vom Unterrichtsausfall).

Palim
10 Monate zuvor
Antwortet  ed840

Das liegt ja nicht an der Stundentafel, sondern an der Einstellungspraxis über Jahre und an dem Vermeiden einer Vertretungsreserve durch Lehrkräfte.
Auch Förderstunden sind in einigen Bundesländern rigoros zusammengestrichen, während es in anderen Ländern dafür ausgebildetes Personal gibt.

Wenn nun ein Bundesland 108 Stunden in der Tafel hat, dazu zusätzliches Personal zum Fördern und eine gute Ausstattung an FöS- und Beratungslehrkräften und Schulpsycholog:innen,
sind die Bedingungen doch andere, als wenn das Bundesland 94 Stunden in der Tafel hat, keine Vertretungsreserve (nur über nicht voll ausgebildete Lehrende), Förderstunden streicht, Schulpsycholog:innen zu nur einem Drittel des anderen Landes.

Warum werden alle möglichen Parameter in Studien erhoben, nicht aber die Anzahl der Unterrichtsstunden und die Art der Aufsicht im Fall des Ausfalls?

potschemutschka
10 Monate zuvor
Antwortet  Palim

Warum wohl? Siehe das Zitat von de Maiziere weiter oben!

Annemaus
11 Monate zuvor

Man kann Lesen doch auch in Musik oder Kunst einbauen, da es da nicht nur um Praxis, sondern auch um Theorie und Geschichte geht.
Beispielsweise können die Kinder der Reihe nach einen Bericht über das Leben von Mozart vorlesen.

lehrer002
11 Monate zuvor
Antwortet  Annemaus

DAS ist kein guter Musikunterricht! Im Musikunterricht muss ganz klar in den unteren Klassenstufen das Musizieren im Vordergrund stehen. Jede:r Kolleg:in in Klasse 3 und 4 oder später bedankt sich herzlich, wenn einfache Melodiebögen nicht gesungen werden können oder Takte nicht gehalten werden, weil die Lehrkraft in Klasse 1/2 das Fach als Klassenlehrkraft für andere Fächer missbraucht hat.

Testerin
10 Monate zuvor
Antwortet  lehrer002

“Musizieren”… Eher alte Leider singen und diese in super kleinen Heften aufschreiben… Das fördert ungemein die Kreativität…

H. F.
11 Monate zuvor

Mit einer effizienteren Unterrichtsgestaltung könnten wir uns die Diskussion doch schenken. Wenn ich mir die Materialien und die Ergebnisse meines Grundschulkindes so anschaue, sowie seinen Schilderungen der Abläufe vertraue, dann wundert mich gar nichts mehr. Es ist zwar schön, dass dort an Sechsertischen schülerzentriert gebastelt und gespielt wird, aber wann üben und lernen die Kinder etwas? Wir fangen das daheim schon auf (in einer Stunde schreibt das Kind bei mir mehr als in einer Woche Deutschunterricht!), aber was ist mit den anderen Kindern?
 
Wir brauchen nicht mehr Schulstunden, wir brauchen die Rückkehr zu gesundem Menschenverstand und Methodenfreiheit. Letzteres funktioniert aber nur mit fachlich starken, fähigen und mündigen Lehrern, den an den Unis nicht das Hirn gewaschen wurde.

Ça me fatigue
10 Monate zuvor
Antwortet  H. F.

Solche Lehrkräfte gibt es auch jetzt schon, nur laufen sie bei der aktuellen Schülerklientel, die an keine Anstrengung gewöhnt wurde und die nur selbstbestimmt “arbeiten” möchte (was auch immer das im Grundschulunterricht sein soll), gegen eine Wand aus Unverständnis, Unwillen und Ablehnung. Die zwei, die von den 25 mitmachen möchten, sind eindeutig in der Minderzahl.

H. F.
10 Monate zuvor
Antwortet  Ça me fatigue

Ich möchte nicht glauben, dass schon ab der ersten Klasse der Zug für eine Mehrheit abgefahren sein soll. Vielmehr sehe ich genau zu diesem Zeitpunkt das Problem: man vergibt heute leichtfertig die Chance, den Kindern zu diesem sprichwörtlichen Umbruch (!) von Anfang an die richtige Arbeitseinstellung und Arbeitsweise zu vermitteln: “Der Kindergarten ist vorbei, jetzt kommt die Schule! Da arbeiten wir bitte ruhig und diszipliniert vier Stunden am Vormittag, und dann könnt ihr wieder die Sau rauslassen!”. Absolute Grundlagen müssten ggf. in einem verpflichtenden Vorschuljahr gelegt werden.

Dazu braucht es natürlich Mut, Durchsetzungsvermögen und Rückhalt von allen Seiten. Stattdessen gibt man sich lieber der Illusion hin, man müsste die Kinder schonen und jede Unlust vermeiden, denn alles Lernen könne intrinsisch motiviert von Zauberhand geschehen. Ein Negativbeispiel für diese Art von Didaktik ist das Erlernen einer krakeligen Druckschrift vor der Schreibschrift, damit die Kinder schon “loslegen” können… Diesen Mist bekommt man kaum wieder repariert und viele Kinder haben Probleme ganze Wörter wahrzunehmen, es bleibt immer Buchstabensalat. Soetwas ist himmelschreiend d*mlich und schlicht ineffizient, aber niemand tut etwas dagegen.

Mit voller Absicht, aber im Glauben an die gute Sache, wird unseren Kindern eine vernünftige Bildung vorenthalten.

Katze
10 Monate zuvor
Antwortet  H. F.

Volle Zustimmung! Fachlich stark werden die neuen Superlehrkräfte aber nicht durch das “Abspecken” von Inhalten und mündig nicht durch den Sirenengesang vom Elfenbeinturm.
Weder Schüler noch Studenten lernen, über den Tellerrand zu denken, wenn sie nicht zuvor gelehrt bekamen, was der Teller ist. 
Bei uns Konservativlingen scheiterte die zeitkonforme ideologisch bevormundende Gehirnwäsche. Wir haben immer noch die schmutzigen Gedanken an fachlich anspruchsvollen, fordernden lehrerzentrierten Unterricht und den vollen Bildungsteller einer Leistungsgesellschaft.

“Konservativ sein heißt, die Flamme zu bewahren, und nicht, die Asche zu behüten.”
Unbekannt

IchBinEhrlich
11 Monate zuvor

“Viele Schulen entschieden sich zudem, den Englischunterricht von einer auf zwei Stunden zu kürzen.”So steht es oben.
???

Ça me fatigue
10 Monate zuvor

Praktischer Musikunterricht und die Theorie dazu vereinigt diverse Unterrichtsfächer und wendet deren Fachkompetenzen an (je nach Thema und Klassenstufe unterschiedlich): Mathematik, Physik, Geschichte, Deutsch, PoWi, Sozialkunde …

… und schult Kompetenzen bzw. stärkt Umgangsformen wie:
Teamfähigkeit (Klassenmusizieren), Gehörtes umsetzen, aufeinander hören, andere akzeptieren und sie nicht auslachen, an den eigenen Fehlern arbeiten und nicht aufgeben, Selbstbewusstsein stärken und trotzdem empathisch bleiben usw.

Annemaus
10 Monate zuvor

Ich bin gegen eine Kürzung irgendeines Faches. Es gibt immer Kinder, die genau in diesem Fach ihr Interesse oder Talent haben und für die es schade ist, wenn dieses Fach gekürzt wird oder sogar ganz aus dem Stundenplan verschwindet.