Studie zur Demokratiebildung: Mehr Unterricht gibt’s mit SPD, weniger mit CDU

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BAMBERG. Die demokratiegefährdenden Entwicklungen der jüngsten Zeit haben in dem Wahlergebnis in Thüringen und Sachsen ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden. 32,8 Prozent beziehungsweise 30,6 Prozent der Wähler:innen gaben ihre Stimme der AfD, deren Landesverbände jeweils vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. Und wieder wird der Ruf nach mehr politischer Bildung lauter – ein Reflex, der sich so auch in der Vergangenheit finden lässt. Darauf verweist eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi). Die Analyse zeigt auch: Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Landesregierung und der Unterrichtszeit für politische Bildung.

Demokratie im Regen: Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen werfen die Frage auf, wie viel politische Bildung Kinder und Jugendliche vermittelt bekommen. Foto: Shutterstock

Ein zentrales Ergebnis der Studie lässt sich auch aktuell beobachten: Politische Bildung gewann in der Vergangenheit immer dann an Bedeutung, wenn die Demokratie unter Druck stand. Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa spielte die „re-education“ durch die US-Amerikaner eine wichtige Rolle, um die vom Nationalsozialismus geprägte deutsche Bevölkerung zu demokratisieren. Die Hakenkreuzschmierereien der späten 1950er Jahre und die linken Protest- und Reformbewegungen der 1960er Jahre bildeten weitere Anlässe, die die politische Bildung in der politischen Debatte und im Schulalltag stärkten.

Zu diesem Ergebnis kommen die Autor:innen der LIfBi-Studie anhand der Stundentafeln der deutschen Bundesländer, die sie unter Zuhilfenahme von bildungshistorisch-fachdidaktischen Arbeiten und Zeitdokumenten analysiert haben. Dabei widmeten sie sich dem Zeitraum von 1949 bis 2019 und bezogen die Daten der ostdeutschen Bundesländer ab der Wiedervereinigung mit ein.

„Je nach politischer Landesfarbe erhielten die Schülerinnen und Schüler unterschiedlich viel politische Bildung“

Neben dieser deutlichen „Feuerwehrfunktion“ politischer Bildung für die Demokratie lässt der Datensatz zudem einen politischen Einfluss der Landesregierung auf den Politikunterricht erkennen, insbesondere bis Ende der 1990er Jahre: „Die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung eines Bundeslandes zu Schulzeiten kann die politischen Handlungen und Einstellungen von Erwachsenen bedeutend beeinflussen“, formulieren die Autor:innen zugespitzt.

„Je nach politischer Landesfarbe erhielten die Schülerinnen und Schüler unterschiedlich viel politische Bildung“, sagt LIfBi-Forscher Norbert Sendzik. „War die SPD an einer Regierung beteiligt, wurde mehr politische Bildung unterrichtet. Regierte die CDU, war weniger politische Bildung vorgesehen.“ Dies lässt sich auch im Falle von Regierungswechseln beobachten: Unter SPD-Beteiligung nahm die politische Bildung tendenziell zu, während sie nach einem Wechsel hin zu einer CDU-geführten Regierungskonstellation ohne SPD-Beteiligung eher abnahm.

Besonders deutlich sei der quantitative Unterschied für die ostdeutschen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu erkennen, die nach der Wende christdemokratisch geprägt waren. „Dort war im Vergleich sehr wenig politische Bildung vorgesehen“, so Sendzik.

Die Analyse zeigt auf, dass nach der Wiedervereinigung ostdeutsche Länder mit CDU-geführten Regierungen weniger Stunden für politische Bildung verankerten als das SPD-geführte Brandenburg. „Dies verdeutlicht, wie stark politische Bildung von der parteipolitischen Ausrichtung der jeweiligen Landesregierung beeinflusst wird“, heißt es im Studienbericht. Dieser Trend schwächte sich erst ab den 2000er Jahren ab; seitdem ist die Anzahl an Unterrichtsstunden politischer Bildung weniger von der Zusammensetzung der Landesregierung geprägt.

Eingeschränkte Wirkung

Ein Mehr an politischer Bildung führt allerdings nicht zwangsweise zu einem höheren Demokratiebewusstsein, mahnt das LIfBi-Forschungsteam. Zu diesem Fazit kommen die Forscher:innen auf Basis einer ebenfalls durchgeführten Analyse wissenschaftlicher Arbeiten aus dem In- und Ausland zu den Wirkungen von politischer Bildung.

Sie schreiben: „Der aktuelle Forschungsstand, insbesondere aus dem Ausland, weist darauf hin, dass durch politische Bildung in der Schule keine allgemeine – das heißt für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen geltende – Verbesserung demokratischer Einstellungen und Handlungen einhergeht.“ Schulen haben in diesem Zusammenhang aber durchaus das Potenzial, herkunftsbezogene Ungleichheit in der politischen Bildung auszugleichen.

Dabei kommt es auf das Wie an: Gezielte Bildungsangebote können den Forschenden zufolge die politische Teilhabe benachteiligter Schüler:innen verbessern. Entscheidend sei dabei die die konkrete Ausgestaltung. Ein positives Unterrichtsklima sowie praxisorientierte Ansätze, wie simulierte Wahlen oder Gespräche mit Lokalpolitikern, können den Erfolg der politischen Bildung erheblich steigern. News4teachers

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7 Kommentare
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potschemutschka
10 Tage zuvor

Wird das nicht durch mehr Religionsunterricht in den CDU-geführten BL ausgeglichen? 🙂

Dejott
10 Tage zuvor
Antwortet  potschemutschka

Kann ich für Sachsen überhaupt nicht bestätigen. Ethik und Religion teils bis zur Unkenntlichkeit gekürzt.

Mo3
10 Tage zuvor

Dass es mit mehr Stunden politischer Bildung relevant weniger Stimmen für die AfD in Sachsen und Thüringen gegeben hätte, finde ich doch eher fraglich. Oder was soll hier suggeriert werden? Außerdem geht es hier doch um eine rein quantitative Betrachtung ohne Bewertung des qualitativen Ergebnisses. Politische Bildung in der Schule ist da wohl auch nicht der entscheidende Einflussfaktor, vor allem wenn über etwas mehr oder weniger politische Bildung diskutiert wird und nicht darüber, sie komplett entfallen zu lassen. Vor allem vor dem Hindergrund, dass es vor allem die Demonstrationen in Sachsen waren, die maßgeblich zur Wiedervereinigung beigetragen haben, ist der Zusammenhang von Ursache und Wirkung doch sehr fraglich, da ich bezweifle, dass in der DDR auf entsprechende politische Bildung wert gelegt wurde.

potschemutschka
9 Tage zuvor
Antwortet  Mo3

🙂

Dr. Specht
9 Tage zuvor

(Leider) Nicht die erste Studie, welche die Diskrepanz der Sonntagsreden (“Wir brauchen mehr Demokratiebildung an den Schulen”) und der Realität (konkrete Demokratiebildung hängt am Idealismus der konkreten Lehrkräfte, mehr Zeit und Geld gibt es nicht) aufzeigt.

ed840
9 Tage zuvor
Antwortet  Dr. Specht

Steht auch im Text, dass mehr Unterricht in politischer Bildung nicht zwangsweise zu mehr Demokratiebewusstsein führen muss. Und dann kommt es vermutlich noch auf Sein und Schein an. Wenn von den in der Stundentafel vorgesehen Unterichsstunden in der Praxis nur 17 min pro Woche für politische Bildung verwendet werden, könnte sich der Effekt ggf. nicht so einstellen wie erwünscht.

PatOber
8 Tage zuvor

Was heißt denn ,Demokratiebildung‘? Kenntnis des politischen Systems? Ja. Kenntnis der Parteienlandschaft? Vielleicht.
Vor allem aber der Aufbau von Sensibilität dafür, dass politisches Engagement in einer demokratischen Gesellschaft enorm wichtig ist.
Wie haben das heute im Unterricht durchgespielt. Zwei wählbare Personen, eine schlimmer als die andere. Wahlausgang: 2:1b bei 22 Enthaltungen. Erst da ist den SuS bewusst geworden, dass dieser gerade 66% der Stimmen auf sich vereint und sie mit ihrer Nichtwahl die Radikale Person A quasi mitgewählt haben. Erst da wurde wirklich verstanden, dass es ein echtes Gegenangebot braucht (ein Schüler ließ sich ohne Aufforderung als Person C aufstellen und wurde mit 96% gewählt…), also politisches Engagement.

Ich sage jetzt nicht, dass dies das Nonplusultra der politischen Bildung ist, aber sicherlich hilfreicher als die Kenntnis über EU-Institutionen. Erlebte Demokratie eben.