Schaden digitale Medien Kindern und Jugendlichen? Oder nützen sie ihnen? Expertenstreit

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DÜSSELDORF. Eltern und Lehrer sind häufig mit übermäßigem Medienkonsum Minderjähriger überfordert. Wie schafft man eine gesunde Balance zwischen Nutzen und Schaden? Nützt ein Handy-Verbot an Schulen? Experten streiten.

“Digital Natives” sind es zwar gewohnt, täglich mit digitaler Technik umzugehen – ob sie das kompetent tun, steht aber auf einem anderen Blatt. Foto: Shutterstock

Ein grundsätzliches Handy-Verbot an Schulen kann Kinder und Jugendliche aus Sicht einer Expertin für digitale Medizin besser vor Mediensucht und psychischen Krankheiten schützen. Ein solches Verbot könne den Gruppenzwang zum Handy reduzieren und Eltern entlasten, argumentiert die klinische Psychologin Ira-Katharina Petras von der Uniklinik Aachen in einer Stellungnahme an den nordrhein-westfälischen Landtag. Dort war der Einfluss von Medien auf die Gesundheit von Kindern am Donnerstag Thema einer Sachverständigen-Anhörung auf Antrag der SPD-Opposition.

Eltern hätten oft Angst, ihre Kinder könnten ohne Smartphone zu digitalen Außenseitern werden und stellten ihnen daher häufig viel zu früh Handys zur Verfügung, warnt Petras in einem umfassenden Empfehlungskatalog. In den Stellungnahmen der anderen Sachverständigen taucht die Forderung nach einem Handy-Verbot nicht auf.

Die Vorsitzende der GEW NRW, Ayla Celik, ist gegen ein Handy-Verbot an Schulen. Statt die Geräte zu verbieten, müsse man ihren Einsatz durch klare Absprachen regeln, sagte sie din Düsseldorf. So sei ein sinnvoller Umgang mit Handys zu fördern, etwa für Recherchezwecke im Unterricht. Zu viele Kinder und Jugendliche könnten aktuell mit Handys nicht viel mehr anfangen als «wischen und klicken». Tatsächlich hatte die ICIL-Studie in der vergangenen Woche ergeben, dass rund 40 Prozent der Achtklässlerinnen und Achtklässler kaum über digitale Kompetenzen verfügen (News4teachers berichtete).

SPD will für Risiken von übermäßigem Medienkonsum sensibilisieren

Die SPD fordert in ihrem Antrag unter anderem, Behandlungsstrukturen aufzubauen, die erkrankte Kinder und Jugendliche in Spezial-Ambulanzen bestmöglich versorgen. Eltern und Lehrpersonal seien «für die Risiken und Nebenwirkungen von übermäßigem Medienkonsum zu sensibilisieren». Dazu sollen medienfreie Zeiten in den Alltag integriert werden – zum Beispiel in der Kita, Schule oder vor dem Schlafengehen.

Mehrere Experten monieren, die SPD stelle zu stark auf die Risiken digitaler Medien ab und vernachlässige die damit verbundenen Bildungschancen sowie das Recht von Kindern und Jugendlichen auf digitale Teilhabe. Digitale Medien seien bereits heute selbstverständlicher Bestandteil ihrer Lebenswelt, argumentiert Julius Keinath, ein Fachreferent für Jugendmedienschutz aus Schleswig-Holstein. Sie nutzten diese Medien auch zur Sozialisierung mit Gleichaltrigen oder zur Informationsrecherche für politische Meinungsbildung.

Experten: Medienkompetenz langfristig in Lehrplänen verankern

Eine zu einseitige quantitative Betrachtung der Bildschirmzeit könne keine Grundlage bieten, um digitale Medien grundsätzlich als schädlich darzustellen. Damit Kinder für sich die Vorteile und Chance digitaler Medien nutzen können, müsse Medienkompetenz langfristig als grundsätzliche Erziehungs- und Bildungsaufgabe in Schulen und Lehrplänen verankert werden.

Die Psychologin Petras betont, um Risiken digitaler Medien zu verstehen, sei es wichtig, den Blick über die reine Mediennutzung hinaus zu weiten und das soziale Umfeld in den Blick zu nehmen. Viele Kinder wüchsen heute in einem schwierigen sozialen Umfeld auf, in dem ihre Grundbedürfnisse vernachlässigt würden und sie nicht die nötige Unterstützung für eine gesunde Entwicklung erhielten. «Kinder und Jugendliche mit schädlichem oder pathologischem Internetgebrauch erfüllen oft online diese Grundbedürfnisse, die offline vernachlässigt werden.»

Warum ein Handy-Verbot durch Eltern kontraproduktiv sein könnte

Um Risiken krankhafter Mediennutzung vorzubeugen, müssten grundlegende Fähigkeiten bei Kindern gestärkt werden, wie Emotionsregulation, soziale Kompetenz, Selbstwert, Selbstwirksamkeitsempfinden und Reflexionskompetenz. Ein wichtiger Schutzfaktor sei zudem eine positive Eltern-Kind-Beziehung, «die durch eine vertrauensvolle, offene Kommunikation sowie eine aktive Medienerziehung geprägt ist».

Ein allgemeines Handy-Verbot an Schulen könne Eltern entlasten – ein durch die Eltern selbst durchgesetztes Verbot hingegen könne sogar kontraproduktiv sein, warnt Petras. Wenn Kinder Angst vor einem Medien-Verbot hätten, reduziere sich ihr Vertrauen und ihre Bereitschaft, ihren Eltern von unangenehmen oder unangemessenen Erfahrungen im Internet zu erzählen.

Welche positiven Effekte Mediennutzung haben kann

Matthias Begenat vom Center for Advanced Internet Studies in Bochum unterstreicht die zentrale Rolle, die Gaming und soziale Medien im Alltag auch junger Menschen spielen «als Orte der Freizeitgestaltung, Unterhaltung und des sozialen Austauschs». Positive Effekte dürften nicht vernachlässigt werden, wie «die potenzielle Stärkung des logischen Denkvermögens, die Fähigkeit zur Problemlösung oder auch die Entwicklung von sozialen Kompetenzen wie Teamwork und Empathie». Von Maximilian von Klenze, dpa

Schule als „Handy-Schutzzone“ – Kultusminister will bundesweites Smartphone-Verbot

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14 Kommentare
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vhh
15 Tage zuvor

Die Mediennutzung wie sie real stattfindet beeinträchtigt soziale Kompetenzen und Konzentrationsfähigkeit.
(Nur eine anekdotische Einzelerfahrung in den Jahrgängen 5-Abi, Gesamtschule)
Kleine Zusatzinformation: Kinder und Jugendliche finden immer Wege, Regeln zu umgehen und handeln selten danach, was mittelfristig besser für sie wäre oder ‘abgesprochen’ wurde. Grundlegende Fähigkeiten im realen Leben und die positive Eltern-Kind-Beziehung kann man sich wünschen, es gibt sie oft leider nicht, darum können sie auch nicht vorbeugend wirken.
Aber vermutlich arbeiten die Experten mit digitalen Kindermodellen, die erst in der Betaversion zur Verfügung stehen.
Empathie ist übrigens das letzte, was digitale Medien fördern (haben die Experten einmal Alben und Browserverlauf von Schülergeräten angesehen?), aber auch das nur eigene Erfahrung, bestimmt überall sonst ganz anders.

Teacher Andi
15 Tage zuvor

Für mich steht fest (auch wenn das andere Kommentatoren nicht so sehen) je mehr Digitalisierung, desto dümmer die Schüler. Eigenes Denken ist damit nicht mehr gefragt. Und die sozialen (asozialen?) Medien geben dem Ganzen noch den Rest.
Old School, aber vielleicht vernünftig.

Lisa
15 Tage zuvor
Antwortet  Teacher Andi

Es ist differenziert. Digitale Teilhabe macht Dumme dümmer und Kluge klüger.

447
14 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Genau das, 100%.

Canishine
15 Tage zuvor

Digitale Medien sind Teil der Realität, daher besteht die Notwendigkeit, Kinder den Umgang damit zu vermitteln. Wegen des Sucht- und Ablenkungsmanöverspotentials bei gewisser Nutzung gehören dazu aus meiner Sicht auch Verbote, sowohl von Schulseite als auch von Elternseite. Dieses Suchtpotential lässt sich unter anderem an dem starken Widerstand erkennen, welcher einem Verbot entgegengesetzt wird.
Leider lässt man es zu, dass solche negativen Auswirkungen der Mediennutzung als Geschäftsmodell genutzt werden (vielleicht ist Australien ein Anfang).
Bleibt die Frage nach dem sinnvollen Umgang, den es zweifellos gibt. Ich selbst sammle da auch noch Erfahrungen und denke, man muss als Lehrer z.T. sehr individuell auf Situationen schauen. Einige Argumente zu positiven Wirkungen der Nutzung im Artikel erinnern mich jedoch stark an die (angeblich) Denkleistung steigernde Wirkung des Kaugummikauens.

Einer
15 Tage zuvor

Wieso haben die Chefs und Manager der großen Unternehmen (MS, Oracle, Apple, Facebook, Alphabet, …) ihre Kinder alle auf Schulen die vollständig analog arbeiten? Am Geld kann es nicht liegen. Vielleicht, weil sie wissen wie entscheidend analoges lernen und denken ist? Wer nicht gelernt hat selbst zu denken und analog zu lernen, der wird niemals wirklich gut im Umgang mit jeglichem digitalen sein. Dann wird es nur zum tindern reichen.

blau
14 Tage zuvor
Antwortet  Einer

Smarterstartab14.de

Kenny
15 Tage zuvor

seit den 90-er geistert das Gerücht – oder vielleicht die Hoffnung – durch die Fachliteratur, dass Gaming logisches Denken und Teamfähigkeit steigern könnten. belastbare Studien dazu mit entsprechenden Ergebnissen gibt es ebenfalls seit den 90-ern keine. Vielleicht sollten wir aufhören “Wissen” mit “Wünschen” zu verwechseln. Und selbst wenn es signifikante Erkenntnisse gäbe, dann müsste man immer noch zeigen, dass digitales Gaming diese Kompetenzen stärker, oder mindestens gleich fördert, als analoge Spiele, wie beispielsweise Schach oder im Mannschaftssport

447
14 Tage zuvor
Antwortet  Kenny

Tut es (bei anspruchsvollen Spielen) ganz bestimmt.

Sie werfen aber richtigerweise auch gleich die Folgefrage auf – nämlich, welche Oppirtunitätskosten/Verluste damit einhergehen.

ginny92
15 Tage zuvor

Es müsste von allen Seiten angegangen werden von der Politik, den Schulen und den Eltern.
Die Politik müsste mit Sorge tragen dafür das soziale Medien wirklich auch erst frühestens ab 14 zugänglich sind. Klar Eltern müssen da auch dringend mit machen. Zu dem muss es oberste Priorität sein von Politik und Schule das die Kinder lesen, schreiben und rechnen können, sowie mehr wert auf logisches Denken gelegt wird. Ohne diese Fertigkeiten kommt man mit Digitalen Medien schlicht nicht dazu sie vorteilhaft zu nutzen. Dafür heißt es definitiv Medien frei Räume zu schaffen ( am besten so wenig Medien wie möglich bis Ende Klasse 5). Ab da an müssen Schule und Elternhaus in Zusammenarbeit vernünftige Regeln und Konzepte fahren. Es ist nett gesagt ungünstig wenn alles erlaubt ist zu Hause und in der Schule dann strenge Regeln eingehalten werden müssen. Für die Schule bedeutet das allen voran Fortbildungen ohne Ende.

Annemaus
14 Tage zuvor

Wenn Eltern es intelligent anstellen, kann man KI durchaus zum Vorteil der Kinder nutzen, in dem man die KI beispielsweise eine maßgeschneiderte Gute-Nacht-Geschichte für das Kind schreiben lässt, je nachdem, was das Kind gerade interessiert. Als Beispiel könnte ich mir vorstellen “Schreibe mir eine Gute-Nacht-Geschichte für ein fünf Jahre altes Kind über einen Dino mit magischen Kräften.”. Das kann man natürlich noch verfeinern. Das Ergebnis kann man auch ausdrucken und in einem Ordner aufbewahren. Natürlich wäre die Qualität der Geschichte nicht immer so toll und es würde keine richtigen Bücher ersetzen. Aber ehrlich gesagt ist auch nicht jedes Kinderbuch (gerade für Kleinkinder) besonders toll geschrieben.

A. M.
14 Tage zuvor

“Positive Effekte dürften nicht vernachlässigt werden, wie «die potenzielle Stärkung des logischen Denkvermögens, die Fähigkeit zur Problemlösung oder auch die Entwicklung von sozialen Kompetenzen wie Teamwork und Empathie».”

Solchen Sätzen kann niemand widersprechen. Das schablonenhafte Anführen von Vorteilen – Was positiv ist sollte selbstverständlich immer gesehen werden! – lässt sich auch zur Rechtfertigung jeder x-beliebigen anderen Auffassung benutzen. Eine an den Grundbedürfnissen von Kindern orientierten, lang genug andauernden Kindheitsphase (ohne die Heranführung an digitale Medien und die diesbezügliche angestrebte Kompetenzsteigerung) geht selbstverständlich auch mit positiven Effekten einher, die nicht verachlässigt werden dürfen. Was oben zitiert wurde, lässt sich prima in eine andere Reihenfolge setzen, ergänzen und je nach Interessenlage überzeugend präsentieren. – So überzeugend, dass wir uns bei jeder neuen Erwartungshaltung an Pädagogen aber leider fragen müssen, ob diese auf gewollter Effekthaschereib beruht oder ob nachvollziehbare Begründungen vorliegen.

Sepp
14 Tage zuvor

“Schaden digitale Medien Kindern und Jugendlichen? Oder nützen sie ihnen? Expertenstreit”
Zur Beantwortung braucht es eigentlich keinen Expertenstreit:
Digitale Medien, so wie sie derzeit genutzt werden, verstärken einfach die Ungleichheit, indem sie schwächere SuS noch schwächer machen und stärkere SuS noch stärker.

Wer von zu Hause eine gewisse Leistungsorientierung und Selbstmotivation mitgebracht hat, wird digitale Medien nutzen, um etwas noch genauer zu verstehen, ein zusätzliches Video anschauen, ggf. ChatGPT zum Verbessern seiner Texte nutzen usw.
Wen eigentlich eh keinen Bock auf Unterricht bzw. auf Leistung hat, wird im besten Fall Hausaufgaben mit digitalen Werkzeugen machen lassen, im schlechteren Fall digitale Medien zur Ablenkung für den schnellen Kick nutzen. Das sieht man ganz klar in der Schule.

Die Schule als böse Instanz hinzustellen, die leider das Handy verbietet, während die lieben Eltern da natürlich nie etwas gegen hätten, wie im Artikel propagiert, finde ich absolut kontraproduktiv. Statt eine gemeinsamen Linie und Koopertaion von Eltern und Schule bei der Erziehung der SuS zu haben, wird damit bewusst die Situation der Schule und Lehrkräfte geschwächt!

Ein spannender Gedanke zu digitalen Medien findet sich übrigens im neuen Buch von Harald Lesch:
Schule sollte nicht das befeuern, was die Schüler sowieso jeden Tag um sich haben, sondern neue Erfahrungshorizonte öffnen. Kinder und Jugendliche verbringen jeden Tag im Durschschnitt 4 Stunden Freizeit (in krassen Fällen bis zu 10 Stunden) vor digitalen Endgeräten. Daher wäre es Aufgabe der Schule, die analoge Welt zu stärken. Dazu gehört es dann auch, wieder mehr Bücher aus Papier zu lesen, nach draußen zu gehen, Dinge praktisch zu erforschen, haptisch zu erfahren und bspw. in Gruppen zu diskutieren.

PetraL
12 Tage zuvor

Zitat: “.. Wenn Kinder Angst vor einem Medien-Verbot hätten, reduziere sich ihr Vertrauen und ihre Bereitschaft, ihren Eltern von unangenehmen oder unangemessenen Erfahrungen im Internet zu erzählen. .. “

Was wären denn das für “Erfahrungen”, Frau Psychologin? Traut sich unsere nach außen moralisch saubere Gesellschaft nicht mehr zu benennen, ne? Das Eltern ihre Kinder psychisch misshandeln, in ihrer Schutzfunktion als Eltern versagen, indem sie ihnen Inhalte zugänglich machen, die nicht für Kinder geeignet sind, ne?