VBE-Vize: Lehrkräfte und Kita-Fachkräfte stemmen sich gegen teils desolate Zustände

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BERLIN. Die Bildungsausgaben Deutschlands sind allenfalls mittelmäßig – sowohl aus internationaler Perspektive wie nach Meinung eines Großteils der Bürgerinnen und Bürger hierzulande. Dies ergaben zwei gestern veröffentlichte Studien (der OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“ und das ifo-Bildungsbarometer). Tomi Neckow, stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), fordert Konsequenzen.

Klare Kante: der stellvertretende VBE-Bundesvorsitzende Tomi Neckow. Foto: BLLV

Laut dem vom ifo Institut veröffentlichten Bildungsbarometer bewerten die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland die Schulen in Deutschland gerade mal als mittelmäßig (News4teachers berichtete). Sie wünschen sich unter anderem mehr Geld für Bildung und eine Stärkung der Basiskompetenzen. Insgesamt bewerten sie die Bildungspolitik schlechter als die Schulen. „Es ist zu erkennen, dass die Herausforderungen in den Schulen mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein dringen und die Menschen erkennen, dass die verfehlte Bildungspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte dafür verantwortlich ist“, meint VBE-Vize Neckow dazu.

Er betont: „Die Bewertung ‚mittelmäßig‘ kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Strukturen in der deutschen Bildungslandschaft teils desolat sind. Das wahrgenommene Mittelmaß, das das Bildungsbarometer abbildet, ist angesichts der fehlenden Gelingensbedingungen nur auf einen Umstand zurückzuführen: den unermüdlichen Einsatz der Lehrkräfte vor Ort. Sie geben Tag für Tag alles in ihrer Macht stehende, um die mangelhaften Voraussetzungen zu kompensieren und den Schülerinnen und Schülern bestmögliche Bildung zukommen zu lassen, und setzen dabei teilweise sogar ihre eigene Gesundheit aufs Spiel.“

“Kinder lernen heute in teilweise maroden und aus der Zeit gefallenen Schulen”

Zur Forderung nach einer besseren Finanzierung des Bildungssektors ergänzt Neckov: „Wir fordern schon seit geraumer Zeit, dass die Ausgaben für Bildung in unserem Land massiv steigen müssen. Kinder lernen heute in teilweise maroden und aus der Zeit gefallenen Schulen. Es ist zu hoffen, dass die Politik diese Forderung aus der Gesellschaft endlich aufnimmt und alles in die Wege leitet, was notwendig ist, um den Bildungsbereich in Deutschland wieder zu stärken.“

Die in der Umfrage von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützten Reformansätze zur Verbesserung des Bildungssystems für eine bessere Frühförderung ordnet Neckov folgendermaßen ein: „Wir stehen den Vorschlägen zur Verbesserung des Bildungssystems inhaltlich grundsätzlich positiv gegenüber. Allerdings bleibt die Frage unbeantwortet, wer diese zusätzlichen Aufgaben übernehmen soll. Wer soll qualifizierte Sprachtests durchführen? Woher kommt die Zeit für ein tägliches Lesetraining? Wer betreut die Kinder, die ab dem vierten Lebensjahr verpflichtend in die Kita gehen sollen? Das Personal an Kitas und Schulen, das den Laden mit Mühe und Not am Laufen hält, kann dies nicht noch zusätzlich schultern. Wir brauchen schlichtweg mehr Lehrkräfte in den Schulen und mehr Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas, um überhaupt über derartige Vorschläge sprechen zu können.“

„Die Überlastung aufgrund des fehlenden Personals schränkt die Möglichkeiten zu individueller Förderung vielerorts weiterhin erheblich ein”

Auch der OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“ fokussiert auf die frühkindliche Bildung in Deutschland – und vermerkt positiv, dass die Ausgaben diesbezüglich zwischen 2015 und 2021 um 42 Prozent gestiegen sind (News4teachers berichtete auch darüber). Hintergrund: In Deutschland wurde das Betreuungsangebot massiv ausgebaut, um insbesondere Frauen die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. „Es ist gut, wenn die Politik endlich mehr in die frühkindliche Bildung investiert. Bislang kommt dies aber nicht in der Arbeitsrealität der Erzieherinnen und Erzieher an“, erklärt Neckov dazu. „Die Überlastung aufgrund des fehlenden Personals schränkt die Möglichkeiten zu individueller Förderung vielerorts weiterhin erheblich ein. Und mit Blick auf den kommenden Anspruch auf Ganztag wird die Herausforderung auch für die personelle Situation in den Kitas nicht leichter. Dies darf nicht das Ende der Mehrinvestitionen in die frühkindliche Bildung sein, sondern der Anfang.“

Weiter betont er: „Die positiven Aspekte des Bildungsberichtes können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ergebnisse in Gänze unterstreichen, was bereits seit Jahren im Argen liegt. Bildung hängt in Deutschland weiterhin in hohem Maß von der familiären Herkunft ab.“ Dies werde unter anderem am Anteil der Schülerinnen und Schüler sichtbar, die am Ende der Sekundarstufe mindestens grundlegende Mathematikkenntnisse erwerben konnten: Kamen sie aus benachteiligten Haushalten, gelang dies nur gut der Hälfte der Schülerinnen und Schüler, wohingegen es über 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus nicht benachteiligten Haushalten schaffen konnten. Ähnlich verhält es sich bei Familien mit Migrationsgeschichte. Nur 55 Prozent der Kinder mit, aber 78 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund konnten entsprechende Fähigkeiten erwerben.

Neckov unterstreicht: Das A und O bei der Unterstützung von Kindern aus benachteiligten sozialen Lagen ist die individuelle Förderung durch das Lehrpersonal. Angesichts des massiven Personalmangels ist dies allerdings oft nur schwer umsetzbar. Auch wenn die Politik den Ernst der Lage erkannt und mit dem Startchancenprogramm zielgerichtet und nicht länger mit der Gießkanne unterstützt, kann dies nur ein erster Schritt sein. Zeitlich befristete Programme reichen lange nicht mehr aus. Wir brauchen strukturelle Verbesserungen in der Bildungsfinanzierung und langfristige finanzielle Sicherheit.“ News4teachers

Deutsche Bildungsausgaben unter OECD-Schnitt – trotz Kita-Ausbau und Gratis-Hochschulen

 

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Timo
24 Tage zuvor

und das finden die Kinder auch. Warum in desolaten Zuständen zusammenhocken oder Konferenzen abhalten.
Ihr könnt alle Konferenzen und Besprechungen online machen. Das bekommen Unternehmen mit 200 Mitarbeitern schon jetzt hin.
Ihr könnt mehr Selbstlernen pro Woche einteilen. Da kann es 1 Betreuer für 2-3 Klassen als Aufsicht geben.
Ab 14 gehen auch ein paar Stunden online Unterricht. Vorher Regeln aufstellen.

Haben wir im Unternehmen auch so. Na was passiert, wenn einer nicht pünktlich ist oder die Maus nur rotiert?

Hauke Haien
24 Tage zuvor
Antwortet  Timo

Der Punkt ist: Eine Schule ist kein Unternehmen! Einige Konferrnzen könnten tatsächlich meiner Meinung nach online stattfinden, aber nicht alle. Aber wir dürfen das nicht. Wir müssen präsent sein. Selbstlernzeit an einer Gesamtschule ist schlicht und ergreifend nicht durchführbar. Schon dreimal nicht mit einer Aufsicht für 2-3 Klassen. Wir haben Kurse mit 14 Schülern, wo wir zu zweit Schwierigkeiten haben, die Schüler zum Arbeiten zu bringen. Online-Unterricht scheitert daran, dass die Schülerinnen und Schüler entweder keine Endgeräte Zuhause haben oder auch oft keinen Internetvertrag. Ich arbeite an einer Schwerpunktschule im sozialen Brennpunkt. Da klingen diese Vorschläge wie Hohn….

Realistin
24 Tage zuvor
Antwortet  Hauke Haien

Hauke, dann sind sie einer der letzten an ihrer Schule. Gen. Z macht das nicht mit.
60% beim Arbeitsamt suchen Homeoffice.
Ich meine, was bieten sie denn sonst?
Pralinen, Dienstwagen, Espresso, Uhren, Weihnachtsgeschenke?

Realist
24 Tage zuvor
Antwortet  Timo

RBB aktuell: 4 Tage “Homeoffice”, 1 Tag Präsenz

African Dream
24 Tage zuvor
Antwortet  Realist

ach du meine Güte 🙁
Ich habe eine andere Idee:
generell 4-Tage Woche für alle Lehrkräfte! (weil sie viel in Präsenz haben, ‘do it job’)
dann mehr Stunden in Eigenverantwortung und Schülergruppen und manche Stunden im homeoffice.
Nachmittagskurse nur noch im homeoffice!
Lehrer im Vergleich zu 100% homeofficenjobs 15% Gehalt rauf 🙂
Die Fahrt zur Schule muss sich wieder lohnen

Lisa
24 Tage zuvor
Antwortet  Timo

Das würde nur funktionieren, wenn die Schulpflicht abgeschafft wird. Jetzt hat der Staat eine ” Bringpflicht”. Sonst müssten sich die Schüler selbst um Bildung bemühen. Der Staat müsste also alle Schüler außer der Oberstufe mit Endgeräten, Internet etc ausstatten, damit sie ihre Schulpflicht erfüllen können.
Die Frage der Betreuung ist dann noch nicht geklärt.

Hannah Halloumi
23 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Eine Abschaffung der Schulpflicht, das wäre wirklich mal eine wahre Bildungsrevolution. Leider hört man diesen Vorschlag kaum, selbst nicht von Leuten, die unentwegt fordern, man müsse “Schule komplett neu denken”, “eine radikale Bildungswende” veranstalten, und überhaupt das große Ganze “auf den Kopf stellen”.

Dabei wäre das zumindest diskutierenswert. Ein formaler, bürokratischer Bildungsabschluss wie ein Abiturzeugnis, ein Gesellenbrief oder eine Mittlere Reife ist doch heutzutage kaum noch von realem Wert. Nicht nur, weil viele der von unseren Schüler*innen angestrebten Berufe kaum noch irgendwelche festen Zugangsvoraussetzungen haben (“Influencer”, Fußballer, Model, “Trader”, Unternehmer, Selfmade-wo/man), sondern auch weil ja selbst dort, wo formal bestimmte Bildungstitel verlangt werden, man deren Aussagekraft kaum noch traut. Wenn von 100 Bewerben 95 ein Abitur mit Note 2,3 oder besser haben… dann treffe ich als Arbeitgeber meine Vorauswahl erstmal nach ganz anderen, für mich passenderen Kriterien, und der Rest Entscheidung geschieht dann im Assessment Center.

Aber nicht nur die Selektionsfunktion der Schule, auch das Lernen selbst findet ja (wie ironischerweise gerade viele von uns Lehrer*innen immer heftiger fordern) mehr und mehr “selbstorganisiert” statt. Schüler*innen fragen sich heutzutage mehr als je zuvor, warum sie eigentlich noch in die Schule gehen, wenn doch nicht nur der Erwerb von “hartem” Wissen, sondern auch Erziehung und Sozialisation mindestens genauso gut an anderen Orten und ohne die autoritäre Knute von Lehrern oder “Lernbegleiterinnen” stattfinden kann, die mir dauernd mit schlauen Tips und blöden Sprüchen im Nacken sitzen. Entsprechend entwickeln sich denn auch die Abwesenheitsquoten in unseren Schulen.

Eine Entbindung von den Fesseln der überkommenen Schulpflicht, die ja bis auf den ollen Luther zurückgeht, würde es uns ermöglichen, wirklich nur noch mit denen zu arbeiten, die tatsächlich Bock darauf haben, sich gemeinsam sozial, fachlich, menschlich, weiterzuentwickeln.

Ulla
20 Tage zuvor
Antwortet  Hannah Halloumi

Selbstlernen? Distanzunterricht? Hat ja beides in der Coronazeit prima geklappt.
Schule ist ein soziales System. Das lässt sich nicht über den Bildschirm vermitteln.

Fräulein Rottenmeier
19 Tage zuvor
Antwortet  Hannah Halloumi

„Eine Abschaffung der Schulpflicht, das wäre wirklich mal eine wahre Bildungsrevolution.“

Die Schulpflicht ist das Wertvollste was wir haben, denn aus ihr wird auch ein Recht auf Schule / Bildung abgeleitet.
Wenn man so etwas aufhebt, dann erreicht man manche bildungsfernen Familien gar nicht mehr…..wollen wir das wirklich?

Fräulein Rottenmeier
19 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

An weiterführenden Schulen gibt es Betreuung alldieweil bis Klasse 6, bis dahin macht Onlineunterricht sowieso keinen Sinn.

Das Land NRW hat zumindest für die BKs den Weg für Onlineunterricht frei gemacht, da manche Anfahrtswege wirklich kaum zu bewältigen sind…..

Ulla
20 Tage zuvor
Antwortet  Timo

Immer wieder großartig, wenn Leute, die nicht im Schulsystem arbeiten, uns Lehrern die Arbeit erklären wollen.

Biolehrerin
19 Tage zuvor
Antwortet  Ulla

ein bisschen hat er Recht, ein bisschen würde uns allen gut tun
Konferenzen und manche Stunden klappen online bzw. digital

Fräulein Rottenmeier
19 Tage zuvor
Antwortet  Timo

„Ihr könnt alle Konferenzen und Besprechungen online machen.“
Machen wir bereits, klappt prima, ist entlastend, finden aber nicht alle Kolleginnen gut (besonders die, die nicht unweit der Schule wohnen…und gerne Face to Face zusammensitzen würden….(und gerne miteinander quatschen, was in einer Onlinekonferenz nicht so einfach ist 🙂 )).
Wir geben auch die Möglichkeit manche Elterngespräche online oder per Telefon zu führen….das entscheidet aber jede Kollege selber….

Onlineunterricht in der Grundschule ist nicht möglich, da sind wir uns sicherlich alle einig, der Rest geht schon, man muss nur wollen….

Lisa
24 Tage zuvor

Es hakt auch daran, dass die Verantwortlichkeiten so aufgesplittet sind. Ich kenne die historischen Gründe, nur: Wenn alle ein wenig verantwortlich sind, ist keiner mehr verantwortlich.
Während die Schulgebäude von den teilweise verarmten Gemeinden unterhalten werden müssen, sind die Lehrer Sache des Landes. Der Rektor hat zur Einstellung gar nichts zu sagen etc. Der Bund darf nur äußerst erschwert Geld zuschiessen, und die Länder wachen eifersüchtig über ihre Hoheit. Die KMK tut sich schwer, Entschlüsse zu fassen. Das Ganze gleicht einem schwerfälligen großen Schlachtschiff, das mit Schlagseite durch das Bildungsmeer tuckert.

Hannah Halloumi
23 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Dabei wären die ersten Schritte gar nicht so schwer… man könnte, was das Klären der Verantwortung angeht, von unten anfangen: gebt den Schulen eigene Budgets, lasst sie selbst entscheiden, was sie damit machen, ob sie lieber einen neuen Lehrer einstellen oder eine Hausmeisterin, ob sie die Fassade neu streichen oder sich lieber IT-Kompetenz ins Haus holen. Es gibt kaum einen Grund, weshalb das nicht, zumindest als erster Schritt (!), eine spürbare Verbesserung in der Zufriedenheit fast aller Beteiligten sein sollte. Ups, mit Ausnahme der Kultusbeamten und Schulräte natürlich.

dickebank
23 Tage zuvor

Hat die Carolabrücke in DD auch bis zuletzt getan:(

Sie hat versucht, den Stress auszuhalten. Die Folge ist dann Sigma(Bruch). Geht den Menschen wie den Brücken – auf der einen Seite Überalterung und auf der anderen Seite höhere belastungen. Ist der Zuusammenbruch erfolgt, kommt der gute alte Charon wieder ins Spiel, der für die Fahrt über den Styx allerdings zu entlohnen ist. – Bitte also den Obulus bereit halten. Den fälligen Obolus bitte in bar natürlich bereit halten. Die Debitkarte im Mund ist doch etwas zu sperrig:)